DAM-Preis für Architektur:Wenn die Bibliothek zur Sauna wird

Die vier Finalisten des DAM-Preises zeigen, was in der Architektur heute zukunftsweisend ist - und was rückwärtsgewandt.

Von Laura Weißmüller

Was haben der Axel-Springer-Neubau in Berlin von von dem Büro OMA, eine Architektur wie ein aufgesprengter Gestirnsbrocken aus Glas und Stahl, und das farbenfrohe Wohnhaus San Riemo in München von dem jungen Leipziger Architekturbüro Summa Cum Femmer für die ähnlich junge Baugenossenschaft Kooperative Grossstadt gemeinsam? Um es abzukürzen: Nichts, außer dass die beiden Gebäude zu den vier Finalisten des DAM-Preises 2022 gehören, der an diesem Freitag verliehen wird. Der Architekturpreis ist einer der wichtigsten, aber auch öffentlichsten in Deutschland, schließt sich doch an die Preisverleihung stets eine große Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt an.

Anders als bei vielen Auszeichnungen dieser Sparte, wo nach der Jurysitzung die Schautafeln der nominierten Bauprojekte wieder zusammengeklappt werden und die Begründungen der Jury in dicken Bildbänden verschwinden, kann sich also von Samstag an in Frankfurt jeder über die Entscheidung selbst ein Urteil bilden. Insgesamt werden in der Schau hundert Gebäude vorgestellt, die allesamt vom DAM nominiert wurden, mit dem Ziel, "die Bandbreite der guten Architektur in Deutschland zu zeigen", wie Peter Cachola Schmal, der Direktor des DAM, es formuliert.

Aber was heißt das für die Architektur, wenn derart konträre Projekte miteinander um den Titel des besten Baus in Deutschland konkurrieren? Denn wenn man so will, stehen tatsächlich alle vier Finalisten für eine komplett unterschiedliche Herangehensweise an das Bauen.

Springer-Campus: Büros von morgen, Abschottung von gestern

DAM-Preis für Architektur: Der Axel-Springer-Neubau in Berlin von Office for Metropolitan Architecture (OMA).

Der Axel-Springer-Neubau in Berlin von Office for Metropolitan Architecture (OMA).

(Foto: Laurian Ghinitoiu)

Da ist zum einen der Axel-Springer-Neubau in Berlin. Rem Koolhaas, der das Büro OMA mitbegründet hat, dürfte einer der besten Architekten der Gegenwart sein. Er zerlegt jede Bauaufgabe in seine Einzelteile und setzt sie dann für die Zukunft wieder zusammen. Bei dem Springer-Bau stellte der 77-jährige Architekt, der seine Karriere als Journalist und Filmemacher begann, die nicht ganz uninteressante Frage, wie die Medienbranche in Zukunft arbeiten wird (und dabei Geld verdienen kann). Wer den Bau einmal betreten darf, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Es ist eine Art Raumschiff Enterprise, mit Cockpits und Luftbrücken, flexiblen Arbeitswelten und einem silbernen Röhrengang aufs Dach, den man sich für jedes moderne Bürohochhaus wünscht.

Allein: Es kommt halt so gut wie niemand hinein in dieses gewaltig große Gebäude, denn anders als angekündigt ist das Erdgeschoss nicht öffentlich. Das mag wichtige Gründe haben, als Signal für eine Stadtgesellschaft bedeutet es aber, dass da wieder ein privater Bauherr im Herzen von Berlin ein über 10 000 Quadratmeter großes Grundstück allein für sich beansprucht, obwohl er noch im Wettbewerb zahlreiche Flächen für öffentliche Funktionen im Atrium versprochen hatte. Bei immer knapper werdenden Flächen in den Städten und immer hitziger werdenden Kämpfen, wer sich das Arbeiten und Wohnen dort noch leisten kann, ist es an der Zeit, diese Inbesitznahme einmal zu hinterfragen.

DAM-Preis für Architektur: Das genossenschaftliche Wohnhaus "San Riemo" in München-Riem von Arge Summacumfemmer Büro Juliane Greb überzeugte die Jury des DAM-Preises 2022 vollständig.

Das genossenschaftliche Wohnhaus "San Riemo" in München-Riem von Arge Summacumfemmer Büro Juliane Greb überzeugte die Jury des DAM-Preises 2022 vollständig.

(Foto: Petter Krag)

San Riemo: Leben in die Schlafstadt

Konträr zu einer solch egoistischen (Be-)Setzung steht das Genossenschaftshaus San Riemo in München, das beispielhaft zeigt, wie weit - allen Unkenrufen zum Trotz - Partizipation reichen kann. Denn viel mehr Mitbestimmung bei einem Projekt vom Gründungstag der Baugenossenschaft an geht nicht. Hier erteilte nicht ein einzelner Bauherr den Auftrag, hier gab es eine vielstimmige Gemeinschaft aus lauter Einzelpositionen der zukünftigen Bewohner, die es zu bündeln galt, und gleichzeitig den Anspruch, mit dem Haus auch die Umgebung zu aktivieren. Der Architekturwettbewerb für San Riemo war dementsprechend komplex. Trotzdem schafft es das von den Architekten Anne Femmer und Florian Summa zusammen mit dem Büro Juliane Greb entworfene Wohnhaus, ein narkotisiertes Neubauviertel zu beleben wie das im Münchner Vorort Riem, von denen es in Deutschland viel zu viele gibt.

