ARD: Streit der Chefs:Sommerloch in 3D-Größe

"Tagesschau"-Chefredakteur Gniffke krittelt im Blog an der eigenen Sendung, der Hauptstadtstudio-Leiter Deppendorf schlägt zurück. Dokumentation eines seltenen Streits.

Die "Tagesschau" gehört zu den letzten Ritualen des deutschen Fernsehens. Abend für Abend erklärt sie, was wichtig ist und was nicht, und es soll ja sogar TV-Zuschauer gegeben haben, die erst dann glaubten, dass etwas wahr ist, wenn die "Tagesschau" darüber berichtet hat.

ARD: Streit der Chefs: "Tagesschau"-Chefredakteur Kai Gniffke hat mit einem Blog-Eintrag für eine ARD-interne Diskussion gesorgt.

"Tagesschau"-Chefredakteur Kai Gniffke hat mit einem Blog-Eintrag für eine ARD-interne Diskussion gesorgt.

(Foto: Foto: ddp)

Seit einiger Zeit lässt die "Tagesschau"-Redaktion alle Welt ziemlich offen miterleben, wie diese Wahrheit zu Stande kommt. Auf blog.tagesschau.de schreiben wechselnde Autoren, warum man welches Thema wie groß gefahren habe, welche Spitznamen der scheidende Tagesschau-CvD hat und was sonst wichtig ist in der Welt der Wahrheitsredaktion.

Manchmal haut "Tagesschau"-Chefredakteur Kai Gniffke auch selbst in die Tasten. In seinem vorletzten Eintrag lästerte er ein bisschen über das neue Nachrichtenstudio der ZDF-Konkurrenz ab, womit er großen Konsens gefunden haben dürfte.

Mit seinen jüngsten Zeilen nun, da sorgter er nicht beim öffentlich-rechtlichen Nachbarn für Unmut, sondern im eigenen Haus.

"Alles reine Kann-man-machen-Nummern"

In seiner lockig-flockigen Blog-Schreibe bekannte Gniffke am 21. Juli kurz vor Mitternacht, gut eine Stunde nach dem Ende der "Tagesthemen", dass seine Redaktion bei der Planung der abendlichen Nachrichtensendung unter dem Sommerloch gelitten habe: "Natürlich gab auch heute wieder die Weltlage soviel her, dass man ohne aufzufallen eine Viertelstunde 'Tagesschau' achtbar füllen konnte. Aber wenn wir ehrlich sind, hätte man jedes, ja wirklich jedes unserer heutigen Themen auch lassen können. Alles reine Kann-man-machen-Nummern. Bei unserem kleinen Schleswig-Holstein-Schwerpunkt hatte man ein schweres Déjà-vu, in Nachterstedt gab's auch keinen neuen Stand, Arnie Schwarzeneggers Pleite-Haushalt schon sehr abseitig, so dass Mathe-Olympiade und Sport fast schon die härtesten Brocken in der Sendung waren."

Das war ehrlich, verdammt ehrlich. Vor allem für einen Chefredakteur von ARD-Aktuell.

Diese ehrlichen Zeilen blieben nicht lange unkommentiert. Nicht von den Lesern, die sich ohnehin darüber freuen, dass sie im "Tagesschau"-Blog mit dem Chefredakteur persönlich ins Gespräch kommen können - sondern von einem Kollegen aus Gniffkes eigenem Senderverbund: von ARD-Hauptstadtstudio-Chef Ulrich Deppendorf. Der Mann war selbst einmal ARD-Aktuell-Chefredakteur und galt einmal sogar als möglicher Intendant.

Am Mittwochmittag antwortete jedenfalls Deppendorf mit spottendem Tonfall in einem Kommentar an den "lieben Dr. Gniffke": "Wie schön, dass Sie gestern fast jeden Beitrag der 'Tagesschau' um 20 Uhr für entbehrlich hielten. Das hätten Sie uns ja dann auch schon etwas früher mitteilen können. Dann hätten die Kollegen und Kolleginnen aus dem Hauptstadtstudio und in der Republik ja schon eher die Arbeit für die 'Tagesschau' einstellen können. Im Übrigen halte ich keines der Themen gestern für entbehrlich oder dem Sommerloch geschuldet. Auch nicht die Kieler Provinzposse. Sie hat schon jetzt die Politikverdrossenheit der Menschen weiter gefördert. Und es geht hier um die Machtspiele in einem Bundesland. Nun warten wir jeden Tag auf Ihre Einordnung, was entbehrlich ist. Heute vielleicht Porsche, Opel oder Afghanistan?"

Zudem ging Deppendorf auch auf die Kritik Gniffkes am ZDF ein ("Habe schon gewitzelt, ob wir im Erklärraum heute ein 3D-Modell des Sommerlochs sehen"). Da wusste der Mann aus der Hauptstadt: "Und warum schielen Sie immer auf das ZDF? Sie sind Chefredakteur von ARD-Aktuell. Bitte mehr Selbstvertrauen. Wir sollten auch nicht mit zu viel Hochmut auf das neue ZDF-Studio schauen. Warten wir erst einmal ab, ob unser neues Studio 2011 der große Hit wird. Ein wenig mehr Solidarität durch Schweigen mit dem anderen öffentlich-rechtlichen System wäre nicht schlecht. Vielleicht benötigen wir dessen Unterstützung ja irgendwann auch einmal", schrieb Ulrich Deppendorf.

Dünne Nachrichtensuppe

Damit aber war die ARD-interne öffentliche Diskussion noch nicht vorbei. Denn am Mittwochabend antwortet Gniffke noch einmal dem Berliner Kritiker Deppendorf: "Sie haben völlig Recht - auch ich habe mich heute bei dem Gedanken an kollektives Hitzefrei und einen früheren Feierabend erwischt. Aber trotz schwülwarmer Hitze und schwächerer Ereignislage haben wir nun mal die Pflicht zu ordentlichen Sendungen, auch wenn die Nachrichtensuppe mal etwas dünner ausfällt. Gestern war jedenfalls so ein Tag, und als wir heute in unserer Morgenkonferenz kurz resümiert haben, wie die Zeitungen den gestrigen Tag bewertet haben, da sah man, wie unterschiedlich auch bei denen unsere Themen von gestern gewichtet wurden. Das bestätigt mich in meiner These, dass es alles nur 'Kann-Themen' waren."

Auf eine erneute Replik von Deppendorf warteten die Blog-Leser bisher vergebens. Der großgewachsene Journalist bereitet sich vermutlich schon auf sein nächstes Sommer-Interview vor: Als nächstes kommt der Grünen-Chef Cem Özdemir.

Vielleicht bringt der ja etwas gegen das Sommerloch mit.

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