Architektur:Höhenrausch aus Holz

Architektur: Dem Himmel so nah: Dieses 350 Meter hohe Hochhaus der Firma Sumitomo Forestry in Tokio sprengt alle Dimensionen, 2041 soll es fertig sein.

Dem Himmel so nah: Dieses 350 Meter hohe Hochhaus der Firma Sumitomo Forestry in Tokio sprengt alle Dimensionen, 2041 soll es fertig sein.

(Foto: © Sumitomo Forestry Co.)

Der Wettbewerb um immer höhere und raffinierter konstruierte Häuser aus Holz ist in vollem Gang: Ist das die Zukunft des Bauens und Wohnens - oder sind wir auf dem Holzweg?

Von Gerhard Matzig

Auf dem Holzweg sein, das bedeutet, dass man sich verirrt hat oder sonst irgendwie orientierungslos ist. Also danebenliegt. Deshalb ist es verständlich, dass der Wiener Architekt Rüdiger Lainer etwas entnervt antwortet: "Bisher sehe ich das Ganze eher als ein Image-Wettrennen." Also nein, man nehme definitiv nicht teil am Wettbewerb um immer höhere Holzhäuser, denn "die Höhe des Hoho leitet sich aus einem städtebaulichen Konzept ab". Das Hoho ist übrigens, abgesehen davon, dass es auch etwas nach Haha klingt, das "Holz-Hochhaus" in Wien. Mit dem aber, was anderswo gebaut wird, habe das Hoho nun mal nichts zu tun. Man sei ja nicht auf dem Holzweg. Auch wenn der in diesem Fall direkt in den Himmel führt.

Nämlich in den Himmel über Wien, der in seinen besten Augenblicken aussieht, als habe man ihn nach der Wäsche zum Trocknen über der Stadt aufgehängt, damit die barocken Intarsien der Altstadt darunter umso prachtvoller zur Geltung kommen. Aber Wien, das ist nicht nur Sisi-City, imperial klassizistische Architektur an der Ringstraße, Stephansdom, Fiaker-Nostalgie, Otto-Wagner-Touren, Hundertwasserhaus und Schlagobers im Hotel Sacher, das ist nicht nur Vergangenheit und Erinnerung, sondern auch Erwartung. Das Hoho ist bald das höchste Holzhaus der Welt.

Bis zum Jahresende soll das 84 Meter hohe Haus, gelegen abseits des Stadtzentrums im Nordosten Wiens, fertig sein. Das Holzhaus (das in Wahrheit in "Hybridbauweise" entsteht, also auch aus Stahl und Beton für die Hauskerne, für Erschließungszonen oder Versorgungsräume besteht) wird dann auf 24 Etagen und 25 000 Quadratmetern Wohnungen, Büros, ein Hotel und sogar ein Wellnessareal beherbergen. Rüdiger Lainer vom Büro RLP ist der Architekt des Superlativs, der keiner sein will. Er sagt: "Der Anspruch von RLP ist es, ein ressourcenschonendes Gebäude zu schaffen und zu zeigen, dass dies auch real umsetzbar ist. Als logische Konsequenz hat sich aus einer Vielzahl von Gründen die Verwendung von Holz ergeben."

Kleiner Tipp am Rande: Wenn man nicht immerzu auf das höchste Holzhaus der Welt angesprochen werden will, dann ist es ratsam, das Hoho auf der Büro-Homepage von RLP unter der Rubrik "Projekte / in Bau" nicht so zu präsentieren, nämlich als, exakt, "höchstes Holzhaus der Welt". Ansonsten kann man Rüdiger Lainer, der lieber über Architektur, Material, Form und Licht, also über das Bauen als Technik und Kultur und nicht über Weltrekorde spricht, ganz gut verstehen.

Ein Gebäude versucht, das andere zu übertrumpfen. Wo ist die Grenze?

