Süddeutsche Zeitung

Architektur:Gemälde in drei Dimensionen

Zum Bauhaus-Jubiläum wurden auch die sieben Dessauer "Meisterhäuser" liebevoll in ihren Originalzustand zurückversetzt. Ihre visionäre Qualität ist erst jetzt wieder zu erkennen.

Von Catrin Lorch

Paul Klee meditierte lange vor seinen Leinwänden, bevor er den Pinsel in die Hand nahm. Malen war denken, absolute Konzentration. Vor dieser Wand hat er gesessen. Sie ist dunkel gestrichen, fast schwarz. Das gleichmäßige Nordlicht, das durch die hohen Fenster in sein Atelier fällt, bricht sich daneben auf grauen und graublauen Flächen. Alles in diesem Saal, in dem der Maler zu seiner Zeit als Lehrer am Bauhaus mehr als 200 Bilder gemalt hat, ist Ruhe und Zurückhaltung.

Die Werkstatt ist nur ein paar Treppenstufen entfernt von Küche und Esszimmer. Und die wirken ganz anders: Die Durchreiche von der Küche über die Spülküche ins Esszimmer - ein höchst funktionaler Bereich - ist strahlend bunt gehalten, hellgrüne Schiebetüren gliedern die Wandflächen über kräftigen Querakzenten in Weiß. Gelbe Fensterrahmen und rote Geländer verleihen der Architektur die Qualität einer farbig gefassten Skulptur. Wer in diesem Jahr, in dem die Kunstschule Bauhaus ihren 100. Geburtstag feiert, dem Ursprung des Mythos nahekommen will, für den gibt es keinen besseren Ort als diese Reihe kleiner Villen in Dessau, deren kürzlich abgeschlossene, perfekte Renovierung ihre Schönheit feiert.

Die glänzende Wand über Nina Kandinskys Bett sieht aus, als sei ihr Silberton angeweht worden

Das war nicht immer so, lange standen sie im Schatten des ikonischen Bauhaus-Gebäudes, das mit seiner gewaltigen Glasfassade wie eine Lernfabrik wirkt. Während dieses Gebäude schon zu DDR-Zeiten renoviert worden war, waren die Wohnhäuser, die der Bauhaus-Gründer Walter Gropius für seine Professoren geplant hatte, noch bis in die Neunziger unkenntlich: Eines war ganz zerstört, die anderen waren durch zugemauerte Fenster und klobige Schornsteine entstellt, einem hatte man ein Giebeldach aufgesetzt.

Es gibt für die Moderne in Deutschland wohl kaum eine bedeutendere Anschrift als die Burgkühnauer Allee, in der neben Gropius auch seine Nachfolger Hannes Meyer und Ludwig Mies van der Rohe residierten, László Moholy-Nagy und Josef Albers, Lyonel Feininger, Georg Muche und Oskar Schlemmer und am längsten - im Doppelhaus Nummer 6 - Wassily Kandinsky und Paul Klee.

Die Häuser, so schrieb es schon bei ihrer Einweihung der Kunstkritiker Max Osborn, hätten im Vergleich zu dem "orthodox-puritanischen" und "bös-ungemütlichen" Versuchshaus in Weimar an Behagen und Komfort zugenommen. Hannes Meyer nannte sie sogar "geistvolle neoplastische Gebilde und vom Leben erfüllte Plastik", Lyonel Feininger "Schöpfung".

Ihr Bau war untrennbar mit dem Umzug der Bauhäusler von Weimar nach Dessau verbunden, wo man Gropius nicht nur ein Schulgebäude, sondern eben auch Werkstätten, einen Wohnturm für die Studenten und sieben Wohnhäuser für die Meister versprochen hatte. Gropius, für den Architektur die Organisation von Lebensvorgängen war, schrieb beim Einzug im Juli 1926: "Der Willkür der Stile sind wir satt geworden, von der Laune zur Regel geschritten und suchen nun in klaren knappen und einfachen Formen, die der Art unseres heutigen Lebens entsprechen, den wesentlichen und sinnvollen Ausdruck unserer häuslichen Umgebung."

Vor allem die Grundrisse gelten als stilbildend. Die Doppelhäuser sind ineinander verschränkt und um 90 Grad gedreht und enthalten neben den Ateliers sowie Wohn- und Schlafräumen auch Mädchenzimmer, Gästezimmer und Dienstboteneingänge. Sie waren mehr als 250 Quadratmeter groß, die Direktorenvilla sogar 350 Quadratmeter. Gewaltige Fenster und eine Vielzahl von Terrassen wirkten luftig, die hellen flächigen Fassaden mit ihren dunklen Flachdach-Kanten kontrastierten mit den Kiefern auf dem Gelände.

