Architektur und Akustik:"Wunderbar klare und frische Resonanz"

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Roter Samt, lüsterne Kronleuchter und ein aufgefrischter Klang: Das Duo Herzog & de Meuron hat das Basler Stadtcasino umgebaut. Aber nicht allen Orchestern bietet der Konzertsaal ideale Bedingungen, das wusste schon Karajan.

Von Michael Stallknecht

Acht Alphörner füllen mit ihren langen, tiefen Tönen das Basler Stadtcasino, überlagern sich von allen Seiten des Balkons in "Einkreisung", dem Auftragswerk der Komponistin Helena Winkelman. Noch merkwürdiger ist freilich, mindestens aus deutscher Sicht, der Anblick zwischen den Alphörnern: Zuhörer, die auch während des Konzerts ihren Mund-Nasen-Schutz tragen, aber dafür dicht nebeneinander den Saal füllen.

Eintausend Menschen finden Platz auf den 1300 Sitzen, nur durch einzelne freie Reihen in Sektoren geteilt. Auch die Streicher müssen später auf der Bühne nur einen Meter Abstand voneinander halten, die Bläser eineinhalb. Die flexibleren Schweizer Corona-Regeln sind die Grundlage dafür, dass das Sinfonieorchester Basel die neue Saison mit einem Konzert eröffnen kann, auf das es sich vier Jahre lang gefreut hat. Sie kehren damit nämlich in ihren angestammten Konzertsaal zurück, der 1876, im Jahr der Orchestergründung, vom Architekten Johann Jakob Stehlin-Burckhardt fertiggestellt wurde.

Dass sich etwas verändert hat, merkt man im Saal eigentlich nur zu Beginn, wenn das Tageslicht durch die hohen Fenstern hereinfällt, die in den Achtzigerjahren zugemauert worden waren. Aufgerissen haben sie Jacques Herzog und Pierre de Meuron, die damit die Verbindung wieder herstellen zwischen dem Stadtcasino und der Stadt, in der die beiden geboren sind und in der sie ihren Stammsitz haben.

Doch braucht es eines der international erfolgreichsten Architektenbüros, um in einem denkmalgeschützten Saal ein paar Fenster zu öffnen? Vielleicht nicht unbedingt dafür, aber sehr wohl dafür, neue Bindungen und damit auch neue Verbindlichkeiten herzustellen zwischen der Basler Bürgerschaft und ihrem bedeutendsten, für seine Akustik gerühmten Konzertsaal.

Man muss in die Geschichte dieses Umbaus eintauchen, die mit einem spektakulären Entwurf der Architektin Zaha Hadid beginnt. 2007 lehnten die Basler Bürger ihn in einer Volksabstimmung ab, weil er ihnen nicht in das historische Bauensemble am Barfüßerplatz zu passen schien. Danach durften Herzog & de Meuron loslegen, die durchaus ebenfalls mit spektakulären Bauten wie der Tate Modern in London, der Münchner Allianz Arena oder der Hamburger Elbphilharmonie bekannt geworden sind.

Versammlungsort mit ganzheitlichem Sinnlichkeitspotenzial: Der Konzertsaal des umgebauten Stadtcasinos beschwört den Geist des 19. Jahrhunderts. (Foto: Roman Weyeneth, Stadtcasino Basel)

Beim Stadtcasino dagegen haben sie sich auf eine Weise zurückgenommen, die mit dem Ressentiment gegen architektonisch Auffälliges auf durchaus ironische Weise spielt. Man betritt den Saal nicht mehr von einer viel befahrenen Straße, sondern vom Platz selbst her, der damit in sommerlichen Tagen wie diesen zu einer ersten Bühne für das Publikum wird. Für die neue Außenfassade haben Herzog & de Meuron die ursprüngliche Fassade des Konzertsaals einfach dupliziert, aber nicht aus Stein, sondern aus bemaltem Holz.

Es ist ein Spiel mit der Illusion, aber auch mit dem Sehen und Gesehenwerden, das sich im Inneren fortsetzt, in den neuen Foyers, die die beengten Vorbauten aus den Dreißigerjahren ersetzen.

Dort kann sich der Zuschauer selbst in den vielen Spiegeln oder leicht verschwommen in mattiertem Chromstahl betrachten oder auf der Ebene des Balkons durch eine kreisförmige Öffnung heimlich auf das Publikum auf Parkettebene hinuntersehen. Außerdem wurde der Bau unterkellert, um in einem weiteren Untergeschoss Platz für Garderoben und - in Corona-Zeiten wichtiger denn je - eine moderne Belüftungsanlage zu schaffen. Umgerechnet 72 Millionen Euro haben der Anbau und die Überholung des Saals gekostet, wobei die widerspenstigen Basler durchaus Bürgersinn bewiesen, indem sie die Hälfte aus privaten Mitteln aufbrachten und zusätzlich noch eine neue Orgel für den Saal spendierten.

