Süddeutsche Zeitung

Architektur:Der Menschenfreund

Eine Ausstellung in der Pinakothek der Moderne lässt das Werk des 92 Jahre alten Inders Balkrishna Doshi lebendig werden

Von Evelyn Vogel

Dass der indische Architekt Balkrishna Doshi nicht in einem Elfenbeinturm lebt, sondern von prallem Leben umgeben ist, wird sofort deutlich, wenn man die Ausstellung betritt, die das Architekturmuseum zu Ehren des mittlerweile 92-Jährigen in der Pinakothek der Moderne ausgerichtet hat. Am Zugang zu den Ausstellungsräumen taucht man ein in den Trubel auf Indiens Straßen - wenngleich auch nur mit Hilfe einiger Filmszenen, die vor Doshis Büro in Ahmedabad aufgenommen wurden. Häuser, Straßen, Tempel, Kühe und vor allem Menschen, die sich ihren Weg zwischen all dem hindurch bahnen.

Biegt man selbst ums Eck, steht man sogleich in einem Doshis Wohnhaus "Kamala" nachempfundenen Einbau. Rote und gelbe Wände rufen die Farbenpracht des indischen Subkontinents in Erinnerung. Eine verhältnismäßig niedrige Decke, versetzte Wände und Durchsichten lassen einen seine Architektur geradezu physisch spüren - über all die gängigen visuellen Eindrücke und Informationen an Hand von Fotos und Filmen, Skizzen, Plänen, Malereien und Modellen hinaus.

Als Balkrishna Doshi im vergangenen Jahr den renommierten Pritzker-Preis erhielt, galt er vielen im Westen als Unbekannter. Ein Architekt, der als Schüler von Le Corbusier begann, Mitarbeiter von Louis Kahn war und mittlerweile auf ein sechs Jahrzehnte währendes, überaus produktives Schaffen vor allem in seiner Heimat zurückblickt. Einen Überblick über dieses Schaffen gibt nun die Ausstellung, die - als Projekt des Vitra Design Museums und der Wüstenrot Stiftung in Kooperation mit der Vastushilpa Foundation Doshis realisiert - bereits im Frühjahr im Vitra Museum in Weil am Rhein zu sehen war.

Doch auch wer die Ausstellung dort schon gesehen hat, wird in München seine Freude daran haben. Für alle anderen dürfte sie sowieso eine bemerkenswerte Entdeckung sein. Doshis konzeptueller Ansatz ist immer ein partizipativer - lange bevor der Begriff Mode wurde - und an den Bewohnern ausgerichtet. Er plant keine gerasterte Stadt am Reißbrett mit zentralistischer Perspektive, sondern arbeitet bis ins Detail immer mit Durch- und Einsichten. Das spiegelt auch die Ausstellung wider. Während sie im Vitra in Räumen und auf zwei Stockwerke verteilt war, was die Kapitel eher singulär erscheinen ließ, ist sie in der Pinakothek auf einer Ebene linear aufgereiht. Im Wechsel zwischen Wandhängung und Raumeinbauten werden Doshis Planungsprinzipien und gedachte Sichtachsen deutlich.

Geprägt von Le Corbusiers Architekturauffassung, in dessen Büro in Paris er in den Fünfzigerjahren gearbeitet hatte, entwickelte Balkrishna Doshi alsbald seine eigene Formensprache, die sich daran orientierte, wo er baute und für wen er baute. Deshalb bezieht er gesellschaftliche und religiöse Gegebenheiten in seine Planungen mit ein, arbeitet mit den klimatischen Besonderheiten, nutzt lokale Baumaterialien und traditionelle Techniken. Tonnengewölbe gehören ebenso dazu wie Bauweisen in die Erde hinein, um die natürliche Erdkühlung auszunutzen. Bepflanzte Innenhöfe bringen Licht und Luft in die Gebäude, Wasserbecken sorgen für Kühlung, doppelte Wände wirken sich nicht nur klimatisch günstig aus, in ihren Hohlräumen entstehen auch Staumöglichkeiten. Die ausgewählten Bau- und Dämmmaterialien wirken wärme- und feuchtigkeitsregulierend, und natürlich sorgt eine sinnvolle Nord-Süd-Ausrichtung der Gebäude insgesamt dafür, dass möglichst wenig künstlich erzeugte Energie benötigt wird, um Klima- und Lichtverhältnisse menschenfreundlich zu gestalten.

Doshi arbeitet also mit der Gesellschaft, in der er lebt, und nicht gegen sie. Dennoch hat er seine eigene Vorstellung davon, wie diese Gesellschaft sich weiterentwickelt. Das hat in einem System, das auf dem Kastenwesen aufgebaut ist, eine besondere Relevanz. So hat er 1973 für die Life Insurance Corporation (LIC) in Ahmedabad eine Sozialsiedlung gebaut, bei der er nicht den solventesten Mietern die oberen Stockwerke vorbehielt, sondern den weniger gut betuchten. Die Treppe ist der Ort, wo sich alle begegnen. Und als er 1989 inmitten eines Slums die Wohnsiedlung "Aranya" plante, legte er auf den 30 Quadratmeter großen Parzellen nur den Sanitärblock fest, alles andere konnten die Bewohner in Modulbauweise selbst gestalten. Wuchs die Familie und stieg das Einkommen, konnten sie an- und ausbauen. Von diesem Prinzip profitierten die Bewohner der einstigen Slum-Siedlung so sehr, dass sie mittlerweile zur Mittelschicht zählen. Die Ausstellung fängt das sehr schön auf, indem sie die Entwicklung dokumentarisch in Fotosequenzen vorbeiziehen lässt und in einem großen Modell die modulare Bauweise zum Anfassen präsentiert. Neben dem Wohnungsbau werden in der Werkschau auch Balkrishna Doshis Gebäude vorgestellt, die Verwaltung, Religion und vielfach der Bildung dienen. Den Campus des "Centre for Environmental Planning and Technology" (CEPT) in Ahmedabad sollte man sich als Beispiel für Doshis Denkweise unbedingt genauer ansehen.

Am Ende der Ausstellung taucht man ein in sein Studio in Ahmedabad, das sich in einem riesigen Raum mit Tonnengewölbe befindet und das die Kuratorinnen Khushnu Panthaki Hoof und Jolanthe Kugler in Bildern Zeichnungen, Plänen, Fotos und einem Film präsentieren sowie als begehbare Rauminstallation in der Ausstellung erlebbar machen. Der besondere Clou: Diese Rauminstallation verjüngt sich nach hinten, der Betrachter fühlt, wie die Architektur von Balkrishna Doshi ihm auf die Pelle rückt. Auf eine angenehme Weise kommt seine Architektur dem Menschen auch hier sehr nah.

Balkrishna Doshi. Architektur für den Menschen, Pinakothek der Moderne, Barer Str. 40, Di-So 10-18 Uhr, Do 10-20 Uhr, bis 19. Januar

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Quelle:
SZ vom 18.10.2019
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