Und auch das Inventar war höchst ausgesucht, das meiste stammte aus den Werkstätten der Kunstschule, wie die von Marianne Brandt für die Metallwerkstatt entworfenen Lampen und die Stahlrohrsessel von Marcel Breuer. Während Klee und Kandinsky nicht auf ein paar persönliche Möbel wie dunkel gebeizte Anrichten verzichten wollten, führte Ise Gropius nicht nur Architekten, sondern auch die Hausfrauenvereinigung durch ihr modernes Zuhause. Und ein Dokumentarfilm zeigte Dienstmädchen, die mechanische Wunderwerke wie zusammenschiebbare Fenstergitter und Klappsofas vorführten. Einzig Oskar Schlemmer beschwerte sich über den ihm vorgegebenen Lebensstil, schließlich musste er mehr als die Hälfte seines Gehalts für Miete und Heizung ausgeben.

Es ist wohl die selten wieder erreichte Mischung aus äußerster Reduktion und Eleganz, aus Strenge und Boheme, die diese Ästhetik ausmacht. Und obwohl auch die Meisterhäuser bis auf die zerstörte Direktorenvilla in den Neunzigerjahren wiederhergestellt wurden, sind sie eigentlich erst jetzt wirklich wiederzuerkennen. Denn lange wurden sie für Ausstellungen genutzt, obwohl sie mit ihren großen Glasfenstern und eher kleinen Räumen dafür kaum geeignet waren, schon weil der Denkmalpfleger notieren musste, dass in die Badezimmer Klimaanlagen eingebaut wurden, deren Ausgänge auf den einst monochromen Wandflächen mit Blechen verkleidet waren.

Der wissenschaftlichen Mitarbeiter Florian Strob spricht darüber, als sei es nicht um die Reparatur von Gebäuden gegangen, sondern um die Restaurierung kostbarer Gemälde. Vor allem die Wiederherstellung der farbigen Wandflächen. Dafür wurden Pigmentschichten analysiert, Zustandsberichte angefertigt, Pläne und Ausführungen anhand von Zeichnungen und Fotografien beurteilt. War die legendäre schwarze Esszimmerwand bei Familie Kandinsky einst auch korallenrot? Wie viele Schichten Blau und Grün verbergen sich unter der Farbe, mit der die Zimmer nach dem Umzug der Bauhäusler nach Berlin geweißelt wurden?

Mehr als hundert verschiedene Farbtöne katalogisierten die Wissenschaftler. Bei der Ausmalung wurden dann nicht nur die originalen Farben angemischt, sondern auch die historischen Pigmente und Bindemittel verwendet. Ein stumpfes Rot wirkt eben ganz anders als ein strahlender Lack. Jetzt können die Gebäude für sich selbst stehen, und das einzige, was in den Räumen installiert wurde, sind Stelltafeln mit integrierten Monitoren, die sozusagen am Ort des Geschehens Architektur- und Kunstgeschichte referieren. Die Häuser selbst sind fortan die Exponate.

Die Wirkung ist außerordentlich. Im eher kleinen Schlafzimmer von Nina Kandinsky mag man sich überhaupt nicht abwenden von dem matt schimmernden Silberton der Stirnwand, der als feinkörnige, fast grisselige Oberfläche die Mauer fast aufzulösen scheint. Als sei das Silber angeweht worden, da, wo einst das Kopfende des Bettes stand. Der kostbare Glanz muss Nina Kandinsky gut gestanden haben. Die Gattin des bedeutendsten Malers des frühen 20. Jahrhunderts war, anders als ihre Vorgängerin, die Malerin Gabriele Münter, eine kapriziöse Frau.

An einem sonnigen Tag dringt mit dem warmen Licht auch der Geruch von Harz und Tannennadeln in die farblich perfekt ausbalancierten Zimmer. Man kann sich vorstellen, dass die Familien, deren Privileg es war, hier zu wohnen, meist über die Terrassen liefen und nicht über die kleinen Flure, von denen Treppen abzweigen, die so schmal sind wie die Stufen auf einem Schiff. Die Schlichtheit und Funktionalität war hier aber etwas, das man ausspielte: Das Zickzack der einfachen Stufen wird durch gelbe Farbe noch betont, der Schwung des Handlaufs in grellem Rot hervorgehoben, die hölzernen Leisten der Schiebetüren und Fensterrahmen in einen abstrakten Mehrklang aus Gelb, Rot, Weiß und Schwarz verwandelt. Man muss die Gebäude nicht länger als historische Kulissen sehen. Man kann sie jetzt einfach auch genießen. Als Kompositionen der Moderne, als Bilder.

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Quelle:
SZ vom 08.08.2019
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