San Riemo besitzt öffentliche Funktionen im Erdgeschoss und bietet dadurch den Nachbargebäuden und seinen Bewohnern ringsum einen Mehrwert. Es zeigt aber auch, dass ein Wohnhaus in der Stadt heute nicht mehr allein dem Wohnen vorbehalten sein darf, wenn es der Lebensrealität von Home Office, Patchwork-Familien und einer älter werdenden Gesellschaft gerecht werden will. Die Grundrisse der einzelnen Wohnungen sind auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Bewohner zugeschnitten und trotzdem noch so flexibel, dass sie sich mit deren Leben verändern können.

DAM-Preis für Architektur: Die John-Cranko-Ballettschule in Stuttgart von Burger Rudacs Architekten.

Die John-Cranko-Ballettschule in Stuttgart von Burger Rudacs Architekten.

(Foto: Brigida Gonzalez)

John-Cranko-Schule: die Ballettburg aus Beton

Auch die zwei anderen Finalisten stehen sich an zwei sehr unterschiedlichen Ecken der Architektur gegenüber. Da ist die John-Cranko-Schule in Stuttgart von dem Büro Burger Rudacs Architekten, die auf Fotografien nicht nur die wenigen verbliebenen Betonfans verzücken dürfte, weil der Bau sich so anmutig an einen der Stuttgarter Hügel schmiegt. Aber wie gut ist ein Gebäude, das seinen Benutzern und jungen Bewohnern - die Schule ist auch ein Internat - eine maximal antiseptische Umgebung bietet? An der nackten Betonwand darf nichts befestigt werden, die kleine Bibliothek verwandelt sich schon bei herbstlicher Sonneneinstrahlung in eine Sauna, und einer der schönsten Räume zur Stadt hin bekam kein Fenster nach vorne, weil das die Gesamtansicht des Hauses gestört hätte. Da schimmert hinter der massiven Betonfassade dann doch eine Einstellung der Architekten durch, die alles dem eigenen Entwurf unterordnet und die man eher im vergangenen Jahrhundert verortet hätte. Von der desaströsen CO2-Bilanz des verwendeten Baustoffes ganz zu schweigen.

Einfach, robust, nachhaltig. Das sind die Ansprüche, die diese Forschungshäuser in Bad Aibling erfüllen sollen.

Einfach, robust, nachhaltig. Das sind die Ansprüche, die diese Forschungshäuser in Bad Aibling erfüllen sollen.

(Foto: Schels Lanz PK Odessa)

Forschungshäuser: Holz, Beton und Ziegel im Test

Die Klimabilanz des vierten Finalisten sieht deutlich besser aus. Es handelt sich um die Forschungshäuser des Münchner Architekten Florian Nagler in Bad Aibling. Um zu zeigen, dass man auch heute, im 21. Jahrhundert und trotz einer immensen Zahl an Baugesetzen und Normen gerade in Deutschland, einfach bauen kann, hat Nagler drei äußerst simple Häuser errichten lassen, aus Beton, aus Holz und aus Mauerwerk. Bei der anschließenden Auswertung der Gebäude ging es einerseits darum, wie sich die unterschiedlichen Baumaterialien auf den Energieverbrauch der Häuser auswirken. Andererseits darum, wie sich die Orientierung der Bauten nach den Himmelsrichtungen, wie sich verschiedene Geometrien, Raumhöhen, Fenstergrößen und Glasqualitäten niederschlugen. Das ist ein dringend notwendiger Ansatz. Gleichwohl sind Naglers drei Wohnhäuser äußerst ansehnlich, man könnte sagen minimalistisch präzise geraten.

Das beweist, dass es im Jahr 2022 weder autoritär auftretende Architekten noch Privatkonzerne braucht, die mit dem öffentlichen Raum leichtfertig umgehen, um gute Gebäude zu schaffen. Es stimmt, die Architektur muss heute sehr viel mehr Fragen beantworten. Einem Le Corbusier hat man die Klimabilanz seiner Beton-Meisterwerke noch nicht um die Ohren gehauen. Auch ein Philip Johnson musste sich weder für seine diktatorische Haltung in der Architektur, noch für seine Aussage rechtfertigen, er würde auch für den Teufel planen, wenn der ihn beauftragen würde. Die Gegenwart ist komplex. Es ist an der Zeit, die Forderung an gute Architektur daran anzupassen. Zumindest zwei der DAM-Finalisten zeigen, dass trotzdem großartige Bauten dabei herauskommen können.

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