Architektur:Heiter und wolkig

Das Museum of Modern Art in San Francisco ist dank des Anbaus von Snohetta jetzt sogar größer als das in New York.

Von Peter Richter

Ans Wetter will immer keiner denken. Aber dann fegten Tornados über das Land, Flugzeuge mussten umgeleitet werden, und als wir mit der kleinen Verspätung von zehn Stunden am Ende doch noch in die Stadt kamen, war die große Party gerade zu Ende. Die letzten Gäste, Leute von Rang im New Yorker Kunstbetrieb, kamen in beschwingter Verfassung aus dem Museum of Modern Art, und man konnte nur hoffen, dass sie auf dem Heimweg nichts durcheinanderbrachten, denn dieses MoMA lag nicht in Manhattan, sondern am entgegengesetzten Ende dieses weiten, wirbelsturmreichen Kontinents. Es war das SFMoMA, das Museum of Modern Art in San Francisco.

Dass immer mehr Künstler der niedrigeren Mieten und höheren Temperaturen wegen nach Los Angeles fliehen, lässt sich bisher noch einigermaßen mit dem New Yorker Überlegenheitsgefühl vereinbaren, denn das lebt nicht zuletzt vom Stolz auf die Härten des Daseins. Was Irritationen verursacht, ist die Tatsache, dass es an der Westküste eine Stadt gibt, in der das Wohnen seit einiger Zeit noch unbezahlbarer ist und die Milliardäre noch jugendlicher sind. Und wo es bis auf Weiteres nun auch noch das größere Museum of Modern Art gibt: mehr Ausstellungsfläche als das in New York. Auch deutlich mehr Wille zum Wahrzeichen.

Als das MoMA in New York sich vor zwölf Jahren einen Erweiterungsbau gönnte, sollte der sich nach Aussage des Architekten Yoshio Taniguchi selbst unsichtbar machen. Das ist ihm so gut gelungen, dass unter anderem auch deshalb nun schon wieder angebaut wird.

Das Personal ist euphorisch, alle zeigen stadtgesellschaftliche Zukunftsfreude

Das kaum weniger traditionsreiche SFMoMA - Jackson Pollock zum Beispiel wurde zuerst hier ausgestellt, dann bei den Kollegen in New York - hatte sich erst 1995 von dem Schweizer Mario Botta einen Tempel im Monumentalstil des späten Postmodernismus errichten lassen, hinter dem nun die Erweiterung eigentlich ebenfalls zur Unsichtbarkeit verdammt ist: ein schmaler Splitter mitten im Straßenblock. Trotzdem waren die Architekten des norwegisch-amerikanischen Büros Snohetta bemüht, ein erstklassiges Postkartenmotiv daraus zu machen. Vom angestammten Haupteingang aus bleibt ihm nicht viel mehr als die Rolle eines Passepartouts, das sich zwischen Bottas wuchtige Burg mit ihrem eierförmigen Zyklopenauge und dem eleganten Art-déco-Turm aus den Zwanzigern schiebt, in dem übrigens die Internetfirma Yelp ihren Sitz hat. Da, wo er seitlich auf die Nebenstraße stößt, ist er wiederum zu schmal; dort kann er im Erdgeschoss allenfalls einen Seiteneingang markieren. Aber nach hinten hinaus, wo die Nachbarschaft flacher ist, auf der Rückseite, die dadurch jetzt zur eigentlichen Front wird: da kann er das entfalten, was man eine bildhafte Wirkung nennt. Die Frage ist jetzt nur, was es eigentlich zeigt, dieses Bild.

Das Büro Snøhetta, berühmt geworden mit der Bibliothek von Alexandria und dem Opernhaus von Oslo, ist nicht dafür bekannt, Bilder zu bauen, die in erster Linie "Snøhetta" schreien; es pflegt eine Rhetorik der Ortsbezogenheit. Die Architekten legen nahe, an die Nebelschwaden zu denken, die so oft in dieser Stadt die Häuser zum Verschwinden bringen.

