Architektur:Hypothese und Hoffnung

Zum Abschied präsentiert Frankreichs Staatspräsident Hollande einen Plan zum Umbau der Pariser Île de la Cité.

Von JOSEPH HANIMANN

Hatten in Frankreich die früheren Präsidenten der Fünften Republik jeweils handfeste Bauwerke wie das Centre Pompidou, die Nationalbibliothek François Mitterrand, das Museum Quai Branly-Jacques Chirac hinterlassen, so vermachte Nicolas Sarkozy der Nachwelt eine neue Stadtentwicklungsdynamik für die Metropole Paris und ihre elf Millionen Einwohner. Bei François Hollande reicht es nun kurz vor seinem Amtsende nur noch für eine Idee. Eine sehr richtige Idee, die aber auf den Stelzen einer Hypothese und einer Hoffnung daherkommt und nicht den geringsten Finanzierungsplan aufweist.

Im Gewusel der Menschenmassen wird die Insel gar nicht mehr wahrgenommen

Die Île de la Cité, die zentrale Seine-Insel, war mit Notre-Dame, der Sainte-Chapelle und einst auch dem Königspalast schon früh der Mittelpunkt der Königsmacht Frankreichs. Mittlerweile aber stimme etwas nicht mit der Île de la Cité, schrieb François Hollande vor zwei Jahren in einem Brief an den Architekten Dominique Perrault und den Verwalter der staatlichen Denkmäler, Philippe Belaval. Sperrige Amtspaläste wie der Justizpalast, die Polizeipräfektur, das Handelsgericht und das Krankenhaus Hôtel-Dieu versperren die feingliedrige Île de la Cité. Sie machen aus ihr ein unüberschaubares Allerlei aus Verwaltungslabyrinth, Prunkfassaden, Touristenmassen und Verkehrsschneisen. Keine tausend Pariser bewohnen heute noch die rund ein Kilometer lange Seine-Insel. Deshalb bestellt Hollande bei Perrault und Belaval eine Gesamtvision, die der Insel ein erkennbares Gesicht geben soll. Die Vorschläge liegen nun vor und sind bis zum 17. April in einer von Hollande eröffneten Ausstellung in der Conciergerie zu sehen.

Architektur: Die auf dem Bild grün eingefärbten Bereiche der Pariser Île de la Cité sollen nach den Vorstellungen von François Hollandes Stadtplanern neu gestaltet werden, damit die Insel wieder besser zur Wirkung kommt.

Die auf dem Bild grün eingefärbten Bereiche der Pariser Île de la Cité sollen nach den Vorstellungen von François Hollandes Stadtplanern neu gestaltet werden, damit die Insel wieder besser zur Wirkung kommt.

(Foto: Dominique Perrault Architecture)

Im Gewusel von Warteschlangen aus Touristen oder Behördengängern, von eiligen Beamten, Anwälten in Robe, Polizeiautos mit Blinklicht, Flaneuren und dahin hastenden Parisern werde die Insel gar nicht wahrgenommen, konstatieren die beiden Experten. Neubauten inmitten des Unesco-Weltkulturerbes der Seine-Quais sind aber unmöglich. So versuchen die Planer, gegen den Durchgangsverkehr zwischen Nord- und Südufer des Flusses durch Promenaden und Perspektiven der Insel ihre durch den Seine-Verlauf vorgegebene Ost-West-Orientierung zurückzugeben. Erst der Stadtplaner Haussmann vollendete im 19. Jahrhundert mit Sichtachsen, Boulevards und Anschlussbrücken die Tilgung der natürlichen Geografie. Durch 35 Punktoperationen und in drei Umbauphasen bis 2040 wollen Perrault und sein Mitplaner Belaval die Insel wieder zum Eigenleben erwecken.

Mittelfristig stehen die Zeichen günstig. Das Pariser Instanzgericht wird im kommenden Jahr in einen Neubau von Renzo Piano im Nordwesten der Stadt umziehen. Auch durch die Teilschließung des Krankenhauses Hôtel-Dieu werden neue Flächen frei. Überdies stehen mit dem Louvre-Ausbau, dem neuen Hallenviertel und dem gerade entstehenden Konsumparadies im ehemaligen Kaufhaus La Samaritaine nördlich sowie dem umgestalteten Münzpalast südlich der Seine die umliegenden Koordinaten der Innenstadt nun fest.

