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Architektur im Zweiten Weltkrieg:Vom Bauhaus zum Bunker

Vor 75 Jahren begann der Zweite Weltkrieg. Eine bahnbrechende Ausstellung in Paris untersucht jetzt die Rolle der Architekten. Um den hohen Bedürfnissen des Krieges gerecht zu werden, zeigten sie sich sehr wandelbar - an allen Fronten.

Von Joseph Hanimann, Paris

Bei den Nürnberger Prozessen 1945 war Hitlers Chefarchitekt Albert Speer einer der Hauptangeklagten. Ausgestattet war der Raum, in dem Angeklagte und Richter saßen, von dem amerikanischen Architekten Dan Kiley. Architekten auf Schritt und Tritt, in allen Lagern.

So sachlich kann man an ein Thema herangehen, das in seiner ganzen Breite noch wenig bekannt ist. Erforscht wurde bisher vor allem die Rolle der Architekten nach dem Krieg beim Wiederaufbau.

Wie aber verhielten sie sich während des Zweiten Weltkriegs, der vor 75 Jahren begann, beidseits der Fronten - enthusiastisch, fatalistisch, gleichgültig, widerständisch, konformistisch? Der französische Architekturhistoriker Jean-Louis Cohen hat dieser Frage jetzt eine große Studie gewidmet und dazu eine Ausstellung gestaltet, die nach Montreal nun in Paris Station macht und Ende des Jahres nach Rom weiterziehen wird.

War der Erste Weltkrieg ein Stellungskrieg mit massiven Befestigungsanlagen, so wurde der Zweite Weltkrieg schnell zum Bewegungskrieg. Dies minderte nicht die Herausforderung an die Architekten, sondern erhöhte sie.

Durch die Bombardierungen aus der Luft standen die Städte auch im Hinterland an vorderster Front. "Die Front ist nicht mehr eine Linie, sondern eine Fläche", prophezeite der französische Oberstleutnant Paul Vauthier schon 1930 in einer Studie. Guernica war 1937, im Spanischen Bürgerkrieg, ein frühes Beispiel dieser Verwüstung aus dem Himmel - und Hiroshima 1945 deren apokalyptischer Abschluss.

Berühmte Bauwerke wurden aufwendig mit Sandsäcken geschützt, wichtige Produktionsstätten getarnt oder unter den Erdboden verlegt. Die Armee brauchte Bunker, Montagehallen in großem Ausmaß, mobile Unterkünfte, improvisierte Brücken und Häfen, die Zivilbevölkerung brauchte Schutzkeller. Für die Gefangenen waren Lagereinrichtungen nötig, von den Konzentrationslagern und Vernichtungslagern ganz zu schweigen.

Monumentalprojekte wie der Atlantikwall taugten nur noch für Propagandazwecke

Die Ausstellung in Paris vermeidet kühn jede moralische Voreingenommenheit und beginnt mit einer Porträtgalerie von vierzig Architektenschicksalen. Die amerikanischen Fabrikbauer Albert Kahn, Buckminster Fuller und Mies van der Rohe - der mit dem Minerals and Metals Research Center in Illinois 1943 sein erstes Projekt in den USA ablieferte - treten da neben Auguste Perret und Le Corbusier auf, der sich beim Vichy-Regime andienen wollte, neben den deutschen Exilanten Walter Gropius, Erich Mendelsohn, Konrad Wachsmann; aber auch neben Albert Speer oder dem ehemaligen Bauhaus-Schüler Fritz Ertl, der an der Konzeption des Lagers Auschwitz-Birkenau mitwirkte.

Die Architekten schlüpften meistens, so wird vorgeführt, in die Uniform, die sich ihnen anbot, um ihre Pläne umsetzen zu können. Interessanter als ihre ideologische Zuordnung ist ihre intellektuelle Wandelbarkeit.

Le Corbusier, der in seiner "Ville radieuse" 1930 noch das bombenresistente Hochhaus mit gepanzertem Dach voraussagte, aus dem man die Bombenexplosionen wie ein Spektakel betrachten konnte, propagierte 1940 seine "Murondins"-Häuser: in den Erdboden eingelassene Unterstände aus Grasbüscheln, Sand, Reisigbündeln und Baumstammscheiben, von den Leuten selbst fabriziert - ganz im Sinne des Machthabers Marschall Pétain, der die "Rückkehr zur Erde" proklamierte.

Auch der Eisenkonstrukteur Jean Prouvé fand, da Metall im Krieg für die Armee gebraucht wurde, für Möbel und Gebrauchsobjekte vermehrt zum Baustoff Holz zurück. Und ähnlich suchte der 1941 in die USA emigrierte Berliner Konrad Wachsmann nach Möglichkeiten, mit einer Universalfixierung vorfabrizierte Holzpaneele für den Häuserbau in allen Winkelneigungen schnell zu montieren.

