Architektur für Unterkünfte:Wie Flüchtlinge wohnen könnten

Anfang der 1940er Jahre entwarf der Architekt Hans Schwippert Notunterkünfte für Vertriebene. Seine Ideen sind wieder aktuell.

Von Agatha Buslei-Wuppermann

Es ist die Frage der Stunde: Wie sollen die Flüchtlinge in Deutschland untergebracht werden? Die Kommunen trifft diese Aufgabe unverhofft. Aber sie bietet auch die Chance, endlich die Aufgabe des sozialen Wohnungsbaus neu zu überdenken.

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hießen die Ankommenden "Heimatvertriebene". Rund 14 Millionen Deutsche verließen Ende 1944 ihre Heimat, wurden deportiert oder in die Flucht geschlagen. Bereits 1942/43 entstanden für die Unterbringung der "Heimatvertriebenen" Konzepte, die nach über 70 Jahren keine Aktualität eingebüßt haben, im Gegenteil, es lohnt sie heute, sie noch einmal zu studieren.

So entwickelte damals der Architekt Hans Schwippert, der später vor allem durch den Bau des ersten Deutschen Bundestages in Bonn (1948/49) bekannt wurde, an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen Entwürfe für Flüchtlingsunterkünfte, die sich an den menschlichen Bedürfnissen jener Zeit orientierten und durch Praktikabilität auszeichneten. Auftraggeber war das Deutsche Wohnungshilfswerk. Nur ein Bruchteil konnte realisiert werden. Aufgrund der gewaltigen Flüchtlingsströme, die im Jahr 1944 einsetzten, kam es gegen Kriegsende nur noch zur Ausführung einfachster "Notstandhäuser". Wertvolle Dokumente blieben jedoch erhalten. Es sind Pläne und Detailzeichnungen für Notunterkünfte und Behelfsheime, die größtenteils im Archiv der TU in München verwahrt werden. Als beispielhaft gilt eine Siedlung in Raeren, Belgien.

Die ersten Entwurfsgedanken des Architekten gingen von einer einfachen Formensprache der Bebauung aus, die sich an der Region orientierte. Mit einem "Stückchen Land / Garten" verband Schwippert nicht nur die Idee einer "Erdung" und damit eine direkte Identifikation mit dem Ort und dem Klima, sondern wollte auch den Bewohnern die Möglichkeit schaffen, sich selbst zu versorgen. In der Baubeschreibung aus dem Jahr 1943 erklärte er seine Idealvorstellung: "Das Land, was ich beackere, das bringe ich zur Blüte."

Architektur für Unterkünfte: 1943 entwarf Hans Schwippert die Reihen- und Gruppenbauten von Behelfsheimen. Einfache, erweiterbare Häuser, die versuchen, möglichst viel Platz zu bieten.

1943 entwarf Hans Schwippert die Reihen- und Gruppenbauten von Behelfsheimen. Einfache, erweiterbare Häuser, die versuchen, möglichst viel Platz zu bieten.

(Foto: Architekturmuseum der TU München; Archiv Agatha Buslei-Wuppermann)

Seine Visionen einer direkten Einbindung in die Natur drückte sich ebenso in der Bezeichnung der Bautypen aus: Den Grundtyp nennt Schwippert "Wohnlaube", er ist mit einem einfachen Pultdach gedeckt und als Einzelbaustein mit leicht erweiterbaren Möglichkeiten geplant. Die "Wohnlaube" hat eine Grundfläche von 6,55 x 3,45 Metern, woraus sich eine Wohnfläche von etwa 22 Quadratmetern ergibt. Diese Größe entsprach den damaligen Vorschriften einer Unterkunft für zwei Personen des Deutschen Wohnungshilfswerks. Die Bauweise ist denkbar einfach, die Mittel sind bescheiden. Der Eingang befindet sich an der Breitseite, neben der Eingangstür geht die Konstruktion in die Fensteröffnung über. Hinter dem gut 13 Quadratmeter großen Wohnraum schließt sich ein knapp zehn Quadratmeter großer Schlafraum an.

