Architektur:Ein architektonisch und akustisch begeisternder Konzertsaal

Architektur: Auch innen hat der Dresdner Kulturpalast einiges zu bieten.

Auch innen hat der Dresdner Kulturpalast einiges zu bieten.

(Foto: Dresden Kulturpalast Konzertsaal / Jörg Simanowski)

In Dresden ist der alte Kulturpalast glanzvoll umgebaut worden. Er zeigt, welche Bedeutung ein Saal für eine Musikstadt haben kann - und was München nie bekommen wird.

Von Gottfried Knapp

Zu den vielen Kulturstätten ersten Ranges, deretwegen eine Reise nach Dresden dringend anzuraten ist, hat sich am vergangenen Wochenende eine weitere gesellt: der neue Konzertsaal im alten Kulturpalast, ein architektonisch wie akustisch begeisternder Kultraum für klassische Musik mitten im Herzen der Stadt, wie ihn sich viele Orte auf der Welt ersehnen und wie ihn München nie bekommen wird. Zu feiern ist das Kulturzentrum aus DDR-Tagen aber auch wegen seiner glücklichen Entwicklungsgeschichte; sie könnte zum Vorbild werden für vergleichbare Objekte in den neuen Bundesländern.

Als man in Dresden in den Sechzigern überlegte, was für ein Gebäude an der quer durch die Altstadt geschlagenen Aufmarschstraße, der heutigen Wilsdruffer Straße, und am baulich neu gefassten Altmarkt als städtebauliches Gelenk zwischen den beiden Teilen der zerschnittenen Stadt errichtet werden könnte, glaubte man sich zunächst an den Bauten der Sowjetunion orientieren zu müssen. Man ließ bombastische Türme im sozialistischen Einheitsprunk für eine SED-Zentrale entwerfen. Doch bald schon konnte man sich darauf einigen, den Ort für Kultur zu reservieren. Der erste Entwurf sah zwar noch einmal einen ragenden Mittelturm mit vier unten angeklebten, ziemlich lächerlich wirkenden pagodenartigen Ecktürmchen vor. Aber dann entschied man sich für eine konsequent moderne Formensprache und gegen die funktional ganz unsinnige Phallusform.

Für die Dresdner Philharmonie war der alte Saal viel zu groß und akustisch unbefriedigend

Sein endgültiges Aussehen erhielt der Bau aber erst, als Wolfgang Hänsch die Bauleitung übernahm und auf dem rechteckigen Grundstück einen dreigeschossigen Flachbau hochzog, der sich mit seiner 100 Meter breiten stattlichen Front großzügig zum Altmarkt öffnet, auf drei Seiten fast in ganzer Höhe verglast ist und im Erdgeschoss auf beiden Seiten den Fußgängern Kolonnaden anbietet. In diesen lebendig strukturierten Kubus hat Hänsch einen im Grundriss sechseckigen multifunktionalen Saal für 2500 Besucher hineingehängt. Diese Halle besaß eine schier endlos breite Bühne für alle denkbaren Veranstaltungen und einen in U-Form in das Sechseck hineingeschmiegten, leicht ansteigenden riesigen Balkon.

Im Parkett aber ließ sich der Kippboden in ganzer Länge und Breite wechselweise flach legen und schräg stellen. Funktional erfüllte der Saal also die Wünsche der unterschiedlichsten Veranstalter. Doch als Konzerthaus der Dresdner Philharmonie, des zweiten in der Stadt ansässigen klassischen Orchesters mit langer, stolzer Tradition, war die viel zu große, akustisch unbefriedigende Halle immer nur ein Notbehelf gewesen, ein Hindernis auf dem Weg zur internationalen Anerkennung.

Architektur: Es muss nicht immer Neubau sein: Die Außenansicht des Dresdner Kulturpalasts.

Es muss nicht immer Neubau sein: Die Außenansicht des Dresdner Kulturpalasts.