Zwei architektonische Monumentalprojekte prägten dennoch die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg: die Maginot-Linie und der Atlantikwall. In ihrer Nutzlosigkeit bezeugen sie zugleich, dass die Zeit für solche Befestigungsmonster schon vorbei war. Sachverständige wie Albert Speer erkannten, als sie vom improvisierten Hafenbau erfuhren, wie er bei der alliierten Landung in der Normandie dann zur Anwendung kam, dass der Atlantikwall nur noch für Propagandazwecke taugte.

Auf der anderen Seite des Ozeans wurden auf dem amerikanischen Militärgelände Dugway in Utah unter Mitwirkung von Erich Mendelsohn und Konrad Wachsmann "deutsche Dörfer" gebaut, mit dem einzigen Zweck, zerstört zu werden. Auf diese Weise wollte man das Brennverhalten der spezifischen Formen und Baustoffe ermitteln.

Gefordert für eine Urstrategie der Kriegskunst

Kurios wirken dagegen die teilweise heute noch stehenden Luftabwehrbunker des regimetreuen Architekten Friedrich Tamms in Hamburg, Berlin und Wien, die nach Kriegsende durch Verzierungen im Stil von klassizistischen Architekten wie Schinkel oder Boullée ins Stadtbild eingepasst und für neue Zwecke genutzt werden sollten.

Um Täuschung und Tarnung, diese Urstrategie der Kriegskunst, bemühte man sich im 20. Jahrhundert mehr denn je. War sie im Ersten Weltkrieg noch eine Sache für Maler und Dekorationskünstler, wurde sie im Zweiten Weltkrieg zu einer Spezialabteilung der Armee, die Architekten und Landschaftsplaner besonders forderte.

In Hamburg wurde 1941 auf der Außenalster mit schwimmenden Elementen die Stadt um die Binnenalster simuliert, um die alliierten Flugzeuge irrezuleiten. Und in Santa Monica in Kalifornien wurden die Bühnenausstatter aus allen Hollywood-Studios aufgeboten, um das Douglas-Flugzeugwerk unter einem Riesendach mit Holzhäuschen, Bäumen und Feldwegen zu verbergen - angeblich so perfekt, dass selbst einheimische Piloten manchmal den Rückweg nicht mehr gefunden haben sollen.

Der britische Tarnungsarchitekt Hugh Casson, der für eine Sondereinheit der Royal Air Force arbeitete, stellte fest: Während die Zwischenkriegsmoderne einfache Formen, Materialtreue und anatomische Genauigkeit der Gebäudestatik bevorzugt habe, so suchten die Illusionskünstler des Kriegs gerade die reale Statik zu vertuschen: Leerräume würden vorgetäuscht, wo Fülle herrscht, und Materialdichte, wo nichts vorhanden sei. Andeutungsweise zieht die Pariser Ausstellung die Verbindung weiter bis zu den zitatfreudigen Formspielen der Postmoderne.

Das Phänomen der Architektur im Kriegseinsatz wird mit Fotos, Zeichnungen, Plänen, Modellen, Plakaten, Filmausschnitten überzeugend aufgerollt. Der Katalog ist eine wahre Fundgrube. Im Vordergrund stehen nicht Thesen, sondern Fakten, um die schillernde Realität in den Griff zu bekommen.

Die Architekten mochten, so wird suggeriert, mitunter Ideologen sein, Humanisten, Parteigänger, Exilanten, manchmal auch Widerstandskämpfer wie im Fall von Jean Prouvé. In der Hauptsache waren sie Opportunisten.

Der Franzose Henry Bernard, Absolvent der Pariser École des Beux-Arts und Gewinner des Rom-Preises, sammelte als Kriegsgefangener im ostpreußischen Lager von Stablack mehrere Berufskollegen um sich, mit denen er Projekte entwickelte und zur Begutachtung nach Paris sandte.

"Das gelungenste aller Kriegsprojekte"

Ein junger Architekt namens Guillaume Gillet wiederum tat sich im Gefangenenlager Soest hervor. Auf die Frage, warum er keine Ausbruchsversuche unternommen habe, antwortete er später: Keine Zeit, zu viel Arbeit.

Auch im Sozialwohnungsbau wurde viel geleistet: Die Siedlung Channel Heights bei Los Angeles, die Richard Neutra 1942 baute, nannte der Schweizer Max Bill "das gelungenste aller Kriegsprojekte". Architektonische Qualität entstand während des Zweiten Weltkriegs in fast jeder Uniform.

Architecture en uniforme. Projeter et construire pour la Seconde Guerre mondiale. Cité de l'Architecture et du Patrimoine, Paris, bis zum 8. September. Katalog (französisch oder englisch) 38,55 Euro. Info: www.citechaillot.fr

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SZ vom 22.08.2014/pak
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