Architektur:Form und Spiel

Das Büro Barkow Leibinger kämpft für die Architektur als Kunst und gegen das Berliner Sandstein-Dogma.

Von Peter Richter

Es gibt ein Video, auf dem sieht man Regine Leibinger und Frank Barkow mit rührender Hingabe Streifen aus Buntpapier schneiden, zu in sich verdrehten Kringeln zusammenleimen und die so entstandenen Möbiusbänder zu einem Nest türmen. Es wirkt erst wie ein selbstvergessener Bastelnachmittag und entpuppt sich dann als eine Erläuterung der poetischen Methode, die vor vier Jahren ihrem Sommerpavillon für die Serpentine Gallery in London zugrunde lag.

Was damals dort im Hyde Park als ephemere Festarchitektur einen Sommer lang das Publikum bezauberte und verwirrte, weil eine Architektur der verkrempelten Möbiusbänder naturgemäß immer in der Schwebe lässt, wo innen und wo außen, wo oben und wo unten ist, das kann ab sofort auch in Berlin betrachtet, umschritten, betreten, aber wahrscheinlich nie so ganz durchdrungen werden. Der Pavillon, der in London noch aus Sperrholz war, ist im Park hinter dem "Haus am Waldsee" noch einmal neu errichtet worden, diesmal in Metall. Er bildet dort den Abschluss einer stattlichen Mid-Career-Retrospektive, in deren Verlauf der Betrachter unter anderem auch mit Wänden aus Drahtgeflechten konfrontiert wird, die mal durchsichtig sind und dann wieder ins Opake changieren.

In Berlin nutzten sie den Platz, die billigen Mieten und die Kunstszene für ihre Arbeit

Das legt die Feststellung nahe, dass das Büro Barkow Leibinger hiermit nun offiziell in Berlin angekommen sei. Das wiederum mag nach fast dreißig Jahren in der Stadt ein wenig sonderbar klingen. Aber es ist tatsächlich ein Teil der Geschichte, die hier erzählt wird. Denn als Leibinger und Barkow Anfang der Neunzigerjahre nach Berlin kamen, um hier ihr gemeinsames Büro aufzumachen, galt die gerade zusammenwachsende Stadt aus der Ferne als ein Versprechen für Neuanfänge, Aufbrüche, Experimente, das sich jedenfalls für die beiden Zuzügler - Leibinger kam aus Baden-Württemberg und Barkow aus Montana - aber erst einmal eine ganze Weile lang nicht erfüllen sollte.

Sie hatten beide in Harvard bei Rafael Moneo studiert und dachten, wie Barkow heute im Rückblick erzählt, dass ihnen schon deswegen in Berlin alle Türen offen stehen mussten. Zu ihrer Ernüchterung war das ganze Gegenteil der Fall: Es waren die Jahre, in denen es Berlins Baupolitik unter dem Stichwort von der "kritischen Rekonstruktion" viel eher um die Wiedergewinnung der vormodernen Stadtstrukturen zu tun war, um die Schließung von Blockrändern und die Einhaltung von Traufhöhen sowie infolge dieser eher städtebaulichen Zielstellungen auch um Fassaden, die eher Wand als Fenster sein sollten, weniger Glas als Sandstein, selbst wenn der nur in dünnen Platten davor geklebt war.

Das Für und das Wider war damals schon heftig, vor allem das Wider, und eine von den damaligen Polemiken bereinigte Bewertung der Gründe, Absichten und Ergebnisse wäre ein Thema für sich. Auf jeden Fall waren es aber ein Ort und eine Zeit, in der eher Architekten den Ton angaben, bei denen sehr explizit klar war, wo innen und außen, oben und unten waren. Regine Leibinger und Frank Barkow blieb unter diesen Umständen gewissermaßen nur die Hintertür. Sie lebten in Berlin, nutzten den Platz und die billigen Mieten und den Kontext einer aufblühenden Kunstszene für ihre Arbeit, bauten an den weniger scharf von der Sandstein-Fraktion bewachten Rändern von Berlin, für Kindergärten etwa, in Südwestdeutschland auf den Betriebsgeländen jener Industriellenfamilie, der Leibinger entstammt, schließlich im Ausland, und am Ende eben doch in Berlin, wo sie demnächst sogar das höchste Haus der Stadt bauen werden, den 175 Meter hohen Estrel Tower in Neukölln, dessen Fassade von dem Legespiel Tangram inspiriert ist.

