Architektur:Marodes Monument

Der Justizpalast von Brüssel französisch Palais de Justice de Bruxelles niederländisch Justitiepal

Gefahren unter der Kuppel - in einem Gerichtssaal fiel nachts die Decke herunter.

(Foto: imago images / viennaslide)

Der Justizpalast, das imposanteste Gebäude von Brüssel, schimmelt und bröckelt. Seit Jahren wird er saniert. Jetzt sind alte Baupläne aufgetaucht, die zeigen, wie sich der Architekt den Bau vorstellte. Ganz anders jedenfalls.

Von Karoline Meta Beisel

Das Atomium mag fotogener sein - das beeindruckendste Bauwerk Brüssels hat sich aber sowieso schon lange nicht mehr blicken lassen. Seit bald vier Jahrzehnten ist der Justizpalast eingerüstet, jüngere Brüsseler kennen das Gebäude gar nicht ohne seinen stählernen Mantel. Erst im Frühsommer befasste sich ein Comicband mit der Dauerbaustelle: In "Der letzte Pharao", der jüngsten Folge der Reihe "Blake & Mortimer", bildet das Metallgerüst eine Art Faraday'schen Käfig, um Brüssel vor geheimnisvollen Strahlen zu schützen, die aus dem Inneren des Justizpalasts dringen.

Die Wahrheit ist leider viel profaner: Der Justizpalast, mit einer Grundfläche von 26 000 Quadratmetern größer als der Petersdom in Rom, ist marode. Die Gerüste sollen die Fassade vorm Wegbröckeln und Passanten vor herabfallenden Steinen schützen. Schon seit 2016 ist der Problembau auf der Liste der gefährdeten Monumente eingetragen. Im vergangenen September krachte in einem der 245 Säle ein Teil der Decke herunter; zum Glück in der Nacht, niemand wurde verletzt. Justizbedienstete beklagen außerdem Schimmel und Wassereinbrüche in die Verhandlungssäle. Gut die Hälfte der Räume steht leer. 2016 kündigten Innen- und Justizministerium an, eine umfassende Instandsetzung des Gebäudes zu prüfen, aber das Vorhaben kam bislang auch deswegen nur langsam voran, weil die ursprünglichen Baupläne von Architekt Joseph Poelaert verschollen waren - bis jetzt: Wie die belgische Tageszeitung Le Soir berichtet, haben Studenten der Freien Universität Brüssel die Pläne bei Recherchen für ihre Masterarbeit wiedergefunden. 30 Kisten mit von Poelaert unterzeichneten Grundrissen, Zeichnungen und Notizen hätten die Studenten in den Kellern der königlichen Archive aufgestöbert. Bis dahin hatte man geglaubt, die Pläne seien im Jahr 1944 verbrannt, als die Nazis die Kuppel des Justizpalastes in Brand steckten. Jetzt sollen die wiedergefundenen Dokumente bei der Sanierung des Gebäudes helfen.

Schon bei der ersten Sichtung des Materials wurde aber klar: So, wie der Palast heute aussieht, hatte sich Poelaert ihn Mitte des 19. Jahrhunderts gar nicht vorgestellt. "Es ist interessant zu sehen, dass Poelaert eine viel kleinere Kuppel entworfen hatte als die, die heute existiert", sagte Michaël Amara, Mitarbeiter der Königlichen Archive, dem Fernsehsender RTBF. "Das zeigt, wie stark sich das Projekt verändert hat, bis es zu dem gigantischen Bau wurde, den wir heute kennen."

Poelaert starb 1879 mit 62 Jahren an einem Hirnschlag, als die Bauarbeiten noch in vollem Gange waren. Man wusste zwar, dass Poelaerts Nachfolger seine Entwürfe für die Kuppel - inspiriert von mesopotamischen Tempeltürmen, auf zwei oder drei sich verjüngenden Plattformen ruhend - zu exzentrisch fanden. Darum setzten sie dem Gebäude nach Poelaerts Tod eine klassischere, monumentale Kuppel auf, wie sie damals Mode war. Was genau Poelaert vorgeschwebt war, wusste man aber nicht - bis heute.

Architekten erhoffen sich von den Plänen aber noch weitere Erkenntnisse: "Wir wissen nicht sehr viel über den Justizpalast. Der erste Schritt, um ihn restaurieren zu können, ist, das Gebäude von Grund auf richtig kennenzulernen", sagt etwa Francis Metzger, der die Studenten betreut hat.

Auch wenn die Renovierungsarbeiten wohl noch deutlich länger dauern werden: Zumindest die Fassade soll bis 2030 vollendet sein. Dann können auch endlich die Gerüste verschwinden - und die Brüsseler ihren Justizpalast von einer ganz neuen Seite kennenlernen.

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