Architektur:Ungeliebt, aber prägend

Am Sonntag ist Tag des offenen Denkmals. Diesmal wird zum ersten Mal auch für die Bauten der Postmoderne geworben. Doch die Architektur der Boomzeit stellt den Denkmalschutz auf die Probe.

Von Ira Mazzoni

Der "Korken" ist wohl das jüngste Denkmal in Deutschland. Erst 2001 fertiggestellt, wurde der markante Turm der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart Ende vergangenen Jahres unter Denkmalschutz gestellt. Nachdem die benachbarte Neue Staatsgalerie - die zum Korken gehörende Flasche - schon zuvor in die baden-württembergische Denkmalliste eingetragen worden war, ist nun die gesamte Kulturmeile, geplant vom britischen Stararchitekten James Stirling, als "seltenes Gesamtkunstwerk der postmodernen Architektur und Stadtplanung" geschützt.

Diesen Sonntag ist wieder Tag des offenen Denkmals. 3,5 Millionen Besucher werden bei der größten Kulturveranstaltung in Deutschland erwartet. Unter dem Motto "Modern(e): Umbrüche in Kunst und Architektur" nutzen dieses Jahr endlich die Landesdenkmalämter den Tag, um für die Bauwerke der späten Moderne zu werben. Ein politisch und gesellschaftlich lange unterdrückter Diskurs. Aber ein einziger Tag ist nicht genug, um ein Verständnis für diese lange ungeliebte Epoche zu erzeugen. Und die Zeit drängt.

Denn während die Inventarisatoren in Baden-Württemberg schon dabei sind, den Baubestand aus den 1980er-Jahren - Rathäuser, Verwaltungsbauten, Universitäten, Museen, Theater - systematisch auf seine Denkmalwürdigkeit zu überprüfen und mit ungewohnt ausführlichen Begründungen zu erfassen, hebt der Landeskonservator von Bayern, Mathias Pfeil, die Hände: Wir sind noch nicht so weit. Denkmäler sind nach dem Bayerischen Denkmalschutzgesetz "von Menschen geschaffene Sachen oder Teile davon aus vergangener Zeit". Die Postmoderne gehört in Bayern ganz offiziell bislang nicht dazu. Das hat Auswirkungen.

Umbauten gelten immer noch als kompliziert und teuer. Ein Abrissantrag ist da schnell gestellt

Etwa bei der Neuen Pinakothek in München. Das nach langer Planungs- und Bauzeit 1981 fertiggestellte Museum wird aktuell gerade modernisiert. Dabei beteuern alle Beteiligten, das Haus "wie ein Denkmal" zu behandeln. Aber wie macht man das, wenn nirgends fachlich fixiert ist, was den Denkmalwert des Hauses ausmacht? Auch wenn allseits guter Wille signalisiert wird, ist es ein fatales Zeichen, wenn es im Ermessen einer Baubehörde, eines Architekten und der Nutzer selbst liegt, die Verträglichkeit von gewollten und für nötig gehaltenen Eingriffen festzustellen. Denn dadurch wird Denkmalpflege beliebig.

Die neue Pinakothek in München

Wird bei der Sanierung ´wie ein Denkmal` behandelt, ist aber keines: Die Neue Pinakothek in München.

(Foto: Neue Pinakothek)

Während in der auf die Münchner Baugeschichte und die Bildersammlung maßgeschneiderten Pinakothek "nichts gebaut werden soll, was eine spätere Unterschutzstellung durch das Denkmalamt entgegenstünde", wie der Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen Bernhard Maaz versichert, steht dem größten städtischen Kulturzentrum Deutschlands, dem Gasteig in München, eine hochglanzpolierte Generalsanierung bevor. Diese wird auf Wunsch ambitionierter Politiker und Intendanten den Charakter des Bauwerks grundlegend verändern, ohne dass je über die Denkmalqualitäten ernsthaft gesprochen worden wäre. Jetzt ist es zu spät. Zu spät, wie für viele Bauwerke der jüngeren Vergangenheit, die zwar inzwischen von der Architekturgeschichte gewürdigt werden, aber auf der Straße und in der Politik auf Verachtung stoßen. Aus Unverständnis oder Kalkül.

Veraltete Technik, spröde Kunststoffe, undichte Dächer, korrodierende Fassadenaufhängungen, offen liegende Betonarmierungen führen dazu, dass die nicht zuletzt durch mangelnden Bauunterhalt unansehnlich gewordenen Großarchitekturen aufgegeben werden. Zudem mag sich nicht jeder Neueigentümer mit der Strenge der Spätmoderne oder der plastischen Wucht des Béton brut identifizieren. Dabei müsste das wachsende Bewusstsein für graue Energie und das Wissen um die horrenden, hoch schadstoffbelasteten, kaum zu recycelnden Müllberge der Bauindustrie eigentlich dazu führen, sich für ein langes Leben der Großbauten aus der Spätmoderne einzusetzen. Allein: Es wird immer noch falsch gerechnet. Umbauten gelten als kompliziert, langwierig und damit teuer. Wenn gleichzeitig der Bodenpreis in den begehrten Innenstadtlagen steigt, dann ist der Abrissantrag für den Betonklotz beim Planungsreferat schnell gestellt.