Das klingt in der Theorie sehr poetisch. Aber in der Praxis will eben immer keiner ans Wetter denken. Denn wenn kein Nebel herrscht, ist man eher froh darum, und wenn welcher herrscht, ist er ohnehin da. In der Praxis denkt man eher, Christo habe mal wieder was eingewickelt. Oder an eine Schneewehe, wie sie allerdings in Norwegen eher zu sehen ist als in Kalifornien. Viele, darunter der Kollege vom Londoner Guardian, denken auch an ein knuspriges Baiser, und wer sollte ihnen das bei dieser appetitlich weißen Oberfläche verdenken? Solche profanierenden Assoziationen sind das Risiko jeder pathetischen Geste. Auch das penetrante Motiv der hell-dunklen Bänderungen an Bottas Altbau muss einen nicht automatisch an die Toskana und die Frührenaissance, an die Dome von Siena und Pisa erinnern, Schwarz-weiß-Gebäck wäre im Prinzip ebenfalls legitim, gerade nach den Maßgaben der architektonischen Postmoderne.

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Die Architekten legen nahe, an die Nebelschwaden zu denken, die so oft die Häuser zum Verschwinden bringen: Das Museum of Modern Art in San Francisco.

(Foto: Henrik Kam, Courtesy SFMOMA)

Eine kleine Kabinettsausstellung zur Genese des Entwurfs legt jedenfalls nahe, dass am Anfang die Auseinandersetzung mit Bottas waagerechten Streifen gestanden hat, über stark gefaserte Holzstücke, Wellpappe und Stapel von Papierservietten entwickeln sich dann, um metaphorisch im Bild zu bleiben, solche baumkuchenhaften Fassadenstrukturen.

Handfester ist vielleicht die Information, dass die Formplatten dafür aus recyceltem Müll und Sand aus der San Francisco Bay gepresst wurden, nicht nur nebelschwaden- oder baiserhaft leicht aussehen, sondern es auch sind und damit eine sparsamere Konstruktion, letztlich also einen ökologischeren Bau ermöglichen. Die Wellen und Knicke brauche es für die Stabilität all dieser Leichtigkeit, heißt es, es gibt demnach einen funktionalen Grund.

Von dem luftigen Kunststoffcharakter der Fassade kann man sich gut durch Beklopfung von der Linda and Jon Gruber Family Terrace im 7. Stock aus überzeugen, die ansonsten einen spektakulären Ausblick bis zur Bay Bridge bietet. Denn zu den funktionalen Gründen für einen Museumsanbau gehört in Amerika auch die Notwendigkeit, Spendern Plätze zur Anbringung ihrer Namen zu schaffen; Bauen gilt unter der Hand als die Ultima Ratio des Fundraisings, ohne das auch die normale Museumsarbeit nicht funktionieren könnte.

Schon deswegen betrachtet man Arbeiten von Shirin Neshat und William Kentridge in den Christine and Pierre Lamond Galleries, frühen Warhol in der Marie-Josée and Henry R. Kravis Gallery, späten Warhol hingegen in der, die nach Gay-Lynn and Robert Blanding benannt ist, und drückt vergebens gegen die Tür zum Ray and Dagmar Dolby Collections Study Center (Zutritt by appointment only).

Am Morgen, nachdem all diese Gönner aus dem Risikokapitalwesen des Silicon Valley gemeinsam mit den Künstlern, Galeristen und Kuratoren aus New York und dem Rest der Welt den neuen Bau gefeiert haben, steht allerdings eine der Aufsichtskräfte in den sogenannten Swartz Galleries und präsentiert sie, als wäre es ihre: eine fröhliche schwarze Frau direkt neben einem gewaltigen Gemälde von Anselm Kiefer ("Margarethe", blonde Heuhaufen in finsterer Paul-Celan-Landschaft . . . )

Die Laune beim Personal ist generell geradezu euphorisch, überall ruft jemand begeistert "Willkommen!", und zeigt, dass im Museum stadtgesellschaftliche Zukunftsfreude herrschen kann. Zweitens geht es im Kern bei dem Neubau um die Präsentation der Sammlung von Doris und Donald Fisher, den Gründern der Modekette "Gap". Die Fishers aber hatten als Großsammler neben der amerikanischen auch einen besonderen Schwerpunkt auf die westdeutsche Kunst seit 1960 gelegt: Kiefer, Richter, Baselitz, Gursky und so weiter.

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Innen ist der Anbau ganz skandinavische Helligkeit.

