ARD-Film "Kasse gegen Privat":Reporterin für die Armen

Kassenpatienten blutig entlassen? Sandra Maischberger wirft in der Reportage "Kasse gegen Privat" einen Blick auf die Zweiklassenmedizin - und scheitert.

Werner Bartens

Die medizinische Versorgung in Deutschland ist gut, dennoch gibt es viele irrwitzige Regelungen zu beklagen: Das System der Privatversicherungen gehört längst abgeschafft. Die Ökonomisierung der Heilkunde gefährdet die Beziehung zwischen Arzt und Patient. Die bis vor wenigen Jahren gültige Honorierung der Krankenhäuser nach der Zahl der belegten Betten war unsinnig, da Patienten in der Klinik behalten wurden, obwohl sie längst gesund waren. Die aktuelle Honorierung der Krankenhäuser nach Fallpauschalen ist noch absurder, da manche Patienten "blutig" entlassen werden, obwohl sie noch Pflege bräuchten. Sich das Gesundheitssystem genauer anzusehen, ist daher eine lohnende Aufgabe.

ARD-Film "Kasse gegen Privat": Moderatorin Sandra Maischberger bei der Heilkunde-Recherche für den ADR-Film "Kasse gegen Privat".

Moderatorin Sandra Maischberger bei der Heilkunde-Recherche für den ADR-Film "Kasse gegen Privat".

(Foto: Foto: NDR)

Sandra Maischberger ist dieser Aufgabe in ihrem Film Kasse gegen Privat leider nicht gewachsen. Sie bemüht den Topos von der Zweiklassenmedizin, hinterfragt ihn aber nicht und geriert sich als Anwältin der armen gesetzlich Versicherten. Das ist eine wohlfeile Attitüde, die unerheblich wäre, wenn Maischberger ordentlicher gearbeitet hätte.

Was den Arzt freut

Die Moderatorin fragt nicht, ob es gesetzlich Versicherten in Deutschland tatsächlich schlechter geht als Privatpatienten. Vieles spricht dafür, dass Privatpatienten durch überflüssige Untersuchungen und Therapien stärker gefährdet sind. Maischberger wiederholt die populäre Mär vom teurer werdenden medizinischen Fortschritt, ohne zu fragen, ob dieser Fortschritt den Patienten zugute kommt oder nicht eher den Firmen und Ärzten. Viele Medikamente, ob zur Behandlung von Bluthochdruck, Diabetes oder Depressionen, sind nur teurer aber nicht besser als die bewährten Mittel. Und in der Krebsmedizin gibt es seit Jahren eine Debatte, ob ein Zugewinn von einem Monat Lebenserwartung als Fortschritt zu bezeichnen ist, wenn dafür die Nebenwirkungen drastisch zunehmen.

Sandra Maischbergers Film hört da auf, wo eine echte Recherche anfangen würde. Sie zeigt einen Krebskranken. Arzt und Patient sind überzeugt, dass dem gesetzlich Versicherten die PET-Untersuchung das Leben gerettet hat. Die Krankenkasse zahlt die aufwendige Darstellung der inneren Organe aber nur in Ausnahmefällen. Warum das so ist und ob es medizinische Gründe dafür gibt, fragt Maischberger nicht. Dabei liefert die Untersuchung oft falsche Ergebnisse und zeigt einen Tumor an, wo keiner ist, was Patienten massiv verunsichert. Deshalb sind PET-Aufnahmen häufig keine Kassenleistung. Privatpatienten bekommen sie erstattet, benötigen aber wegen der unklaren Befunde weitere Untersuchungen, was wiederum den Arzt freut, der die PET anbietet. Von diesen Zusammenhängen erfährt man im Film nichts.

Um zu beurteilen, ob eine Diagnosemethode oder eine Therapie etwas taugen, muss man nicht die Patienten befragen, die sie bekommen oder den Doktor, der sie anbietet.

Energisch im Klinikflur

Es gibt Leute, die sich besser damit auskennen, in der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft etwa oder im Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG), das für das Gesundheitsministerium untersucht, wie nützlich eine Behandlung ist.

Einmal läuft Peter Sawicki, der IQWIG-Chef, durchs Bild, aber Maischberger fragt ihn nicht. Sie ist nah dran, aber da sie nicht ergebnisoffen vorgeht, wärmt sie alte Klischees auf, statt neue Erkenntnisse zu bieten. Die Moderatorin scheint immer schon zu wissen, was sie von ihren Gesprächspartnern hören will.

In einer Talkshow funktioniert das so, da besetzt man Positionen nach Plan, ruft Meinungen ab, die man vorher schon kennt. In ihrem Film ist das manchmal gefällig anzuschauen, wirkt aber meistens selbstgefällig. Albern und eitel ist es, wie Maischberger sich als investigative Reporterin stilisiert, in ihrer Redaktion vor dem Computer, unterwegs mit gezücktem Stift und Notizblock. Sie schreitet energisch Klinikflure ab, posiert vor Röntgenbildern und ist sich nicht zu schade, OP-Häubchen und OP-Hemdchen anzuziehen, um mit einem Chirurgen zu sprechen. Lauer Boulevard, statt Aufklärung. Schade um die vertane Chance.

Kasse gegen Privat: Sandra Maischberger und die Zweiklassenmedizin, ARD, 21 Uhr.

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