Mit den Worten von Volker Schmid, Bauingenieur der Technischen Universität Berlin: "Der Holzbau erlebt seine Sturm- und Drangzeit." Übrigens auch in Berlin, wo schon vor etwa zehn Jahren das "erste deutsche Stadthaus ganz aus Holz" errichtet wurde. Überdies als Energiesparwunder. Nicht als Hochhaus also. Baurechtlich ist alles, was 22 Meter überragt, ein Hochhaus, während "Wolkenkratzer" erst von etwa 150 Metern an beginnen, an den Wolken zu kratzen. Aber dafür wurde aus dem Berliner Projekt ein mehrgeschossiges Holz-Haus, sozusagen ein Hoha, wie man es typologisch in deutschen Städten zumeist mit Mauerwerk assoziiert. Danach, 2011, galt dann ein Projekt in Bad Aibling als "höchstes Holzhaus Deutschlands". 25 Meter hoch.

Aktuell wird "Deutschlands höchstes Hochhaus aus Holz", aber nun wirklich, in Heilbronn bis 2019 realisiert: 34 Meter hoch soll es den Neckarbogen dominieren. Von dort aus müsste man dann zum Wiener 84-Meter-Rekord aufschauen, wüsste man nicht, dass auch dieser Rekord bald schon die Mindesthaltbarkeitsgrenze erreicht. "World's tallest timber tower proposed for Tokyo". So titelte jedenfalls das Online-Architekturmagazin Dezeen vor wenigen Wochen.

Architektur: Auch innen ist im Holzhaus von Sumitomo Forestry eine spektakuläre Architektur vorgesehen.

Auch innen ist im Holzhaus von Sumitomo Forestry eine spektakuläre Architektur vorgesehen.

(Foto: © Sumitomo Forestry Co.)

Dem Bericht nach soll in Tokio ein 350 Meter hoher Wolkenkratzer für Wohnungen und Büros auf 70 Etagen entstehen. Der Bau bestünde zu 90 Prozent aus Holz. Angeblich. Bauherr sei eine Holzfirma, die sich den Bau zum 350. Firmenjubiläum wünscht. Zum Glück ist das nicht übermorgen, bis 2041 haben die Ingenieure nun Zeit, das Projekt in die Tat umzusetzen. Deutlich früher am Start: In London soll der hölzerne "Oakwood Tower" 300 Meter hoch werden. In Chicago, "River Beech", sind es 244 Meter. Doch im Bau ist noch nichts davon. Aktuell ist das tatsächlich "höchste Holzhaus der Welt" ein Bau der University of British Columbia in Vancouver, Kanada. 18 Stockwerke und 53 Meter ragt er empor und dient mehr als 400 Studenten als Low-budget-Höhenrausch.

Auch Holz hat seine Grenzen

Überall werden Superlative aus Holz bemüht, geplant, erträumt oder auch, siehe Wien und Heilbronn, verwirklicht. Ein Haus sucht immer schon das nächste zu übertrumpfen. Wo ist die Grenze? Und wie sinnvoll ist so ein Holz-Wettbewerb? Es ist, als erlebte man die alte Konkurrenz um die Lufthoheit am Bau mit einem neuen Hauptdarsteller. Zur Erinnerung: Die Technologie zum Bau von Hochhäusern über 22 Meter, man denke beispielsweise an den Kölner Dom, kannte schon das Mittelalter. Aber erst als Folge der Errungenschaften Fahrstuhl und Stahlbeton kam es vom 19. Jahrhundert an endgültig zur architektonischen Himmelfahrt. Die Ära der Wolkenkratzer war gekommen. Vorläufiger Höhepunkt: Seit April 2008 ist der Burj Khalifa das höchste Bauwerk der Welt. 828 Meter ragt der Turm über Dubai auf wie ein Fiebertraum aus dem Übermorgenland.