Trotz der Beengtheit sollten die Wohnungen ein würdevolles und soziales Miteinander ermöglichen

In isometrischen Darstellungen zeigte der Architekt, wie er auf schmalen Parzellen Pultdachhäuser erweiterbar anordnet. Beim Reihenhaus verwendete er Satteldächer. Pro Person steht circa 22,5 Kubikmeter umbauter "Tagesraum" zur Verfügung. Die Anordnung der Gebäude richtete Schwippert nach der Sonneneinwirkung aus. Weitere Varianten zu "Wohnlauben", die im ersten Halbjahr 1944 entstanden, besitzen eine noch stärkere Anbindung an das ländliche Leben und die Möglichkeit, sich auf kleinem Grundstück selbst zu versorgen.

Die Menschenwürde an erster Stelle

Mit immer dichter werdenden Flüchtlingsströmen kamen in Zeiten größter Armut im zweiten Halbjahr 1945 nur noch Notwohnungen und sogenannte Wellblechnissen zur Ausführung. Diese Bauten bestanden aus einer einfachen Holzkonstruktion mit einer gebogenen Wellblechüberdachung in Form einer Tonne. Die Grundrisse sind trotz aller Beengtheit auf ein würdevolles, soziales Miteinander zugeschnitten. Wohn- und Schlafräume werden strikt getrennt. Jeweils acht Wohneinheiten haben eine gemeinsame Waschküche, ein Dusch- und Aborthaus.

Passend dazu entwarf der Architekt Möbel für den Selbstbau in enger Anlehnung an die Natur, sogenannte Behelfsmöbel für Selbstherstellung. Er schrieb dazu: "Mit eigenen Händen und wenigen Werkzeugen einige notwendige Gerätschaften, zu denen auch Möbel zählen, selbst anfertigen zu können (. . .) hat, und sei es noch so ,primitiv', eine Art von Schönheit."

Nahezu zeitgleich entwickelte Schwippert Möbel für Volkswohnungen in industrieller Massenanfertigung. Systematisch erarbeitete er dazu einen Typenkatalog, den er "Wohngerät 43" nannte. Kurze Zeit später folgte eine "Hausrat-Fibel" mit Anleitungen und Verbesserungsvorschlägen für den praktischen Gebrauch. Wichtige Kriterien waren die einfache Montage und der Transport, weswegen die Möbel komplett zerlegbar waren.

Architektur für Unterkünfte: Aus dem Jahr 1943 stammen auch Möbel- entwürfe, die Maria Schwarz zeichnete. Sie alle konnten zerlegt werden.

Aus dem Jahr 1943 stammen auch Möbel- entwürfe, die Maria Schwarz zeichnete. Sie alle konnten zerlegt werden.

(Foto: Architekturmuseum der TU München; Archiv Agatha Buslei-Wuppermann)

Hans Schwippert entwarf für die Grundbedürfnisse: Bett, Schrank, Stuhl. Wo sechs bis zwölf Personen auf minimalem Raum unterzubringen waren, bedurfte es unkonventioneller Ideen: Tagsüber ließen sich Etagenbetten zu Sitzgelegenheiten umbauen, Tische zusammenschieben und mit Stühlen zu einem gemeinsamen Esstisch verwandeln.

Unter den Bedingungen der Diktatur und mitten im Zweiten Weltkrieg, waren diese Entwürfe ganz den existenziellen Nöten der Zeit geschuldet, die für eigensinnige, künstlerische Experimente keinen Spielraum ließ. Umso mehr erstaunt die ganz und gar ideologiefreie Herangehensweise und die zeitlose Praktikabilität.

Hans Schwippert hat sich um die "Tugend" der Dinge und ihr "Machen und Brauchen" viele Gedanken gemacht. Seine Entwürfe zeigen integrative Lösungen und verweisen auf eine "Willkommenskultur", wobei die Würde des Menschen - trotz aller Kriegswirren und Beengtheit - bei den Überlegungen und Entwürfen an allererster Stelle stand. Sicherlich sind sie nicht auf hier und heute übertragbar, aber sie zeigen vor allem eines: Wie in schwierigen Zeiten so erfinderisch wie praktisch mit Problemen umgegangen werden kann.

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