Architekturgeschichte:Der Eitle und die Kunst

Zum hundertsten Bauhaus-Jubiläum erzählt Ursula Muscheler von den Frauen um den Architekten Walter Gropius und bleibt dabei aber allzu sehr im Privaten.

Von Catrin Lorch

Cover für die Literaturbeilage ET 27.11.2018

Ursula Muscheler: Mutter, Muse und Frau Bauhaus. Die Frauen um Walter Gropius. Berenberg Verlag, Berlin 2018. 160 Seiten, 24 Euro.

"Tage wurden weinend verfragt ... Nächte weinend beantwortet. Walter Gropius kommt über meine Bindung mit Oskar Kokoschka nicht hinweg ... Ich brachte ihn auf die Bahn, dort übermannte ihn aber die Liebe derart, dass er mich kurzerhand in den schon abgefahrenen Zug hob und ich nun wohl oder übel mit nach Hannover fahren musste. Ohne Nachthemd, ohne die geringste Bequemlichkeiten und Hilfsmittel wurde ich so, ziemlich gewaltsam, die Beute dieses Mannes. Ich muss sagen, es gefiel mir nicht übel", schreibt Alma Mahler, die Frau des Komponisten und Dirigenten Gustav Mahler, über die Wirren ihres Liebeslebens an eine Freundin. Unter den Frauen, die Ursula Muscheler in ihrem Buch "Mutter, Muse und Frau Bauhaus" auftreten lässt, ist diese sicher die aufregendste: Alma Mahler-Werfel, die Gropius im Jahr 1915 standesamtlich in Berlin heiratete.

Einen Liebesgruß adressierte er an "Herrn Gustav Mahler", womöglich nicht aus Versehen

Ursula Muscheler hat im selben Verlag schon das hervorragende Buch "Das rote Bauhaus" veröffentlicht, das die wenig bekannte Geschichte der Architekten des Neuen Bauens nachging, die in die Sowjetunion emigriert waren. Ihr gelang damit eine Spurensuche, die vielen unterschiedlichen Aufbrüchen und Expeditionen folgte, bis hin zum Scheitern der Avantgardisten, unter deren Biografien die Schlusszeile "ging in die Sowjetunion" stand.

Auch das Buch über "Die Frauen um Walter Gropius" erzählt die Geschichte von Nebenfiguren. Es geht um die Mutter, die Geliebten, die Ehefrauen des einflussreichen Gestalters. Da es sich um private Beziehungen handelt, gibt es deutlich weniger Quellen. Ursula Muscheler muss vor allem auf private Notizen, auf Tagebücher und Briefe zurückgreifen: Angefangen von den Zeilen, mit denen der Student die Mutter Manon Gropius um Geld anbettelt, bis zu den widersprüchlichen, manipulativen und verwirrenden Liebesbriefen von Alma Mahler, die Gropius im Alter von 27 Jahren bei einem Kuraufenthalt in Tobelbad als erst dreißigjährige Gattin des weltberühmten Komponisten und Dirigenten kennenlernt.

In vieler Hinsicht sind Briefe in dieser Epoche eine hervorragende Quelle. Man schrieb sich teils mehrmals am Tag und während des Ersten Weltkriegs, so steht es im Buch, wurden mehr als 28 Milliarden Briefe befördert. Um alle Höhen und Tiefen der Verbindung zu Alma nachzuvollziehen ist die Korrespondenz sogar besonders geeignet, schließlich war es ein Brief, der die Affäre auffliegen ließ, weil Walter Gropius - womöglich nicht aus Versehen - einen leidenschaftlichen Liebesgruß an "Herrn Gustav Mahler" adressierte.

Dass der junge Gropius sich häufig von verheirateten Frauen angezogen fühlte, deutet Ursula Muscheler sofort: "Gropius darf man wohl zu den Männern zählen, zu deren Liebesbedingungen, wie Freud konstatiert, notwendig die des ,geschädigten Dritten' gehört. Dieser Typ Mann werde niemals ein Weib zum Liebesobjekt wählen, welches noch frei sei, sondern eines, auf das ein anderer Mann ,Eigentumsrecht' geltend machen könne." Nach bloß fünfzig Seiten, auf denen weder Biografie noch Werk des Künstlers Walter Gropius gewürdigt wurden, überrascht eine so grundsätzliche Analyse.

Zudem sind nicht alle Frauen, die Alma nachfolgen, in ihren Briefen so freizügig, egozentrisch und amüsant. Die Malerin Lily Hildebrandt, die Dichterin Maria Benemann und Ise, "Frau Bauhaus", seine zweite, deutlich jüngere Frau, die mit ihm in die Emigration nach England und die USA ging - sie alle formulieren deutlich verhaltener, zuweilen literarischer oder klarer.

