Architekturbiennale in Venedig:Mash-up der Monumente

Architekturbiennale

Das nachgebaute Vordach des Bungalows fährt der NS-Ästhetik des deutschen Pavillons schon am Eingang in die Parade.

(Foto: CLA/Bas Princen)

"Absorbing Modernity 1914-2014" lautet das Thema der Architekturbiennale in Venedig. Den Kuratoren Savvas Ciriacidis und Alex Lehnerer ist mit ihrem Schaukampf Bonner Kanzlerbungalow gegen deutscher Pavillon einer der besten Beiträge seit Langem geglückt.

Von Laura Weißmüller, Venedig

Nur der Staubsaugertrupp fehlt noch. Der rote Teppich vor dem Eingang wirft Falten, auch ein paar Kieselsteine haben sich darauf verirrt. Ansonsten aber ist alles bereit für den großen Auftritt: Film ab für Bungalow Germania, den deutschen Beitrag auf der Architekturbiennale in Venedig, die am Samstag eröffnet wird. Und, so viel sei vorweg gesagt, einen der besten Länderpavillons, den es seit Jahren in den Giardini gab. Die Idee der beiden Kuratoren Alex Lehnerer und Savvas Ciriacidis klang einfach. Die beiden Architekten, die an der ETH Zürich unterrichten, wollten den Bonner Kanzlerbungalow auf den deutschen Pavillon in Venedig treffen lassen. Das passte perfekt zum Thema "Absorbing Modernity 1914-2014", das der diesjährige Biennale-Chef Rem Koolhaas allen Länderpavillons verordnet hat.

Als Ludwig Erhard anlässlich seines Amtsantritts 1963 den Kanzlerbungalow bei dem Architekten Sep Ruf in Auftrag gab, wollte er eine architektonische Visitenkarte, ein Gebäude, das seine Verdienste als Vater der sozialen Marktwirtschaft unterstrich und sein Motto "Wohlstand für alle". Gleichzeitig durfte der Bau aber auf keinen Fall triumphierend oder einschüchternd wirken - schließlich zimmerte sich hier eine Nation ein Denkmal, deren Allmachtsanspruch vor nicht allzu langer Zeit die Welt in die Katastrophe gestürzt hatte.

Wie Ruf die Aufgabe erfüllte, ist bekannt - die Nation sah den 1964 fertiggestellten Bau fast täglich im Fernsehen. Durch die raumhohen Glasfassaden der zwei sich überschneidenden Quader symbolisierte er die Ideale von Demokratie, Offenheit und Transparenz der jungen Bundesrepublik. Gleichzeitig verkörperte die Bungalow-Typologie für viele Deutsche die Sehnsuchtswohnform.

Böser Nazi, guter Demokrat?

Auch der deutsche Pavillon in Venedig hat mit nationaler Sehnsucht zu tun, nur war es in diesem Fall die nach Ehrfurcht gebietende Größe. Als Adolf Hitler 1934 den von Daniele Donghi 1909 entworfenen bayerischen Pavillon besuchte, der 1912 einen antikisierenden Fries und ein Giebelfeld verpasst bekam und fortan Padiglione della Germania hieß, empfand er ihn als viel zu klein für seine Nation. Der Architekt Ernst Haiger, der beim Bau des Hauses der Kunst in München mitgearbeitet hatte und sonst vor allem großbürgerliche Privatvillen entwarf, monumentalisierte den Pavillon daraufhin: mit massiven Pfeilern, einer theatralischen Apsis, der Verdoppelung der Grundfläche und einem Eingangsportal, über dem "das Hoheitszeichen des dritten Reichs auf den neuen Geist deutscher Kunst" vorbereite, wie Haiger 1938 schrieb.

Doch wer glaubt, das Aufeinandertreffen der beiden Bauten liefere ein simples Lehrstück, in dem die Rollen bereits verteilt sind - hier der böse Nazi, dort der gute Demokrat -, der irrt. So, wie der Name der beiden Bauten verschmolzen ist, sind es nun auch der Pavillon und der originalgetreue Nachbau des öffentlichen Teils des Kanzlerbungalows. Dessen weit auskragendes Flachdach stößt gleich zur Begrüßung keck durch das herrschaftliche Eingangsportal des Pavillons; vor dessen Apsis steht jetzt ein großer Kamin.

Dafür zerschneiden die Wände des Pavillons den größten Raum des Bungalows. Der Saal, in dem Udo Jürgens für Kurt Georg Kiesinger spielte, Leonid Breschnew, Willy Brandt und Walter Scheel über die Ost-West-Annäherung diskutierten und Michail Gorbatschow mit Helmut Kohl die Wiedervereinigung besprach, wird dreigeteilt. So geht das in einem fort: Ein Gebäude ringt mit dem anderen - als ebenbürtigem Gegner. Wäre es ein Kampf der Worte, würde jeder den anderen aussprechen lassen - um dann zu kontern.

Architekturbiennale in Venedig: Blick auf den Kanzlerbungalow aus dem vorgelagerten Park.

Blick auf den Kanzlerbungalow aus dem vorgelagerten Park.

(Foto: © 2014, ProLitteris)

Ein lupenreiner Demokrat

Interessant ist dabei dreierlei: Erstens, wie sich Bungalow und Pavillon immer wieder passgenau überschneiden, wo doch ihre jeweilige politische Bedeutung so diametral auseinanderweisen soll. Wer das große weiße Faltblatt, das in der Ausstellung die einzige Information liefert, gegen das Licht hält, sieht die Grundrisse beider Bauten übereinandergeblendet. Nicht nur einige Wände verlaufen da synchron, sondern plötzlich steht auch der offene Patio, den Sep Ruf ganz bewusst aus der Zentralachse geschoben hat, um das bei den Nationalsozialisten so beliebte Repräsentationsmittel der Symmetrie zu vermeiden, wieder mittig im Raum.