(Foto: Nikolaj Lund)

So entschied sich die Stadt irgendwann dafür, anstelle der ohnehin sanierungsbedürftigen Mehrzweckhalle einen international konkurrenzfähigen neuen Saal für klassische Konzerte zu errichten. Man wollte also dem städtischen Orchester, das immer schon unter prominenten Dirigenten gearbeitet hat, endlich geeignete Auftritts- und Probemöglichkeiten verschaffen. Und da bei der räumlichen Verkleinerung des Saals und beim Umbau des Hauses enorm viel Raum frei wurde, konnte man im Kulturpalast auch noch andere Kultureinrichtungen unterbringen.

Der schönste Nebeneffekt: Das so zentral gelegene Haus ist nun ganztägig geöffnet

So wurde in den geräumigen Seitentrakten beidseits des Konzertsaals, in denen ehedem Restaurants, Cafés und Versammlungsräume für Privilegierte des DDR-Regimes eingerichtet waren, auf beiden Obergeschossen die neue Zentralbibliothek der Städtischen Bibliotheken höchst luxuriös eingerichtet. Die vier von der Seite gut belichteten langen Saalfluchten, die sich von der Altmarktfront nach hinten erstrecken, sind hinter dem Konzertpodium miteinander und durch Treppen untereinander verbunden. Ein Spaziergang durch alle Abteilungen nimmt also einige Zeit in Anspruch. Beneidenswert groß ist beispielsweise die Musikabteilung. Aber auch für Kinder und Jugendliche und für Leser von Fachliteratur sind die neuen Räume mit ihren vielen gepolsterten Sitz-Inseln und -Nischen, den elektronischen Arbeitstischen und Hörsesseln höchst attraktiv.

Der schönste Nebeneffekt des neu eingezogenen Bildungsinstituts aber ist die Tatsache, dass das so zentral gelegene Haus, das bislang nur abends geöffnet war, nun ganztägig zugänglich ist und zum Besuch einlädt. Die ehedem für den Mehrzwecksaal angelegten großzügigen Foyers, die heute bei klassischen Konzerten viel Raum zum Flanieren anbieten, dienen tagsüber der Stadtbibliothek als Informationszentrum und Leselounge. Die Theken der Ausleihe und der Kasse werden vor den Konzerten geschlossen und an den Rand geschoben.

Beim Anblick des Kulturpalasts kann man am Eröffnungstag durchaus Begeisterung empfinden

Den Wettbewerb für den Umbau des Kulturpalasts hat das Hamburger Büro Gerkan, Marg und Partner (gmp) gewonnen. Dem mit den Detailplanungen betrauten Architekten Stephan Schütz ist es gelungen, einen überzeugenden Kompromiss zwischen den Vorstellungen seines Büros, den Wünschen und Ansprüchen der zu beherbergenden neuen Institutionen und den Forderungen des Denkmalschutzes zu finden. Von außen wirkt der detailgetreu restaurierte Stahl-Glas-Riegel wie ein frisch in die Stadt gesetztes Monument der klassischen Moderne. Und da man jetzt auch die drei Springbrunnen, die bei der Eröffnung des Kulturpalasts 1969 vor die Eingangsfassade gesetzt worden sind und zwischenzeitlich dem rasanten Durchgangsverkehr auf der Wilsdruffer Straße haben weichen müssen, in ihren längsrechteckigen Becken wieder sprudeln lässt, kann man beim Anblick des alten wie neuen Kulturpalasts am Tag der Wiedereröffnung durchaus etwas wie Begeisterung empfinden.

Der Kulturpalast zeigt, was München nie bekommen wird: Klassikgenuss mitten in der Stadt

Ja, wenn man von der wiederaufgebauten Frauenkirche aus zwischen den Neubauten am Neumarkt, die mit ihren pseudobarocken Fassaden wie Kulissen wirken, den kompakten Riegel des Kulturpalasts mit seinen straff horizontalen Formen entdeckt, kommt er einem wie ein bedeutendes architektonisches Relikt aus einer Zeit vor, die es in dieser Konsequenz sonst in Dresden weder vor noch nach der Wende gegeben hat.