An den Kostenrahmen haben sich Herzog & de Meuron entgegen ihrem Ruf gehalten, weil er im Gegensatz etwa zur Hamburger Elbphilharmonie von Beginn an mit bürgerlichem Realismus kalkuliert war.

Wer jemals beispielsweise in der Münchner Philharmonie in der Pause auf mehreren völlig isolierten Ebenen versucht hat, seine Freunde wiederzufinden, dürfte die Bedeutung von sinnvoll angelegten Foyers kaum überschätzen. Herzog & de Meuron bieten dem Basler Bürgertum mit ihrem neuen Vorbau eine Bühne, auf der es sich nun ideal selbst darstellen kann. Die drei Ebenen sind durch breite, verspielt geschwungene Treppenhäuser verbunden, deren Wandbespannung aus weinrotem Brokat jener der Opéra Garnier in Paris nachempfunden ist. Wie sie überhaupt den Geist des 19. Jahrhunderts beschwören, der in Oper und Konzertsaal nicht nur funktionale Orte des Musikhörens, sondern Versammlungsorte mit ganzheitlichem Sinnlichkeitspotenzial sah. Rotsamtene Sitznischen und Scheinvorhänge erinnern an die Separees, die in Operetten oft dem Ehebruch dienen, die Polster aus beigefarbenem Samt rund um das obere Guckloch scheinen einem der Sitzmöbel aus der "Fledermaus" oder der "Lustigen Witwe" nachempfunden. Geradezu lüstern fließt der Kronleuchter aus der tropfenförmigen Decke, der denen drinnen im Saal nachempfunden ist. Herzog & de Meuron sind also ihrem Credo treu geblieben, nicht als Marke, sondern aus dem Geist des jeweiligen Ortes zu bauen.

Spiel mit der Illusion: Das Treppenhaus des Stadtcasinos. (Foto: Roman Weyeneth, Stadtcasino Basel)

Gleichzeitig aber setzen sie auf hintersinnige Weise durchaus einen Gegenakzent zur repräsentativen Bürgerlichkeit im Konzertsaal, indem sie mit süffiger Eleganz an die andere, geheimere Seite des Bürgertums erinnern.

Drinnen im Konzertsaal dagegen hatte vor allem der Akustiker Karlheinz Müller von der Münchner Firma Müller-BBM die Federführung, nachdem die neuen Fenster aus Spezialglas den Straßenlärm draußen halten. In der Schuhschachtelform mit ihrer ohnehin günstigen Proportion zwischen Höhe und Breite hat er vor allem versucht, den Klang wieder frischer zu machen, indem er den Obertonreichtum noch erhöht hat. Durch die neue Unterkellerung schwebt der Fußboden sechzig Zentimeter über einer Betonzwischendecke.

Beim Hörtest im Eröffnungskonzert des Sinfonieorchesters Basel lässt sich nachvollziehen, warum die Akustik immer wieder mit der des Amsterdamer Concertgebouw oder des Wiener Musikvereins verglichen wird. Auch in den hinteren Parkettreihen heben sich die einzelnen Orchestergruppen deutlich voneinander ab, klingen aber nie scharf oder überbelichtet wie etwa in der Elbphilharmonie. Der Saal hüllt sie in einen warmen, nicht zu langen Nachhall, in dem sie sich zu einem organischen Mischklang ergänzen.

Das gilt freilich vor allem im Piano, bei Antonín Dvořáks großbesetzter Symphonie "Aus der Neuen Welt" dagegen hört man im zweiten Teil des Abends, was einst schon Herbert von Karajan am Stadtcasino kritisierte: dass es eine "wunderbar klare und frische Resonanz" für kleine Besetzungen biete, bei großen der Klang aber "zum Zerschmettern" neige. Da dröhnt und scheppert es schnell, zumal Ivor Bolton, der Chefdirigent der Basler Sinfoniker, zu einem pathosdampfenden Dirigierstil neigt.

Einfacher dürften es die vielen, sehr renommierten kleineren Basler Ensembles wie das Kammerorchester Basel oder das La Cetra Barockorchester haben, die das Stadtcasino nun wieder nutzen werden. Die Basler jedenfalls scheinen sich auf das Wiederhören zu freuen. Stolz verkündet das Sinfonieorchester Basel, dass man für die nun eröffnete Saison selbst unter Corona-Bedingungen bereits fünfzehn Prozent an Abonnenten hinzugewonnen habe.

© SZ vom 28.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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