Architektur des NS-Dokumentationszentrums:Klotz? Kunststück!

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  • Am 1. Mai eröffnet das NS-Dokumentationszentrum in München. Die SZ setzt sich in mehreren Texten mit der schwierigen Vergangenheit der Stadt auseinander und wirft einen ersten Blick in das neue Haus.
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  • In diesem Text lesen Sie, vor welchen Herausforderungen die Architekten des neuen Baus standen und wie die Reaktionen auf das Ergebnis lauten.

Von Alfred Dürr

Als die jahrelangen und zähen Debatten über Grundstück, Inhalte und Finanzierung für das NS-Dokumentationszentrum endlich abgeschlossen waren, blieb noch die nicht ganz unwesentliche Frage, wie das neue Haus denn aussehen sollte. Die Antwort war eine Überraschung: Gewonnen hatte den Architektenwettbewerb ein junges Team aus Berlin mit einem schlichten weißen Betonwürfel.

Auf der Liste mit den Namen großer und bekannter Büros standen Bettina Georg, Tobias Scheel und Simon Wetzel bis dahin nicht. Und unter den teilweise spektakulären Darstellungen der Konkurrenten mit ihren Glas- und Stahlkonstruktionen konnte man den eher bescheiden wirkenden Kubus fast übersehen. Erst der zweite oder gar dritte Blick erschloss, welch eine eigenständige und selbstbewusste Arbeit den Berlinern geglückt war.

Es galt, eine schwierige Aufgabe zu bewältigen. Das Dokumentationszentrum will ein Ausstellungs-, Veranstaltungs- und Lernort von überregionaler Bedeutung sein. Damit muss sich das Gebäude durch hohe Multifunktionalität und Flexibilität auszeichnen. Einerseits soll das Projekt in die Abfolge der historischen Bauten aus verschiedenen Epochen am Königsplatz passen, aber so einfach einfügen darf es sich nicht. Sich in eine Reihe mit den unmittelbar benachbarten "Führerbauten" zu stellen, ist gar unmöglich.

Architektur und Ausstattung
:Extrem komplexes Gebäude

Wie sieht das neue NS-Dokumentationszentrum aus, das Tobias Scheel, Bettina Georg und Simon Wetzel entworfen haben?

Das Haus bleibt in einer spannenden Beziehung zum bestehenden Ensemble

Der Neubau des NS-Dokumentationszentrums befindet sich auf dem Grundstück des ehemaligen "Braunen Hauses", der Zentrale der Hitler-Partei an der Brienner Straße. Allerdings nimmt der weiße Würfel mit seinen großformatig in den Baukörper eingeschnittenen Fassadenöffnungen und Ausblicken auf die geschichtsträchtige Umgebung nicht vollständig die Fläche des im Krieg bombardierten und später abgerissenen Gebäudes ein. Er überragt die Nachbarschaft und setzt sich auch im übertragenen Sinn über diese hinweg. Im Rahmen der symmetrisch angelegten Platzkonstruktion bildet der Neubau einen asymmetrischen Akzent. Das Haus distanziert sich von seinem Kontext, schafft aber auch keine ausdrückliche Gegenwelt und bleibt so in einer spannenden Beziehung zum bestehenden Ensemble.

Für diese Leistung ist das Büro Georg Scheel Wetzel gerade mit dem Heinze Architekten Award 2015 ausgezeichnet worden. Die Architekten hätten einen bewundernswert klugen Bau erdacht, heißt es in der Begründung der prominent besetzten Jury. Statt symbolischem Schwulst und großer Gesten böten die Architekten formale Klarheit und konstruktive Durchdringung: "Es ist die Zurückhaltung, oder soll man besser sagen Sachlichkeit dieses Baus, die uns berührt und die dem Besucher Raum zum Nachdenken eröffnet. Mit einem Wort: ein Kunststück."

Der Würfel ist ein extrem komplexes Gebäude und keineswegs so schlicht, wie er auf den ersten Blick wirken mag. Auf relativ kleiner Fläche war eine Menge an Nutzungen unterzubringen. Dazu kommt ein hohes Ausmaß an technischen Einrichtungen. Diese mussten so angebracht werden, dass sie das Raumgefüge nicht dominierten. Hier eine ansprechende Lösung zu finden, sei eine der besonderen Herausforderungen gewesen, berichtet Architekt Simon Wetzel.

Trotz vereinzelter Kritik überwiegt die Zustimmung zum Erscheinungsbild

Er, Bettina Georg und Tobias Scheel - alle in den Sechzigerjahren geboren - kennen sich vom Studium in Braunschweig. Jeder machte seine eigenen Erfahrungen in verschiedenen Architektenbüros, bevor man dann in Berlin gemeinsam das eigene Unternehmen gründete. Das erste große Projekt war im Jahr 2000 der Siegerplatz beim europaweiten Wettbewerb für die Neubauten der Blindeninstitutsstiftung in Regensburg. Ein wichtiger Schritt in der Bürogeschichte war 2007 der erste Preis für das städtebauliche Gutachten für den Mauerstreifen an der Bernauer Straße in Berlin. Hier galt es erstmals für das Büro zu überlegen, wie man auf einem erinnerungsträchtigen Areal neue Architektur schaffen kann. Zwei Jahre später gewannen Georg Scheel Wetzel den Wettbewerb für das NS-Dokumentationszentrum.

Stararchitekten-Allüren haben die drei aus Berlin nicht. Sie arbeiteten ruhig und intensiv an der Realisierung des Projekts am Königsplatz - ohne Kosten- und Bauskandale. Inzwischen beschäftigt sich das Büro mit einer Reihe neuer Vorhaben. Das Spektrum reicht von der Feuerwache in Tuttlingen über eine Sporthalle mit Büros und Geschäften in Wiesbaden bis zum künftigen Sportpark in Freiham, dem Münchner Neubauviertel.

Ein Klotz, ein Hochbunker, austauschbare und glatte Standardarchitektur: Solche Kommentare zum Erscheinungsbild des NS-Dokumentationszentrums hat es gegeben. Erste Veranstaltungen haben allerdings gezeigt, dass die Zustimmung überwiegt. Das Zentrum ist ein großer Gewinn für München - auch im Hinblick auf seine Architektur.

© SZ vom 29.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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