Ein zweites Manko ist, dass Ursula Muscheler mit der Hauptfigur fremdelt. Sie nennt den faulen Schüler schon im Anfangsteil "Walty" und weist darauf hin, dass das Abitur "die einzige Prüfung, die er zeitlebens ablegte" gewesen sei und er das Universitätsstudium nicht lange durchhielt, auf dem sein Vater, selbst Königlicher Baurat am Polizeipräsidium in Berlin, und die ehrgeizige Mutter bestanden. Schon in München nutzte Walter Gropius ein Praktikum, um sich abzusetzen. Als er - nach einem Jahr bei den Husaren - dann in Berlin-Charlottenburg sein Studium fortsetze, verzettelte er sich mit Aufträgen und baute lieber Kornspeicher und Waschhäuser auf Gutshöfen.

"In den Collegs kann ich nach der langen Pause nicht mehr folgen", schrieb er an die Mutter, "ich gehe nicht mehr hin und arbeite alles nach Collegheften durch. Vor Statik graut mir am meisten."

Für die Aufnahme von Damen ans Bauhaus galt vorerst: Zurückhaltung

Das sind aufschlussreiche Zeilen. Sie ergänzen das Bild des im Jahr 1883 geborenen Walter Gropius, der heute als einer der bedeutendsten Gestalter und Vermittler der Moderne gilt und mit dem Bauhaus die bedeutendste Kunstschule des 20. Jahrhunderts begründet hat. Da Gropius selbst auch in eigener Sache ein zuverlässiger Propagandist und Netzwerker war, setzte er zeitlebens viel daran, nicht nur seine Projekte, sondern auch sich selbst ins rechte Licht zu setzen.

So bleibt das Buch unausgewogen. Dass der junge Architekt den Sammler und Gründer des Folkwang-Museums, den er in Madrid trifft, so für sich einnehmen kann, dass der ihn direkt Peter Behrens empfiehlt, dem künstlerischen Berater der AEG, bei dem auch Mies van der Rohe und Le Corbusier arbeiten, klingt wie ein Zufall, wenn man sich nicht die Mühe gibt, auch die ästhetischen Visionen und die Entwicklung eines künstlerischen Profils nachzuzeichnen. Doch wie der Bildteil, der ausschließlich Porträts und Familienfotos oder Schnappschüsse unter Freunden zeigt, so fokussiert auch der Text ausschließlich aufs Private.

Aus der Perspektive der Kunst ist die Berufung von Johannes Itten an das neu gegründete Bauhaus eine der folgenreichsten Personalien der jüngeren Kunstgeschichte. Der von Itten geprägte "Vorkurs" hatte Auswirkungen auf die Lehre, die sich sofort in der internationalen Architektur- und Kunstpädagogik abzeichnete und die Akademien und den Kunstunterricht in der Nachkriegszeit im Westen, vor allem in Europa und den USA, entscheidend beeinflusste. Es gibt keine wichtigere Personalie in diesem Bereich. Sie herunterzukürzen auf den Halbsatz "Johannes Itten, den Gropius in Almas Wiener Salon kennengelernt hatte", ist nah an der Desinformation.

So geht Ursula Muscheler, weil sie sich nur um die Frauengeschichten kümmert, ihre Hauptfigur verloren. Der narzisstische, eitle Mann, als der Walter Gropius aus der konsequent privaten Perspektive erscheint, steht aber bald im Widerspruch zur enormen Ausstrahlung und Bedeutung seiner Projekte. Dieser Gropius steht in einem eklatanten Widerspruch zu dem weltläufigen, charismatischen Macher, der eloquente Manifeste schrieb, die Kunstpädagogik neu erfand, Technik und Handwerk versöhnte, Zeitschriften und Kataloge herausgab und gleich vier der bedeutendsten Künstler der Avantgarde - Wassily Kandinsky, Oskar Schlemmer, Paul Klee, László Moholy-Nagy - in die deutsche Provinz holte.

Die Blindheit für die außerordentliche Begabung von Walter Gropius wirkt kleinmütig. Dabei finden sich im Buch viele Beobachtungen, die aufschlussreich für das Verhältnis zwischen Männern und Frauen in den Zwischenkriegsjahren sind. So machte sich Walter Gropius Sorgen, weil schon im Sommersemester 1919 nur 79 männlichen Bauhaus-Bewerbern 84 weibliche gegenübergestanden. Ein Jahr später schrieb er an die Meister: "Das Zahlenverhältnis der Studierenden männlichen und weiblichen Geschlechts ist ein derartiges, dass ohne Zweifel mit der Aufnahme von Damen zurückgehalten werden muss. Ich schlage daher vor, bei den Aufnahmen für absehbare Zeit Damen nur mit ganz außerordentlicher Begabung aufnehmen zu wollen."

Am Ende richtet die Autorin dann nicht nur über die Institution Bauhaus und eine nur vorgeblich emanzipierte Epoche, sondern auch - moralisch - über Walter Gropius und seine Frauen. Ihr Fazit: Alma, Lily, Maria und Ise hätten irgendwie mehr aus dem eigenen Talent, dem eigenen Leben machen können. Schließlich seien alle als höhere Töchter und mit viel künstlerischem Talent ausgestattet in eine Zeit hineingeboren worden, die Frauen durchaus die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung im Beruf ermöglicht hätte. Schade, das ambitionierte Werk hätte kurz vor dem hundertsten Bauhaus-Jubiläum in Zeiten der "Me Too"-Debatte ein interessanter Lesestoff werden können.

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