Architektur:Der Geist von Paris

Die Stadtverwaltung will die legendären Pariser Kuppelkioske durch Neubauten ersetzen, viele Bewohner protestieren lautstark gegen den Beschluss. Der neue Entwurf sehe aus wie eine "große Mülltonne".

Von Gerhard Matzig

Der berühmte Kuppel-Kiosk ist für Paris das, was die Fachwerk-Gastwirtschaft "zur Post" für, keine Ahnung, ein niedliches Kaff zwischen Pappenheim und Gunzenhausen ist: der Ort, an dem der Spaß aufhört. Also ein Ort der Selbstvergewisserung und gemeinschaftlichen Identität. Ein Ort auch touristischen Interesses. Ein Ort, wo man sich vor den Fliehkräften von Moderne und Globalismus in Sicherheit bringen kann. Scheinbar. Und deshalb ist jetzt Revolte angesagt: Bislang fordern schon mehr als 40 000 Menschen in einer Internetpetition: "Nein zu den neuen Pariser Zeitungskiosken - lasst uns den nostalgischen Geist von Paris bewahren."

Newsstand, boulevard Bonne-Nouvelle. Paris (IInd

Der klassische Kiosk, wie er 1857 entworfen wurde.

(Foto: ullstein bild)

Die Pariser Stadtverwaltung will demnächst "in einem ersten Schritt" etwa 360 von den aus dem 19. Jahrhundert stammenden, charaktervollen, aber leider auch dringend sanierungsbedürftigen Kiosken durch Neubauten ersetzen. Das Vorhaben entsetzt viele Menschen. Denn die meist dunkelgrün gefärbten, von einer Kuppel bekrönten, von einer Markise beschirmten und mit Ornamentleisten versehenen Pavillons gehören zum Pariser Stadtbild wie der Eiffelturm, die Liebenden vom Pont-Neuf und die Jugendstil-Zugänge der Métro. Entworfen hat sie der Architekt Gabriel Davioud 1857. Auch er wäre kaum begeistert von der Idee zeitgenössischer Kiosk-Varianten. Noch dazu, wenn die Ersatzbuden, wie Le Parisien meint, an "Tupperware", "Fotokopierer" oder "große Mülltonnen" erinnern.

Architektur: Der neue Entwurf, der laut Le Parisien "wie eine große Mülltonne aussieht".

Der neue Entwurf, der laut Le Parisien "wie eine große Mülltonne aussieht".

Derartige Beschimpfungen wiederum können der Pariser Designerin Matali Crasset nicht gefallen. Von ihr stammt der in einem leuchtenden Hellgrün gehaltene Entwurf für die neue Pariser Tupperware. Die vielfach ausgezeichnete und namhafte Gestalterin hat sich als typologischen Verkaufsort für Zeitungen, Magazine oder auch Postkarten eine funktionale Kiosk-Architektur ausgedacht, die mit geräumigeren Grundrissen, besseren sanitären Verhältnissen (Heizung, Dämmung) und interaktiven Bildschirmen an den Außenwänden aufwartet. Obendrein soll eine grün-rote Beleuchtung schon von Weitem anzeigen, ob der Kiosk offen oder geschlossen ist. Umsonst. Der Nachrichtenagentur AFP zufolge kommt der Entwurf auch bei Kioskbetreibern nicht gut an. Er sei "hässlich".

Nein, es ist herrlich - dass nämlich, zum einen, wieder einmal mit Lust über die Zukunft gestritten wird. Zur Erinnerung: Als bis 1889 - und somit nur wenige Jahrzehnte nach der Kiosk-Schöpfung - der Eiffelturm in Paris erbaut wurde, protestierten "leidenschaftliche Liebhaber der bisher unangetasteten Schönheit von Paris im Namen des verkannten französischen Geschmacks mit aller Kraft gegen die Errichtung des unnötigen und ungeheuerlichen Eiffelturms . . ." Man wollte nämlich den Geist von Paris bewahren - wie jetzt erneut. Zum anderen ist aber auch schön, dass das bauliche Drumherum analoger Printprodukte noch so hitzig umkämpft ist - zumal in der digitalen Ära der kioskfreien Smartphonezeitung. Das liegt vielleicht daran, dass auch Städte ziemlich analog sind. Wesen, die man anfassen und bewahren kann, liebt und verteidigt man womöglich etwas mehr als Dinge, die sich eh dauernd ändern.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: