Elbphilharmonie:Sie schufen das Covergirl unserer Zeit

New Elbphilharmonie Concert Hall Is Completed

"Stararchitekten", die seit langer Zeit das internationale Baunetz-Ranking der wichtigsten Architekten weit vor Frank O. Gehry, Zaha Hadid oder Coop Himmelb(l)au anführen: Pierre de Meuron (links) und Jacques Herzog im Konzertsaal der Elbphilharmonie im November 2016 .

(Foto: Sean Gallup/Getty Images)

Alle Welt blickt nach Hamburg, wo diesen Mittwoch der Konzertsaal der Elbphilharmonie eröffnet wird. Eine expressive Schönheit - ausgedacht vom Architektenduo Jacques Herzog und Pierre de Meuron.

Von Gerhard Matzig, Basel

Still liegt die Heinrich Heine im Wasser und wartet mit Blick auf die nahe Johanniterbrücke auf Ausflügler, die Basel vom Fluss aus erkunden wollen. Es ist frostig an diesem Morgen. Eine müde Sonne hängt, als habe sie verschlafen, knittrig über dem Rhein.

Bald ist es zehn Uhr, und die Welt wäre in Ordnung, bräche dann nicht eine babylonische Sprachhölle über das Idyll an der Rheinschanze Nummer 6 herein.

Und würde da nicht inmitten von Plänen und Modellen, inmitten von Hölzern und Backsteinen schon wieder ein Reporter auf Jacques Herzog und Pierre de Meuron warten. Wegen der Elbphilharmonie in Hamburg. Schon wieder. Sogar einen Spitznamen hat sie inzwischen: Elphi.

Hunderte junge Mitarbeiter aus Dutzenden Nationen treffen sich zur Frühstückspause. Das Büro Herzog & de Meuron besteht seit der Gründung im Jahr 1978 mittlerweile aus einem halben Dutzend Gebäuden unterschiedlicher Baujahre.

Nahe der Basler Altstadt passen sie alle nicht so ganz zusammen und bilden doch ein großes Ganzes. Einen Bienenstock der Baukunst. Einen Ameisenhaufen der Architektur. Eine Art Manufaktur. Eine allerdings, die auch eine Fabrik sein könnte, denn sie kann sich vor Aufträgen kaum retten. Es brummt also, wobei sich das Brummen um zehn Uhr eben wie Babel anhört.

Andere Architekturbüros klagen: Herzog & de Meuron ist der große Talente-Staubsauger

Elphi. "Ach Gott." Jacques Herzog, 66 Jahre alt, seufzt. Als wäre man ein Produzent von Spitznamen aus Stein, Stahl, Glas und Beton. Das sicher nicht. Von Zeichenhaftem aber schon. Architektur ist längst eine Marke. Und Elphi definiert den neuen Goldstandard einer Aufmerksamkeitsökonomie, in der eine enorme Nachfrage nach Signature Buildings herrscht.

Hätte Hamburg einen Preiszettel, dann könnte man, sobald das Konzerthaus am Mittwoch eröffnet wird, dazuschreiben: plus zehn Prozent. Mindestens. Die Welt schaut auf Hamburgs neues Wahrzeichen.

Basel dagegen guckt in die Welt. Man plaudert beim Frühstück im "HdM"-Reich über den Stand der Dinge. Hier, bitte, die Obstschale. Danke. Man spricht über ein Wohnhochhaus da - ist noch Tee da? - und ein Museum dort. Noch etwas Toast? Zu hören ist das weiche Baselschweizerisch der Region, ein paar Brocken Italienisch, Französisch, Spanisch ... und was ist das? Mandarin? Kantonesisch?

In München erzählen arrivierte Architekturbüros, dass man die besten Absolventen der Hochschulen gar nicht mehr bekomme. "Die gehen alle nach Basel." HdM ist der große Talente-Staubsauger.

Ihr Büro ist eine internationale, anregende Drehscheibe der Form- und Materialideen

Die Verkehrssprache an der Rheinschanze in Basel ist jedenfalls das einigende Englisch einerseits. Und die einigende Kraft diverser Designerbrillengestelle andererseits. Die jungen Leute müssen jedoch noch viel lernen. Herzog selbst trägt eine feine Brille mit Goldrand. Die Brille sieht nach Brille aus. Nicht nach Design.

Und das gilt so übrigens auch für die Architektur von Herzog und de Meuron. Ein größeres Kompliment für das Bauen der Basler gibt es nicht. Ihre Museen sind Museen, die Wohnhäuser sind Wohnhäuser und das Konzerthaus ist ein Konzerthaus. Das ist banal? Gar nicht. Das ist die ganz hohe Kunst des Bauens.

Ihr Architekturbüro ist dennoch oder eben deshalb eine internationale, anregende Drehscheibe der Form- und Materialideen. Der Räume. Und spätestens seit, genau, der Elbphilharmonie auch der wahnwitzigen Träume. Schon wieder die Elbphilharmonie!

Raffinesse und Archaik in einem

Jacques Herzog, von asketischer Gestalt, eher Marathonläufer denn Fußballfan (der er aber, Eff Cee Bee, in Reinform ist), seufzt noch einmal. Er blickt auf den Rhein. Die Sonne ist jetzt hellwach, und die Heinrich Heine legt ab.

Das Konzerthaus an der Spitze der Hamburger Hafencity wird nach mehr als zehn Jahren Bauzeit endlich eröffnet. Unter hohen Sicherheitsauflagen - und begleitet von einem Medienhype, wie er selten zuvor einem einzelnen Gebäude zuteil wurde.

