Architektur:Volle Kanne

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Wie der Gasometer Oberhausen zum Wahrzeichen für den Strukturwandel im Ruhrgebiet wurde, und was das mit deutscher Ingenieursbaukunst zu tun hat.

Von Alexander Menden

Vom Dach des Gasometers Ober"hausen sind die Schichten der industriellen und postindustriellen Geschichte des Ruhrgebiets in einem Schwenk erfassbar: Im Nordosten, Richtung Bottrop, raucht noch immer die Kokerei Prosper; im Westen liegt das Schloss Oberhausen mit der Ludwiggalerie. Zu Füßen des Gasometers fließen der die Emscher und die Autobahn 43 einträchtig nebeneinander her, während sich in direkter Nachbarschaft das Einkaufszentrum Centro und die Arena Oberhausen breitmachen - Tür an Tür mit dem eleganten, 1920 vom Industriedesignpionier Peter Behrens errichteten, ehemaligen Lagerhaus des Gutehoffnungshütte-Konzerns.

Doch wohl kein Bauwerk symbolisiert so augenfällig den Strukturwandel im Revier wie der Gasometer selbst. Der mit einem Volumen von 3470 Kubikmetern einstmals größte Scheibengasbehälter Europas, der die Walzwerke der Umgebung von 1929 bis 1988 mit Brennstoff versorgte, feiert in diesen Tagen sein 25. Bestehen als Ausstellungshalle. Diese Umwidmung sei "an sich ja völlig irre" gewesen, räumt Geschäftsführerin Jeanette Schmitz ein. Sie stammt selbst aus Oberhausen, leitet die Ausstellungshalle fast schon so lange, wie diese besteht, und weiß nur zu gut, dass es ganz anders hätte laufen können.

Christo und Jeanne-Claude hängten hier eine riesige Wand aus Ölfässern in den 100 Meter hohen Luftraum

Denn nach der Stilllegung war völlig unklar, was man mit dem Riesenzylinder nördlich der Innenstadt anfangen sollte. Der Einbau eines Hochregallagers oder ein Indoor-Golfplatz waren im Gespräch, der Abriss schien lange die nächstliegende Option. Daher stieß die Idee des Geschäftsführers der Internationalen Bauausstellung Emscher Park, Karl Ganser, eine Ausstellungshalle aus dem Gasometer zu machen, zunächst auf Skepsis. Doch der überraschend große Erfolg der ersten Ausstellung "Feuer und Flamme" (1994), die der Industriegeschichte des Ruhrgebiets gewidmet war, ebnete den Weg für die dauerhafte Nutzung. "Akzeptanzprobleme bei der Bevölkerung gab es ohnehin nie", sagt Jeanette Schmitz. Die Besucherzahlen lägen bei 300 000 bis 500 000 im Jahr. Das liegt sicher auch an dem unsubventionierten, publikumsfreundlichen Ausstellungsprogramm, das konzeptionell in Klotzen statt Kleckern seine Marktnische gefunden hat. Die größte Herausforderung an jeden Kurator - die Dimensionen eines Rundbaus mit 68 Metern Durchmesser und einer Grundfläche von 3500 Quadratmetern - wurde dabei in eine Stärke gewandelt: Christo und Jeanne-Claude hängten eine riesige Wand aus Ölfässern in den 100 Meter hohen Luftraum über der "Manege" des Gasometers, der Mond und die Erde wurden auf Basis hochaufgelöster Sattelitenbilder als Projektionen auf gigantische Kugeln projiziert. Andere Projekte, etwa Opernaufführungen, erwiesen sich hingegen aufgrund der Akustik als ziemlich inkompatibel mit dem Riesensilo.

Deutsche Ingenieurbaukunst: die Konstruktion Europas ehemals größtem Scheibengasbehälters. (Foto: Thomas Machoczek)

Der Tatsache, dass der Gasometer, erbaut von MAN, zuerst und vor allem ein Stück industrieller Architekturgeschichte darstellt, haben nun die Bundesingenieurkammer und die Ingenieurkammer-Bau Nordrhein-Westfalen Rechnung getragen, indem sie ihn zum "Historischen Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland" ernannten. Tatsächlich ist die Form in innovativer Weise an der früheren Funktion als Zwischenspeicher für Gichtgas aus den nahen Hochöfen ausgerichtet. Die Decke der Eingangshalle bildet die Abdichtscheibe, die früher den mit Gas gefüllten Bereich des Behälters von dem oberen, mit Umgebungsluft gefüllten Raum trennte. Die Scheibe bewegte sich je nach Gasinhalt an den Führungsschienen im Inneren der Struktur auf und ab.

Beim Betreten des Gasometers kann man noch immer ein wenig das Öl-Teer-Gemisch riechen, das früher als Gleitmittel für die Scheibe diente. Mittlerweile ist diese schwarze Masse eingetrocknet und bildet von innen eine Versiegelung des Mantels aus nur fünf Millimeter starkem Mantelblech. Dennoch setzt nach mehr als 90 Jahren Korrosion der Struktur zu. "Manche Stellen sind einfach ein kosmetisches Problem", so Jeanette Schmitz. "Aber an anderen würde der Rost irgendwann die Statik bedrohen." Derzeit läuft noch die Ausstellung "Der Berg ruft". Sie ist die letzte des langjährigen, vergangenen Januar verstorbenen Kurators Peter Pachnicke. "Piece de Résistance" ist eine auf den Kopf gestellte, immerhin 17 Meter hohe Kopie des Matterhorns. Ende Oktober wird der Gasometer dann für ein Jahr geschlossen und einer Generalüberholung unterzogen, für deren Kosten in Höhe von 14,5 Millionen Euro Bund, Land und Regionalverband Ruhr gemeinsam aufkommen.

Kein Bauwerk symbolisiert so augenfällig den Strukturwandel im Ruhrgebiet wie der Gasometer. Hohe Besucherzahlen zeigen die Akzeptanz der Bevölkerung für die neue Nutzung. (Foto: Thomas Machoczek; Thomas Machoczek)

Die Planung geht natürlich bereits über diese Zeit hinaus. Ein Wunschprojekt aber hat Geschäftsführerin Jeannette Schmitz noch nicht realisiert: Sie würde gerne die künstliche Sonne ins Gasometer holen, die der Künstler Ólafur Elíasson in die Turbinenhalle der Londoner Tate Modern hängte. Das, findet Schmitz, wäre nach Mond und Erde der logische nächste Schritt.

© SZ vom 10.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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