"Theoretisch ist auch für das Material Holz, jedenfalls in Hybridbauweise, die Grenze irgendwo bei tausend Metern in der Höhe zu vermuten." Das sagt ein Kenner der Materie, Stefan Winter. Der gelernte Zimmermann und promovierte Bauingenieur ist Professor an der Technischen Universität München. Er leitet den Lehrstuhl für Holzbau und Baukonstruktion. Eines seiner Forschungsgebiete ist der "viel geschossige Holzbau". An der Tragwerksplanung für das Projekt in Heilbronn (Entwurf: Kaden + Lager) ist er beteiligt. Höhenangst hat der Holzmensch Stefan Winter nicht gerade.

Fachmännisch erzählt der Hochschullehrer, dessen Familie ein Fachwerkhaus aus dem Jahr 1725 besitzt, von den ambitionierten Projekten in aller Welt. Doch auch für Stefan Winter ist der Kampf um Holzrekorde "problematisch". Einerseits ist Holz der "Sympathieträger der Stunde", schon als natürlich nachwachsender sowie klimaneutraler Baustoff. Auch könne Holz in statisch-konstruktiver oder auch brandschutztechnischer Hinsicht immer mehr leisten. Vor brennenden Holzhäusern wie im Mittelalter müsse sich schon längst niemand mehr fürchten.

So ist der Boom der Holzhochhäuser auch etwas paradox. Holz gilt den meisten Menschen als natürliches, einfaches, irgendwie ehrliches, gesundes und erdverbundenes Material. Holz und jene Höhe, die man eher mit Technik, Beton, Stahl und Glas verbindet, das scheint kein ideales Liebespaar zu sein. Winter sieht das, insofern ein guter Paartherapeut, anders: "Nehmen Sie eine Fichte: Die wird bis zu 60 Metern hoch - und das mit einem niedrigen Querschnitt." Deshalb sei Holz auch so gut geeignet für das Bauen: "Dem relativ niedrigen Eigengewicht entspricht eine relativ hohe Tragkraft. Das statische Können von Holz ist enorm. Daher eignet sich Holz auch gut für höhere Gebäude."

Und dann wächst das Zeug ja auch noch nach, im Wald - es ist ein uralter Baustoff, der zugleich viel Zukunft in hoch verdichteten Städten birgt. In den Worten des Schlagers: "Mein Freund, der Baum". Dennoch findet Winter, dass der "wunderbare Baustoff" derzeit etwas "überverkauft wird". Man dürfe das Augenmaß und eine ingenieursgemäße Nüchternheit nicht verlieren. Aber genau deshalb hat der Ingenieur auch kein Problem mit der umstrittenen Hybridbauweise, also mit dem Einsatz von Holz im Verbund mit anderen Materialien. Puristen finden nämlich: Nur 100 Prozent Holz ist Holz. Winter aber meint: "Schauen Sie sich die Baugeschichte an, Hybridbauwerke gab es immer. Es wurde das verbaut, was sinnvoll und am Ort vorhanden war. Man kombinierte Holz und Stein - und die Stütze war dann aus Gusseisen. Die Baugeschichte ist voller Hybridbauten."

"Jahrtausendelang war Holz unser leicht verfügbarer und formbarer Freund."

Irgendwie ist der aktuelle Höhenrausch am Holzbau dennoch nicht nur begeisternd, sondern auch etwas irritierend. Wolfgang Pöschl schreibt im Buch "Bauen mit Holz - Wege in die Zukunft" (Prestel): "Jahrtausendelang war Holz unser leicht verfügbarer und formbarer, unser anschmiegsamer Freund. Warum soll es plötzlich imponieren wollen?" Eines kann übrigens selbst das allerhöchste Höchstholzhaus der Welt auch in Zukunft nicht: So biegsam sein wie die Natur. Das, was ein Grashalm, ein Schilfrohr oder auch eine Fichte kann im Reich der Tragwerkslehre, können unsere Konstruktionen nicht einmal ansatzweise, ob sie nun aus Stahlbeton oder aus Holz sind. Das ist eigentlich imponierend genug.

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