Süddeutsche Zeitung

Architektur:Zara Pfeifer

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Von Till Briegleb

Trabantenstädte haben einen miesen Ruf. Außer der Wohnpark Alt-Erlaa in Wien. Vielleicht weil sein Architekt Harry Glück hieß? Wohl eher, weil hier die Verheißungen der Ultramoderne zu Ende geplant wurden. Hochhäuser im Grünen als Rundumversorger. Alles, was in Wohnsatelliten sonst fehlt an Vielfalt und Lebensqualität, hat Glück in der seit 1968 entwickelten Hochhaussiedlung umsetzen dürfen. Bis hin zum spektakulären Wahrzeichen der Anlage: sieben Schwimmbäder auf den Dächern.

Der Neid auf diesen Luxus, der sonst Edelhotels vorbehalten ist, treibt die Warteliste des Vermieters ins Ellenlange. Und das in einer Stadt wie Wien, wo auf dem Wohnungsmarkt seit 100 Jahren soziale Verhältnisse herrschen, als gäbe es den Spekulations-Kapitalismus nicht. Trotzdem existieren auch dort Anlagen, die dem miesen Ruf des seriellen Wohnregals entsprechen. Aber diese haben eben auch kein Ärzte- und Einkaufszentrum, keine Kirche und keine eigene Fernsehsendung. Und ihnen fehlt der Clou, den Harry Glück mit drei lebensnahen Vorschlägen für die 9000 Mieter erzeugt hat: die Pools, die hängenden Gärten und Clubs.

Glücks Idee, ein Hochhaus als "gestapelte Einfamilienhäuser" zu verstehen, reicht zwar immer nur bis zum 12. Stock der doppelt so hohen Anlage. Aber bis hier besitzt jede Wohnung eine Art Vorgarten mit riesigem Betonbeet in Terrassenform. Das sieht nach 50 Jahren aus wie ein spektakulärer vertikaler Wald. Und in dem Hohlraum, der durch die aufgespreizte Basis entsteht, befinden sich fensterlose Säle, die von 33 Bewohnergruppen genutzt werden. Für Modellbau, Bingo und Jiu Jitsu, Rockmusik und Tanzabende.

Diese Aktivitäten einer verschworenen Gemeinschaft hat die Künstlerin Zara Pfeifer mit großer Herzlichkeit dokumentiert und stellt die Bilder unter dem Titel "Du, meine konkrete Utopie" jetzt in der BDA-Galerie in der Hamburger Hafencity aus. In diesem Neubaustadtteil mit seinem durchkommerzialisierten Investoren-Standard wirken Pfeifers Bilder wie die Rote Pille in "Matrix": Man erwacht und merkt, dass glückliches Leben etwas anderes ist als Kettenläden und Rekordmieten.

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Quelle:
SZ vom 29.02.2020
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