Zweitens ist bemerkenswert, wie gut die reine Architektur des einen Baus durch den Kontext des anderen lesbar wird. Besonders drastisch ist das im Zentralraum des Pavillons zu sehen. Die schwarze Bungalowdecke, die hier so kläglich niedrig in den gewaltigen Innenraum ragt, macht auf zwei weitere Decken aufmerksam. Die ganz oben mit den offenen Stahlbetonunterzügen, die dem Raum den Charme einer Industriehalle verleiht; und die mehrere Meter weiter unten, wo Haiger 1938 die Tuchdecke eingezogen hatte, deren Verlauf heute noch erkennbar ist.

Die monumentale Höhe des Pavillons, die gerne dem Monumentalismus der Nazis zugeschrieben wird, war tatsächlich seinem letzten Umbau 1964 geschuldet. Erst im selben Jahr, als man in Bonn den Bungalow baute, legte man in Venedig die Decke frei. Bis dahin waren auch die vielen Fenster für den Besucher im Innenraum nicht zu sehen. Bei Haiger dienten sie nur der Beleuchtung der transluzenten Decke.

Das Erstaunlichste an dieser Montage aber ist, wie sie die rhetorischen Tricks gerade beim Kanzlerbungalow deutlich macht. Lehnerer und Ciriacidis nennen es "die Entmythologisierung des Glases als Glücksversprechen". Da der Bungalow aus Glas und Stahl jetzt nicht mehr im Grün der Bonner Flusslandschaft steht, sondern inmitten weißer Wände, bekommen seine Umgrenzungen plötzlich eine Kontur, die sie vorher nicht hatten. Was so offen, durchsichtig und damit demokratisch wirkte, erscheint plötzlich hermetisch abgeriegelt. Die Glaswand entlarvt ihre trennende Funktion. Statt den Blick durchzulassen, prallt der immer wieder ab.

Architekturbiennale in Venedig

2014 prallen in Venedig zwei wichtige deutsche Gebäude aufeinander: der deutsche Pavillon und der Kanzlerbungalow in Bonn.

(Foto: CLA/Bas Princen)

Was das bedeutet? Dass eine Wand aus Glas auch nicht demokratischer ist als eine aus Stein und Beton. Tatsächlich verschanzte sich der ach so demokratische Kanzlerbungalow wie ein Schloss in einem weitläufigen Park. Sogar ein unterirdischer Atombunker war ursprünglich geplant. Doch nach der Debatte um die horrenden Baukosten des Bungalows begnügte man sich schließlich mit einem normalen Luftschutzkeller, Standard im Kalten Krieg. Bild titelte 1964 prompt "Erhard wohnt wie ein Maulwurf."

Die gläserne Offenheit als Symbol für Demokratie wirkt jedenfalls wenig glaubwürdig. Noch dazu heute, wo Glas und Stahl viel von ihrer einst hehren Fortschrittlichkeit eingebüßt haben. Für die amerikanische Architekturhistorikerin Joan Ockman stehen die Materialien für Kapitalismus und Großkonzerne. Für den Soziologen Richard Sennett für das Absterben des öffentlichen Raumes.

All das zeigt, wie Architektur politisch instrumentalisiert wurde. Bei aller vermeintlichen Privatheit des Bungalows war der ja tatsächlich vor allem politische Bühne. Schon Erhard wusste: "Moderne Politik stellt sich vor der Kamera dar, nicht im Parlament." Und postulierte: "Sie lernen mich besser kennen, wenn Sie dieses Haus ansehen, als wenn Sie mich eine politische Rede halten sehen."

Häuser als Propagandisten ihrer Bauherrn

Das offene Wohnzimmer kennt die Nation denn auch nur durchs Fernsehen. Kaum einer hat den Bungalow, den die Nachfolger von Erhard nicht besonders schätzten und nach ihrem Gusto umbauen ließen, je in Bonn besucht. Versteckt im Park hatte er nicht einmal eine öffentliche Fassade. Erst die Kamera hat sie ihm gegeben - und in gewisser Weise auch sein Bild geformt. Die weißen Wände des Pavillons sehen denn auch aus wie die Außenmauern eines Fernsehstudios. Was hier im weißen Licht präsentiert wird, ist ein TV-Star. Ein lupenreiner Demokrat.

Indem die Kuratoren die politische Rolle beider Bauten offenlegen, machen sie ein System sichtbar, das sich leicht auf andere Häuser übertragen lässt. Etwa auf das neue BND-Gebäude, das durch seine abertausend Glasfenster Offenheit suggeriert, obwohl von dort aus in Wahrheit die Durchleuchtung aller betrieben wird. Oder die amerikanische Botschaft in Berlin, die sich am Brandenburger Tor in einer Art monumentalem Hochbunker vor vermeintlichen Gefahren schützt, den sie aber nebenbei zu Spionageangriffen benutzt.

Es gäbe noch viele andere Beispiele dafür, wie Häuser als Propagandisten ihrer Bauherren dienen. Die Kuratoren schärfen einem mit ihrer so sorgfältigen wie spektakulären Montage - alle Materialien, die für den Bungalow-Nachbau verwendet wurden, sind mit denen in Bonn identisch, die Stahlträger wie die 14 Tonnen Ziegel - dafür den Blick.

Nicht zuletzt führen sie aber auch vor, wie gut sich der Pavillon heute für Ausstellungen eignet - nicht trotz, sondern gerade wegen seiner Geschichte. Alle, die ihn mal wieder abreißen und neu aufbauen wollen, ob luftig, massiv, unterirdisch oder noch monumentaler, als er schon ist, sollten sich diese Ausstellung nicht entgehen lassen.

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