Die Bauten der Boomzeit stellen die Denkmalpflege auf eine harte Probe. Die Denkmalschutzgesetze wurden in Abwehr der Bauten formuliert, die sie jetzt - eine Generation später - beschützen sollen. Die legendäre Wanderausstellung zum Europäischen Denkmalschutzjahr 1975 forderte nachdrücklich eine "Zukunft für unsere Vergangenheit" indem sie Fotos von üppigen Gründerzeitfassaden mit Hochhausbaustellen kontrastierte. Kritisiert wurden "Kahlschlagsanierungen", Reißbrett-Ideologie und der Funktionalismus ganz allgemein. Die Nachfolger stehen jetzt vor der schwierigen Aufgabe, die Demagogie der Bilder zu brechen, die halfen, die Institution Denkmalpflege zu festigen. Wie können sie der Öffentlichkeit klarmachen, dass es außer grandiosen Planungsfehlern und Bausünden auch hohe Qualität gab, die manche Stadt heute mehr prägt als die gotische Stadtkirche?

Architektur: Die Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart dürfte das jüngste Denkmal Deutschlands sein. Der Bau wurde erst 2001 fertiggestellt und steht seit Ende vergangenen Jahres unter Denkmalschutz.

Die Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart dürfte das jüngste Denkmal Deutschlands sein. Der Bau wurde erst 2001 fertiggestellt und steht seit Ende vergangenen Jahres unter Denkmalschutz.

(Foto: mauritius images / Herbert Kehre)

Inzwischen wächst der Druck auf die Landesdenkmalämter, ihre Denkmallisten zu aktualisieren. Der Druck kommt von ungewohnter Seite: den im Deutschen Städtetag vertretenen 3400 Kommunen mit zusammen 52 Millionen Einwohnern. In dem Positionspapier "Denkmalschutz braucht Grundlagen" äußert der Städtetag die Sorge, dass es in den kommenden Jahren aufgrund des hohen Veränderungsdrucks zu erheblichen Verlusten an Denkmälern kommen wird, besonders an jüngeren: "Mit einem unkontrollierten substantiellen oder gestalterischen Verlust droht ein baukultureller Geschichts- und Identitätsverlust Deutschlands." Um dem vorzubeugen, wird eine Intensivierung der Inventarisationsarbeit gefordert. Außerdem wird eine Transparenz in der Argumentation nach wissenschaftlichen Kriterien verlangt. Dafür muss die entsprechende Forschung verstärkt werden. Doch viele Denkmalämter wurden in den letzten Jahren finanziell und personell ausgehungert. Inventarisation hatte keine Priorität. Gerade mal die Denkmäler der 1950er und 1960er wurden noch einigermaßen systematisch erfasst. Bayern ist aktuell erst dabei, die Bauten der 70er zu inventarisieren. Die Universitätsbauten stehen an. Jüngere Bauwerke wurden in der Hälfte aller Bundesländer nur vereinzelt geprüft, wenn schon Gefahr in Verzug war. Keine gute Ausgangslage, um eine nachgereichte Denkmalerklärung auch gerichtssicher zu machen.

"Es macht Freude, die 1970er-, 80er-Jahre zu entdecken", erklärt der für Inventarisation zuständige Referent Martin Hahn im baden-württembergischen Landesamt für Denkmalpflege. Jüngst hat er die erste, 1985 bezugsfertige Öko-Siedlung Deutschlands in Tübingen unter Schutz gestellt. "Wir müssen die Geschichte erzählen - es kommt auf das Wie an." Seine Denkmalbegründungen sind für die neuere Zeit nicht drei Zeilen lang, sondern mitunter drei Seiten. Und wenn er vor Ort ist, etwa im 1979 fertiggestellten Hoch-Rathaus Sindelfingen, dann verstehen selbst Stadträte, die sich in ihrem Verwaltungsbau bis heute unwohl fühlen, warum ihre ungeliebte Wirkstätte ein historischer Meilenstein für die Stadt war und bleiben muss.

Wenn am Wochenende der alljährliche Tag des offenen Denkmals begangen wird, dann haben auch die Bürger mancherorts die Gelegenheit, jüngere Denkmale fachkundig begleitet für sich zu "entdecken". Aber um Verständnis zu werben, ist keine Aufgabe für Fest- und Feiertage, sondern Voraussetzung für einen wirksamen Denkmalschutz.

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