Süddeutsche Zeitung

Architektur:Grüner Marmor mit Blick zum See

Bislang war Lugano, das Zentrum des Tessins, vor allem durch seine Banken bekannt. Das soll sich jetzt aber ändern: Die Stadt hat ein anspruchsvolles Kulturzentrum eröffnet.

Von Henning Klüver

In herrlicher Lage zieht sich die Stadt Lugano, das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum des Tessins, um eine Bucht des gleichnamigen Lago hin und klettert mit ihren Ausläufern die umgebenden Hügel hinauf. Weniger herrlich zeigen sich die vielen Gebäude, die den Blick zum See verstellen. In den vergangenen Jahrzehnten sind vornehmlich banale Betonarchitekturen gewachsen, ohne Beziehung zur langen Geschichte des Ortes am kulturellen Schnittpunkt zwischen der Schweiz und Norditalien, wie man sie etwa in der Kirche Santa Maria degli Angioli entdecken kann. Genau neben dieser Kirche nun trifft man ab jetzt auf das neue Kulturzentrum der Stadt, die Lugano Arte Cultura (LAC). Nach zehn Jahren Planen und Bauen und Kosten von umgerechnet 190 Millionen Euro wurde es diesen Samstag mit mehreren Ausstellungen sowie einem Musik- und Theaterprogramm eröffnet.

Der Entwurf des Tessiner Architekten Ivano Gianola, den eine Kommission unter Leitung von Mario Botta ausgewählt hatte, geht von einem lichtdurchfluteten Zentralbau aus, der sich mit einer Glasfassade zur Piazza Luini an der Uferstraße öffnet. Auf der Rückseite lehnt er sich an einen Hügel, an dessen Hang ein Garten und ein kleines Freilichttheater entstanden sind. Herzstück ist neben der Eingangshalle ein Konzert- und Theatersaal für 1000 Zuschauer, der in Zusammenarbeit mit den Fachleuten der Münchner Akustikfirma Müller-BBM ganz mit Birnenholz ausgekleidet wurde. Vom Hauptgebäude ausgehend schiebt sich ein riegelartiger Seitentrakt über den Platz hinweg Richtung Ufer. In diesem an den Schauseiten mit grünem Marmor bedeckten Gebäudeteil sind Museums- und Ausstellungsräume untergebracht. Sie werden vom neu gegründeten Kunstmuseum der italienischen Schweiz bespielt, in dem sich eine städtische und eine kantonale Einrichtung zusammengeschlossen haben.

Von der Piazza aus wird das Konzept des Architekten verständlich, der hier mit offenen und geschlossenen Baukörpern den dahinter liegenden Hügel gleichsam am Seeufer auslaufen lassen will. Wenn man sich jedoch von der Uferstraße auf die Stadt zubewegt, schneidet Gianolas dunkler Marmortrakt brutal in die traditionelle Ansicht Luganos hinein. Er wirkt schwer und viel zu groß. So als wollte eine eher von Banken und Hotels geprägte Stadt mit architektonischer Macht unbedingt ein kulturelles Zeichen setzen. Bislang blieben Kunst-Initiativen wie etwa die große Bramantino-Ausstellung im vergangenen Jahr eher vereinzelt. Das soll sich jetzt ändern. Die hoch verschuldete Gemeinde rechnet für das LAC mit einem Jahresbudget von umgerechnet 25 Millionen Euro, das gut zur Hälfte von Sponsoren getragen werden soll.

Zur Eröffnung überzeugt jedenfalls das Ausstellungsprogramm. Im Mittelpunkt steht eine große Schau über Tessin als Passage für Künstler diesseits und jenseits der Alpen zwischen 1840 und 1960. Zu sehen sind bis zum 10. Januar rund 150 Exponate von Böcklin bis de Chirico und Morandi, von Turner bis Fontana und Giacometti. Zum LAC gehört außerdem die in einem Nebengebäude untergebrachte hochkarätige Privatsammlung Olgiati zur Gegenwartskunst. Sie beweist, dass die Stadt bereits in der Vergangenheit mehr zu bieten hatte als langweilige Fassaden.

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Quelle:
SZ vom 15.09.2015
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