Durch fünf mächtige Bronzeportale betreten die Besucher das weite Foyer, an dessen seitlichen Enden die Treppenläufe mit ihren rekonstruierten eleganten Sechzigerjahre-Geländern zu den Veranstaltungsorten führen. Im Untergeschoss, wo früher ein Studiotheater mit 192 Sitzplätzen das obligate Sechseck gefüllt hat, ist nun ein Kabarett-Theater eingerichtet. Es bietet dem Ensemble der legendären "Herkuleskeule" eine neue Heimat. Wann hat es das je gegeben, dass eine Stadt ihren lokalen Satirikern ein Haus zum Arbeiten anbot?

Im neuen Konzertsaal haben gmp das vom Vorgängersaal beschworene RaumSechseck in verkleinerter Form zum Ausgangspunkt für ein differenziertes, mit Musikern und Akustikern genau abgestimmtes Raumgebilde gemacht. Von den drei Zugangsebenen des Kulturpalasts aus und über die sechs bestehenden Treppenhäuser sind sowohl das Parkett als auch die in Weinbergform sich von hinten und von den Seiten hereinschiebenden Ränge verblüffend bequem zu erreichen.

Nahe am Klangideal: einer Kombination von Transparenz und Klangwärme

Der Ersteindruck, den der Raum beim Betreten macht, ist animierend festlich. Den Gestaltern ist in Absprache mit den Benutzern etwas gelungen, was man als die ästhetische Erfüllung des schon so oft variierten Weinberg-Prinzips beschreiben könnte. Die weißen Brüstungen der Ränge strukturieren wie abstrakte grafische Elemente symmetrisch den Raum. Wände und Böden bestehen aus hellem Holz, vor dem sich die roten Polster der Sitze wirkungsvoll abheben. Das Orchester sitzt in einem etwa drei Meter hohen, zum Publikum hin offenen Schacht, in dem sich der Klang nicht wie in der Münchner Philharmonie seitlich verflüchtigen kann. Darüber steigen die Choremporen vor der Rückwand steil in die Höhe. Auch sonst ist vieles nach den Wünschen der Akustiker geformt: Die Wände seitlich vom Podium sind subtil gestuft; die weiße Decke, die sich über dem Zuschauerraum mächtig emporwölbt, ist von der in andern Sälen üblichen Elektronik glücklich befreit.

Wenn man nach dem Eröffnungskonzert und nach den Festreden die Akustik des neuen Saals beurteilen soll, darf man den Dresdner Saal unter den Konzertsaalneuschöpfungen der letzten Jahre wohl auf einen der vordersten Plätze setzen. Die Dresdner Philharmoniker unter ihrem Chefdirigenten Michael Sanderling jedenfalls sind in diesem Festkonzert dem angestrebten Klangideal, einer Kombination von Transparenz und Klangwärme, bewegend nahegekommen.

Welche Bedeutung ein neuer Konzertsaal für eine Musikstadt wie Dresden hat und welche Bedeutung er für eine Musikstadt wie München haben könnte, wird einem bewusst, wenn man im Dresdner Kulturpalast in der Konzertpause vor eine der schier endlosen Glaswände des Foyers tritt und hinausschaut auf das Herz der Stadt, auf die Kreuzkirche, die Wirkungsstätte eines weltberühmten Knabenchors, und auf das Rechteck des Altmarkts, dessen Nachkriegsfassaden in ihrer gebremsten Formenfreudigkeit heute fast nostalgisch schön wirken. Da begreift man: Die klassische Musik, die im alten Palast zwar auch schon zu Gast war, ist nun wirklich Herr im Hause geworden, sie ist mitten in der Stadt angekommen. In München wird es aber irgendwann genau umgekehrt sein: Wenn der Konzertsaal-Knödel auf dem Pfanni-Gelände hinter dem Ostbahnhof endlich geknetet und gesotten ist, und die Konzertbesucher in der Pause auf die Lagerhallen des benachbarten Großhändlers und die Abstellgleise der Bahn hinausblicken, werden sie sich vorkommen, als seien sie aus der Stadt in die Wüste verbannt.

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