Das Bühnenbild für Christoph Waltz' Operninszenierung hatte eine rauschhafte Wirkung

Das Spielerische als Prinzip der Formfindung beziehungsweise der Zusammenhang von Form- und Spieltrieb, um es mal in Schiller'schen Begriffen zu fassen, hätte generell eine ganz gute Überschrift über diese Ausstellung abgegeben, die stattdessen "Revolutions of Choice" heißt, was aber vielleicht auf das Gleiche hinausläuft: In großen Regalen stehen und liegen da, nach dem Prinzip eines Schaulagers, all die Vorarbeiten, Materialproben und Formexperimente, die sich im Laufe der Jahre zu Wettbewerbsbeiträgen oder auch realisierten Bauwerken ausgewachsen haben. Im Kleinen könnten es auch freie Kunstwerke sein mit Bezug zu den seriellen Arbeiten europäischer Op- Art oder den Setzungen der amerikanischen Land-Art.

Es ist regelrecht faszinierend, zuzuschauen, wie sich auf diese Weise Strukturen und Fassaden entwickeln, die dann, ähnlich wie ein Spiel seinen Regeln, der ihnen jeweils innewohnenden Logik so konsequent folgen, dass daraus zwangsläufig Eleganz entsteht. Manchmal so entschlossen horizontal, dass sie beinahe an die Projekte Frank Lloyd Wrights für die amerikanischen Prärien denken lassen, dann wieder in getakteter Vertikalität, geradezu schraffiert, wie nadelnder Regen oder der Aufmarsch einer Armee von Giacometti-Skulpturen.

Dieser Einblick in die Werkstatt ist am Ende fast noch aufregender, auf jeden Fall aber aufschlussreicher als eine konventionelle Aneinanderreihung von Grundrissen, Modellen und Architekturfotos. Dass es in dieser Breite dazu kommen konnte, verdankte sich offenbar auch der Zwangspause durch die Pandemie. Das gab in diesem Frühjahr Zeit, die auf drei Berliner Lagerhallen verteilten Bestände zu sichten, was der von Ludwig Engel und Katja Blomberg kuratierten Ausstellung augenscheinlich noch einmal einen entschiedenen Dreh ins Archivarische gegeben hat.

Architektur: Das Spielerische als Prinzip der Formfindung: Revolutions of Choice.

Das Spielerische als Prinzip der Formfindung: Revolutions of Choice.

(Foto: Harry Schnittger)

Zu den frühen Opfern von Corona gehörte wiederum die Inszenierung der Oper "Fidelio", durch den Schauspieler Christoph Waltz im Theater an der Wien, die durch den Lockdown lediglich im Fernsehen gezeigt werden konnte, aber nie wirklich live. Auch das gewaltige, alles ausfüllende Bühnenbild, das ihm Frank Barkow dafür gestaltet hatte, hat so seine Wirkung nie wirklich an Ort und Stelle entfalten können. Dass das letztlich ein auf einer Doppelhelix basierendes Konglomerat von Volumina und Höhlen war, von sanften Treppen, die unversehens zu dramatischen Überhängen werden, als hätten Henry Moore und M.C. Escher sich das gemeinschaftlich ausgedacht, und zwar auf psychoaktiven Substanzen. Das sieht man aber vielleicht noch besser und eindrucksvoller in dem verkleinerten Modell, das dafür jetzt im Berliner Haus am Waldsee steht als wollte es einen mit dem verdammten Virus doch noch irgendwie versöhnen.

Barkow Leibinger - Revolutions of Choice. Bis zum 4.10. im Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, Berlin. Info: https://hausamwaldsee.de/. Ein Katalog herausgegeben von Katja Blomberg erscheint demnächst im Verlag Walther König und soll 24 Euro kosten.

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