Architektur:1929 für immer

Berlin Neukölln Dachgarten des Karstadt Hauses am Hermannplatz AUFNAHMEDATUM GESCHÄTZT

Der Karstadt am Berliner Hermannplatz entstand 1929 und wurde in den letzten Kriegstagen zerstört.

(Foto: imago)

Zum Hype um die Fernsehserie "Babylon Berlin" passt der Plan, das mondäne Kaufhaus am Berliner Hermannplatz zu rekonstruieren.

Von Peter Richter

Der Erfolg der Fernsehserie "Babylon Berlin" ist auch ein architekturhistorisches Phänomen. Selten ragte der Alexanderplatz moderner aus seiner Umgebung - was auch daran liegen mag, dass die Leute da schon zwischen den Bauten von Peter Behrens herumlaufen können, die 1929, dem Jahr der Filmhandlung, noch gar nicht standen, aber sozusagen in der Luft lagen. Es war das Jahr, in dem der Wettbewerb zu einer zeitgemäßen Umgestaltung des Platzes die Gemüter bewegte. Denn wie Monika Wagner in ihrem dieses Jahr bei Wagenbach erschienen Buch "Marmor und Asphalt" deutlich macht: "zeitgemäß" bedeutete 1929 eine Betonung der Horizontalen, und die Horizontale bedeutete ihren Verfechtern ein "prometheisches Weltgefühl", sie eignete sich für eine auf den Menschen der Moderne, also den Autofahrer hin berechnete Architektur, und sie wurde assoziativ mit Demokratie, Freiheit, dem Überwinden der Trennung von Stadt und Land, Armen und Reichen verknüpft. Vertikalen waren in dieser Sicht der Dinge eine Sache der Vergangenheit und von autokratischen Kräften.

So erklärt sich der Zorn, mit dem Siegfried Kracauer damals gegen Philipp Schäfer, den Chefarchitekten der "Unternehmerfestungen" (Kracauer) des Karstadt-Konzerns, polemisierte. Jede seiner strengen Vertikalen sei "ein senkrechter Gewaltakt". Was nämlich 1929 tatsächlich gerade fertig wurde, war Schäfers berühmtes Kaufhaus am Hermannplatz, wo Kreuzberg an Neukölln stößt. Das bestand praktisch nur aus gewaltigen, ununterbrochen himmelwärts donnernden Vertikalen und entsprach, da hatte der Marxist Kracauer schon den richtigen Instinkt, genau der Architektursprache, mit der sie damals auch in New York ihre Zikkurate zum Ruhme des Kapitalismus hochzogen: Art Deco verhielt sich auch ästhetisch zum Bauhaus nun einmal wie ein Unternehmerverband zu einer Gewerkschaft.

So gesehen konnte "Babylon Berlin" keine bessere Kulisse für die klassenkämpferischen Krawalle von 1929 passieren als das Haus, das 1929 tatsächlich die Kulisse dafür war. Und so gesehen passt es wiederum zum auch heute und besonders in Immobilienfragen noch hinreichend klassenkämpferisch aufgelegten Kreuzberg, wenn dort nun die amerikanischen und österreichischen Eigner der Karstadt-Immobilien, wie die Welt begeistert berichtet, die Rekonstruktion des in den letzten Kriegstagen zerstörten, dann anspruchslos wiederaufgebauten Kaufhauses ankündigt. Auch die legendäre Dachterrasse soll demnach wiedererstehen und die Lichtsäulen auf den Türmen, die einst als Fliegersignale für den nahen Flughafen Tempelhof dienten. Neben Gewerbeflächen, etwa Büros, einem Hotel und einer Markthalle, soll auch weiterhin ein klassisches Warenhaus darin betrieben werden, so totgesagt Warenhäuser heute auch sein mögen. Aber so eine Nutzung ist ja nicht für alle Ewigkeiten festgeschrieben, im Zweifel wird sich mit der dann wieder luxurierenden Immobilie auch anderweitig Geld verdienen lassen. Für die Proteste gegen all das, liegt heute wie 1929 der große Hermannplatz praktisch vor der Haustür.

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