Die Elbphilharmonie, die wegen explodierender Baukosten erst zum Skandalon, dann zum gefeierten Wahrzeichen wurde (besprochen in der Süddeutschen Zeitung vom 3. November), dürfte im Moment das populärste Bauwerk der Welt sein. Das gläsern und expressiv sich bauschende Dachsegel über dem machtvoll aus dem Wasser ragenden Backsteinsockel, Raffinesse und Archaik in einem, ist das Covergirl unserer Zeit. Und seine Schöpfer Herzog und de Meuron?

"Ich will eigentlich nichts mehr davon hören", sagt Herzog, "das Haus ist doch fertig, nun soll es leben." Und: "Es soll geliebt werden. Häuser, die nicht liebenswert sind, sind auch nicht lebenswert."

In diesen Tagen dürfte kein anderes Stück Architektur ähnlich oft fotografiert und gefilmt und abgeklopft und ausgehorcht werden. Wer aber sind die Architekten, die sich das ausgedacht haben? Und zwar gegen alle Unbill, von der allerersten Skizze bis zur Vollendung - und bis zur Existenzkrise des eigenen Büros. Als Herzog die erste Skizze anfertigte, wurde gerade sein Sohn geboren. Der ist heute fünfzehn Jahre alt.

Mehr als "Schönheit" war an Radikalität und Revolte nicht aufzubieten

Übrigens ist man auch neugierig, ob die, obacht, jetzt tut es weh, "Stararchitekten", die seit langer Zeit das internationale Baunetz-Ranking der wichtigsten Architekten weit vor Frank O. Gehry, Zaha Hadid oder Coop Himmelb(l)au anführen, noch an die Architekten erinnern, die man vor 30 Jahren als Student kennengelernt hat.

Das war in Laufen, dort, wo die Bonbon-Firma Ricola ihren Sitz hat. 1987 wurde das neue Lagerhaus errichtet. Nach Plänen junger Schweizer Architekten, die kaum jemand kannte außerhalb der Fachzirkel. Eine Studentenexkursion brachte einen nach Laufen. Zu den gelben Zitronenmelissebonbons. Und ins Gespräch mit dem jungen Jacques Herzog. Der sagte etwas Ungeheuerliches, Gefährliches, Verrücktes. Er sagte: "Ich will schöne Häuser bauen."

Dazu muss man wissen: Das Jahrhundert der Moderne hat den Begriff der Schönheit aus der Architektur verbannt. Etwas zu bauen, was nicht nur funktional sein, sondern auch die Funktion "Schönheit" aufweisen soll - das war an Radikalität und Revolte nicht mehr zu überbieten. Vor allem auch deshalb, weil Herzog und de Meuron (die sich seit Kindestagen kennen und auch zusammen studiert haben), sich gleichzeitig als Meister der Abstraktion und minimalistischer Formenstrenge erwiesen.

Das verwirrte. Schon das simple Lager des Bonbonherstellers war ein Riegel. Aber einer, den man gern umarmt und anfasst. Die Architekten aus Basel haben der Architektur eine verloren gegangene Sinnlichkeit zurückgegeben.

In Berlin spricht man Affront, Skandal und Wahnsinn, wenn von HdM die Rede ist

Und sie haben nicht den Fehler gemacht, Architektur als Logo misszuverstehen. Hadid-Bauten sehen immer wie Hadid-Bauten aus; und Richard Meier hat immer wieder das gleiche Haus gebaut. Nicht so HdM. Von Ricola über die Münchner Sammlung Götz, vom "Suva-Haus" in Basel über den Durchbruch mit dem Umbau der Londoner Bankside zur neuen Tate Gallery of Modern Art, von der Münchner Allianz Arena bis zum Olympiastadion in Peking, vom Museum für Vitra in Weil am Rhein bis zum soeben vollendeten Wohnwolkenkratzer in New York: Das Bauen von Herzog und de Meuron ist unberechenbar, weil es dem Ort, der Bauaufgabe und der Öffentlichkeit eher als der Marke und dem eigenen Anliegen geschuldet ist.

Auch deshalb ist die Welt der Architektur mal wieder in Aufruhr, nachdem sie in Hamburg gerade erst befriedet wurde. Diesmal geht es um Berlin. Dort haben Jacques Herzog und Pierre de Meuron kürzlich einen Wettbewerb zur Erweiterung der Nationalgalerie am Berliner Kulturforum gewonnen.

Mit einem strittigen Bau, der so ungewöhnlich gewöhnlich aussieht, so lagerstättenhaft simpel unter einem großen Satteldach - "wie ein Aldi". Die Kritik daran ist heftig. Man spricht von Affront, Skandal und Wahnsinn.

Aha. Wie in Hamburg vor vielen Jahren. Und heute? Elphi. Herzog lächelt. Und guckt wieder auf den Rhein. Alles fließt. "Architektur", sagt er, "ist wie ein Marathon." Nichts für Kurzatmige. Als Herzog und der gleichaltrige de Meuron vor Jahren in München das Passagensystem der "Fünf Höfe" erfanden, bestand Jacques Herzog auf einer Pflanzendecke, wobei die Rankpflanzen von oben nach unten wachsen sollten. Von oben nach unten! Er trieb alle Beteiligten in den Wahnsinn. Seufzte. Und wartete. Heute wachsen die Pflanzen von oben nach unten. Schön ist das.

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