Architektur: Würde profitieren: Die Rue de Lutèce würde zu einem Platz.

Würde profitieren: Die Rue de Lutèce würde zu einem Platz.

(Foto: Dominique Perrault Architecture)

Soll da jetzt eine Pariser Museumsinsel entstehen? Davon raten Perrault und Belaval mit Blick auf Berlin eher ab. Städtedynamisch sei eine solche Monofunktion uninteressant, finden sie. Sie wollen mehr Kohärenz zwischen den heute ungenutzten Qualitäten der Insel schaffen. Aus der von Haussmann durch das Hôtel-Dieu zerschnittenen Rue de Lutèce gegenüber dem Justizpalast soll ein richtiger Platz nach dem Vorbild des Markusplatzes in Venedig werden, der die disparaten Inselwege zusammenführt. Der daneben liegende Blumenmarkt soll einen zeitgenössischen "Crystal Palace" erhalten.

Für die Innenhöfe der umliegenden Amtspaläste sind Glasüberdachungen vorgesehen und manche sollen öffentlich zugänglich werden. Das ganze Südufer der Insel wird autofrei, wie das von der Pariser Stadtverwaltung seit einigen Jahren gegen harte Widerstände auf dem rechten Seine-Ufer schon durchgesetzt wird. Staats- und Stadtregierung arbeiten bei diesem Projekt als Haupteigentümer des Inselareals eng zusammen.

Zu erheblichen Teilen führt die Stoßkraft der Inselumgestaltung aber in die Tiefe. Gerade an diesem Ort, wo vor zweitausend Jahren die ersten Bewohner sich ansiedelten, liegt Vergangenheit vielfach geschichtet. Der große Vorplatz vor Notre-Dame, der bis ins 19. Jahrhundert noch dicht bebaut war, entging vor einem halben Jahrhundert zumindest teilweise der Aushöhlung durch eine Tiefgarage. In einer kleinen Krypta sind dort die Grundmauern seiner langen Geschichte zu sehen. Dominique Perrault will die ganze erhaltene Archäologie des Ortes freilegen und durch einen Glasboden über den ganzen Platz von oben sichtbar machen. Unterirdische Durchgänge direkt zur Seine sollen überdies den Fluss wieder ans Leben auf der Insel heranholen.

Architektur: Vor Notre-Dame entstände ein gläsern überdachtes Archäologiemuseum.

Vor Notre-Dame entstände ein gläsern überdachtes Archäologiemuseum.

(Foto: Dominique Perrault Architecture)

Ist globale Freizeitkultur rund um die Stadtinsel wirklich die beste Lösung für sie?

Hoch oben in den Sternen liegt indessen die Antwort auf die Frage, mit welchen Mitteln diese schönen Visionen realisiert werden sollen und wie viel davon überhaupt wünschbar sei. Neben der Hoffnung auf eventuelle Gelder durch Olympische Spiele und Weltausstellung zählt man vor allem auf Privatinvestoren. Hunderttausend Quadratmeter neue Nutzfläche durch Hofüberdachung, erschließbare Brachareale und zusätzliche Tiefgeschosse haben die Planer auf der Île Ile de la Cité ausgemacht. Dort soll dereinst das auf der Insel erlahmte Geschäft wieder boomen.

Doch soll es das wirklich? Sind schwimmende Restaurants, Vergnügungslokale und globale Freizeitkultur rund um die stolze Stadtinsel wirklich die beste Lösung für sie? Stadtbürger und Denkmalschützer bezweifeln das. Dominique Perrault und Philippe Belaval waren klug genug, mit ihren Vorschlägen mehr auf ein vielfältiges Stadtleben denn auf optimierten Kommerz zu setzen. Das heißt Erhaltung von städtischer Normalität gegen massiven Touristen- und Kundenandrang. Ein paar verlorene Ecken nimmt man dafür gern in Kauf und vertraut auf den Geist des Ortes, der auf dieser Insel so lang und so geschickt Geschäft, Gebet und Alltäglichkeit vermischte.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: