Süddeutsche Zeitung

Streit um Fußgängertunnel:Der Actiontunnel darf nicht sterben!

Lesezeit: 3 min

Hollywood liebt die knallorangefarbene Fußgängerunterführung zwischen Internationalem Congress Centrum und Busbahnhof, doch die Stadt Berlin sieht in ihr einen "Schandfleck".

Von Peter Richter

Eine der beliebtesten Sehenswürdigkeiten von Berlin trägt weder die Worte Brandenburg noch Tor im Namen, nicht Fernsehen und nicht Turm, und Potsdam oder Platz schon gar nicht. Dafür riecht sie stellenweise recht streng nach Urin, und manche Leute trauen sich auch gar nicht erst hin. Die Bezirkspolitiker sprechen von einem "Schandfleck" und einem "Angstraum", und jetzt hat die Senatsverwaltung für Verkehr beschlossen, dass das Ding geschlossen wird, zumal es pro Jahr rund 300 000 Euro Unterhaltskosten verursacht.

Das Ding: ein Fußgängertunnel zwischen Internationalem Congress Centrum (ICC), Busbahnhof und der nächsten S-Bahn-Station. Fußgänger wollen nicht mit ihren Rollkoffern eine kaputte Rolltreppe runter, durch einen Neonlicht-Hades und auf der anderen Seite eine kaputte Rolltreppe wieder hoch. Fußgänger sind im Allgemeinen störrischere Verkehrsteilnehmer als Esel und ziehen stattdessen ihre Koffer lieber quer über den autobahnartigen Messedamm. Dafür verdienen sie nicht nur Nachsicht, sondern vielleicht sogar Lob, denn todesverachtende Renitenz ist die einzige Waffe, die wir haben gegen dirigistische Planerfantasien, Gängelei und Nudging.

Die Unterführung wollte kein Angstraum sein, sondern modern, geradezu poppig

Aber es geht hier eben nicht nur um ein nicht so richtig gut funktionierendes Relikt aus der Ära der "autogerechten Stadt". Es geht nun einmal auch um einen Ort, der von Filmteams aus Amerika so gern für Dreharbeiten gebucht wird wie kaum ein anderer in der Stadt, wenn es um Action geht. Von Matt Damon in "Bourne Supremacy" über Saoirse Ronan in "Hannah" bis zu Jennifer Lawrence in "Hunger Games" dürfte dieser Tunnel in den letzten Jahren mehr Hollywoodstars gesehen haben als Berliner auf dem Weg zum Bus. Und wenn die Fußgänger lieber die Straße oben nehmen, ist es fast schon konsequent, dass Charlize Theron in "Atomic Blonde" hier unten mit dem Auto herumjagte, mit Ballerei und allem.

Warum ausgerechnet diese Unterführung? Vielleicht weil man ihr so ansieht, dass sie mit allen Mitteln das Gegenteil eines Angstraums sein wollte, sondern modern, optimistisch und geradezu poppig. Erstens ist es der größte Säulenwald zwischen der Mezquita von Córdoba und dem Krematorium Baumschulenweg (das seinerseits allerdings wiederum die Mezquita von Córdoba zum Vorbild hat). Durch die niedrige Höhe der Decke kommt man sich nur weniger vor wie in einem Wald, sondern eher wie zwischen den Wurzeln.

Zweitens sind Wände und Säulen sehr, sehr orange. Sie sind: knallorange, Mittsiebzigerorange, so orange wie eine Packung "Nimm 2", das Nationaltrikot von Johan Cruyff oder die Spiegel-Kantine von Verner Panton. Es ist mit Sicherheit nicht zuletzt die exzessive Freundlichkeit dieser Farbe, die der Unterführung am Messedamm das Dystopische und Psychotische gibt, das sich dann in Filmen so gut macht. Der Raum sieht zunächst einmal einfach sehr distinkt aus und erzählt insofern von zuversichtlicheren Zeiten als das Pfeifen im Keller hier gewissermaßen durch den Keller selber erledigt wird.

Es ist deswegen vielleicht generell einmal an der Zeit, an das Wirken des Architekten und Baubeamten Rainer Gerhard Rümmler zu erinnern, dem Berlin nicht nur diese Unterführung aus dem Jahr 1975 verdankte, sondern auch eine ganze Reihe von U-Bahnhöfen in ähnlich selbstbewusster Farbigkeit. Rümmler, 1929 bei Leipzig geboren, hatte unter anderem bei Hans Scharoun an der TU Berlin studiert und eine Karriere in der Senatsbauverwaltung gemacht. Er war der Mann, der dafür gesorgt hat, dass U-Bahnfahren unter weiten Teilen Westberlins immer ein bisschen an das Yellow Submarine der Beatles erinnert. Außer es erinnert sogar ganz gewaltig an ein rotes Unterseeboot, das mitten in feindlichen Gewässern aufgetaucht ist und die Verhältnisse klärt. Nicht anders als exakt so muss man sich ja die exaltierte Überbauung des U-Bahnhofs Fehrbelliner Platz vor dem Hintergrund der grimmigen Nazi-Bauten dort erklären.

Das Klischee, dass Berlin oft ein wenig grau wirke, kann man Rümmler jedenfalls am wenigsten anlasten. Und oft genug scheint es, als habe er gerade dem geschichtlichen und politischen Dunkelgrau in Berlin etwas entgegensetzen wollen. Die schreiend roten Tankstellen und das Restaurant an der ehemaligen Grenzstation Dreilinden waren so gesehen auch immer ein letztes aufmunterndes "Wird schon", bevor es durch die Schikanen der deutschen Teilung auf die Transitautobahn ging, oder eben der fröhliche Gruß bei der Rückkehr. Dass Rümmlers Bauten heute in Nachschlagewerken gelegentlich als "seltene Beispiele von Pop-Architektur" geführt werden, hat ihnen noch nicht so richtig viel genutzt. Dreilinden steht zwar unter Denkmalschutz, verfällt aber ungenutzt.

Und jetzt wollen sie also in Charlottenburg den orangefarbensten Actiontunnel Hollywoods dicht machen. Es wäre aber ein Jammer, wenn er komplett verschwinden müsste. Man kann den Fußgängern ja auf der Straße einen Überweg schaffen; die Fußgänger haben hier unten, wenn man die Skater fragt, ohnehin eher gestört. Man könnte den Ort, wenn man ihn schon schließen will, vielleicht mit Türen versehen, damit es nicht mehr so zugig ist. Man könnte einen Club einziehen lassen. Suchen Clubs nicht dauernd solche Orte? Oder eine Ausstellung über Rainer Rümmler an die Wände hängen, bevor er völlig in Vergessenheit gerät. Oder generell mal eine über Westberlin, das ja offensichtlich nicht nur eine selbständige politische Einheit war, wie man in der DDR dazu sagte, sondern auch eine ästhetische: Einen exotischeren Ort wird dieses Land nie wieder haben.

Die Kosten dafür sollten durch gelegentliche Vermietung an Filmteams aus Hollywood eigentlich reinzukriegen sein.

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Quelle:
SZ vom 29.03.2018
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