(Foto: Henrik Kam/Courtesy SFMOMA)

Lange hatte das Paar ein eigenes Museum dafür bauen wollen, stieß aber auf Widerstände. Das hatte auch damit zu tun, dass große Neubauprojekte in San Francisco mit seiner langen Protesttradition als schwierig durchsetzbar gelten. Zum Erbe der Gegenkultur gehört hier nämlich nicht nur die Begeisterung der Silicon-Valley-Geeks für "disrupture", also den Bruch, sondern auch ein eher konservierendes Sentiment, man kann es auch Angst vor Verdrängung nennen. Und dass diese nicht ganz unbegründet ist, zeigt sich in den vergangenen Jahren. In dem Maße, wie das Baugeschehen in San Francisco aus seiner Erstarrung im graubraunen Hochhausmittelmaß der Siebziger und Achtziger erwacht, beherrscht auch das Thema Gentrifizierung die Debatten. Der Anteil der Schwarzen an der Bevölkerung hat sich bereits halbiert.

Unmittelbar vor Don Fishers Tod im Jahr 2009 gaben die Sammler allerdings bekannt, dass sie sich stattdessen mit dem SFMoMA zusammentun. Der Neubau auf zwei benachbarten Grundstücken, die das Museum erworben hatte, enthält nun in erster Linie Ausstellungsflächen für die Kollektion der Fishers. Es sind weite Etagen unterm LED-Lichthimmel, die mit Stellwänden variabel unterteilt sind. Neben diesen relativ konventionellen Etagen schiebt sich eine dramatische Treppenanlage aus hellem Holz zwischen den Bau und seine Fassade.

Allerdings ist das, was die Fishers gesammelt haben, dermaßen kanonisch, dass man vielen Künstlern in Bottas Altbau, wo die eigentliche Sammlung des SFMoMA präsentiert wird, noch einmal begegnet. Es sieht nicht so aus, als sollten diese zwei Welten in Zukunft eng ineinander integriert werden. So bleibt es bei zwei grundverschiedenen Häusern, die auf den verschiedenen Ebenen straff zusammengenäht sind.

Ist das ein Problem? Es ist zumindest kontrastreich. Auf der einen Seite die gravitätische, schwere Monumentalarchitektur von Botta, in deren verwinkelten Gelassen neben den weltläufigsten Namen immer auch wunderbare, absolut entdeckungswürdige nordkalifornische Lokalberühmtheiten ein Zuhause haben - und dann der Neubau, der einem in seiner ganzen ökologisch vorbildlichen skandinavischen Hellholzfreundlichkeit die Schwergewichte des Kunstmarktes präsentiert.

Es ist ein gigantisches, jetzt praktisch schon wieder etwas überfüllt wirkendes Labyrinth, in dem man irgendwann, nämlich in der Abteilung für Grafikdesign, mit dem Smartphone ein Smartphone in einer Vitrine fotografieren kann: Das iPhone Nr. 1 ist da ausgestellt, der erste Macintosh Computer, die Google Brille.

New York mag sich als Mittelpunkt der Welt fühlen, aber das hier ist immer noch der Mittelpunkt des Internets, die Hauptstadt der Digitalwirtschaft - ein Halbinselkopf, auf dem es bedenklich eng geworden ist, seit das Silicon Valley bis zur Golden Gate Bridge reicht. Man kann sich kaum vorstellen, dass die flachen, alten Häuser im Rücken des SFMoMA nicht auch irgendwann mal durch Hochhäuser ersetzt werden. Man kann sich auch leider kaum vorstellen, dass nicht irgendwann versucht wird, auf den Fassaden Touchscreens nachzubilden oder die Struktur von Facebook. Der Hang zur "architecture parlante", zur sprechenden Architektur, wie man das zur Zeit der Französischen Revolution genannt hat, ist auch heute, zur Zeit der digitalen Revolution, ausgeprägt.

Man wird dann eventuell mal ganz froh sein, irgendwo dazwischen etwas Weißes klemmen zu sehen, das ein wenig aussieht wie ein Stapel Taschentücher, ein verirrtes Baiser, ein verflattertes Segel oder auch einfach nur eine schwummrige Wetterlage. Digital Natives können ja "cloud" dazu sagen.

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