Süddeutsche Zeitung

Architektur-Preis:Alejandro Aravena erhält den Pritzker-Preis

Eine überraschende Entscheidung beim wichtigen Architektur-Preis. Denn erstens ist Aravena jung. Und zweitens baut er wenig.

Von Laura Weißmüller

Es ist eine Überraschung. Der Pritzker-Preis, die wichtigste Auszeichnung in der Architektur überhaupt und so etwas wie der Oscar in der Welt des Planens und Bauens, geht dieses Jahr an den Architekten Alejandro Aravena. Nicht, dass der 1967 geborene Chilene ein Unbekannter wäre. Ganz im Gegenteil. Seine Arbeit wurde bereits im MoMA in New York gezeigt und dieses Jahr wird er die Architekturbiennale in Venedig leiten - ebenfalls ein Superlativ in der Branche, ist es doch die wichtigste Architekturausstellung der Welt.

Doch mit nicht einmal 50 Jahren ist Aravena eigentlich zu jung für den Preis. Auf den Listen der möglichen Kandidaten, die wie ein wildes Pingpong aus Vermutungen und Statistiken im Netz kursierten und spekulierten, wer den mit 100 000 Dollar dotierten Preis dieses Jahr bekommen könnte, standen Namen deutlich älterer (ausschließlich männlicher) Kollegen. Der Amerikaner Peter Eisenman war darunter, der Österreicher Wolf D. Prix und der Niederländer Jan Gehl. Alejandro Aravena nimmt sich neben ihnen wie ein Newcomer aus.

Der wichtigste Grund aber, warum keiner mit dem Chilenen als nächstem Pritzker-Preisträger gerechnet hat, dürfte sein: Alejandro Aravena baut nicht das, was seit 1979 von der internationalen Jury als auszeichnungswürdig erachtet wird. Keine skulpturalen Werke wie etwa Frank Gehry, keine futuristisch-technoiden wie Norman Foster und auch keine klösterlichen Luxusbauten wie Peter Zumthor. Aravena baut überhaupt sehr wenig, eher forscht er zu Architektur in Katastrophengebieten und interessiert sich für Bürgerbeteiligung in der Stadtplanung.

Das Projekt, das ihn weltweit berühmt machte, war denn auch nicht sein tetrisartiges Betongebäude auf dem Unicampus in Santiago, sondern eines, das er nicht einmal komplett selbst gebaut hat. "Quinta Monroy Housing" ist eine Sozialbausiedlung, die der Architekt mit seinem Studio Elemental im Norden Chiles entwickelte. Wer die schmalen zweistöckigen Betonhäuschen auf einem Foto betrachtet, kann lang hinsehen - eine große Schönheit wird er auf dem Bild nicht finden. Denn der große Reiz der Siedlung liegt in dem Glauben an die Kraft der Bewohner, die hier einzogen. Sie durften ihre Häuser selbst fertigstellen, abhängig davon, was sie brauchten und was sie sich leisten konnten. Die Haushälften sind denn auch so unterschiedlich geraten wie ihre Bewohner. Aravena hat durch das Prinzip des Selberweiterbauens die Sozialhilfeempfänger zu stolzen Bauherren gemacht. Ein Ansatz, der in der Diskussion, welche Unterkünfte Deutschland für Flüchtlinge braucht, unbedingt Schule machen sollte.

Und das ist nicht nur das Überraschendste, sondern auch das Beste am Pritzker-Preis 2016: Wie politisch er ist. Das macht diese Wahl so wichtig. Die Jury urteilte am Mittwoch: Aravenas Arbeit verschaffe den "weniger Privilegierten wirtschaftliche Chancen, lindert die Auswirkungen von Naturkatastrophen, verringert den Energieverbrauch und bietet einladenden öffentlichen Raum".

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Quelle:
SZ vom 14.01.2016
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