Von 1,1 auf 1,6 Sekunden. Und 400 Millionen Euro. Das sind die technischen Kennzahlen dieses Umbaus der Staatsoper in Berlin, der im Jahr 2010 begonnen hatte. Für eine Verlängerung des Nachhalls, der die Akustiker und die Intendanz und nicht zuletzt den Generalmusikdirektor Daniel Barenboim glücklich macht, ist das natürlich eine ganze Menge Geld, wie jetzt zur Voreröffnung immer wieder mal zu lesen war. In der Tat wird die Oper in ein paar Tagen schon wieder geschlossen, um bis zur endgültigen Eröffnung im Dezember erst einmal richtig fertig gebaut zu werden.
Worüber wird sonst noch gemurrt in der Stadt? Genau: Kostenverdopplung, Bauzeitverlängerung - und dass die Lindenoper am Ende trotzdem nicht aussieht wie die Elbphilharmonie in Hamburg, sondern weitgehend immer noch wie die Lindenoper von vor dem Umbau.
Der Architekt des Umbaus hat die Blümchenkaffee-Opulenz der Fünfziger ernst genommen
Das war aber auch die Aufgabe, nachdem schon vor Jahren der Plan, einen gänzlich modernen Saal hier einzubauen, wieder einkassiert und ein rekonstruierender Umbau beschlossen wurde, der die Bedürfnisse der Musiker möglichst mit denen der Denkmalpflege versöhnt. In der Architektur und der Geschichte des Hauses sind die Nachhallzeiten aber nun noch einmal deutlich länger: Das Rokoko schwingt bis in die Fünfzigerjahre nach, und die sind hier bis heute noch nicht zu Ende. Das Architekturbüro HG Merz hat in Berlin spätestens seit der Alten Nationalgalerie den Ruf, historische Bauten sehr stilsicher ertüchtigen zu können. Nur um welche historische Schicht der Staatsoper ging es hier?
Vom Original, das Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff unter Friedrich dem Großen errichtete, war schon lange vor dem Zweiten Weltkrieg durch Umbau und Zerstörung wenig übrig, Pläne waren nicht erhalten, und am Ende hat man es hier eher mit der Rekonstruktion eines Baus von Richard Paulick zu tun, der in den Wiederaufbaujahren der DDR so tat, als hätte Knobelsdorff damals, in den 1740ern, schon mehr oder weniger so bauen wollen wie später der Stalinallee-Baumeister Paulick.
Außen wurde dem Bau wieder das mattleuchtende Rosa verpasst, das, verblasster natürlich, auch Schinkels Zeughaus zeigt und mit dem der Preußenkönig die staatlichen Bauten Unter den Linden wohl generell sehen wollte. Innen hat Merz sich dafür ganz an die Ornamente von Paulick gehalten, mit denen sich ausgerechnet dieser ehemalige Bauhäusler und Gropius-Assistent hier eine Arbeiter- und Bauernvariante des feudalsten aller Baustile zusammengegipst hatte. Und man hat beim Blick an die Decken immer den Eindruck, als hätte er sich für diesen Job geradezu eine gewisse Albernheit verordnet. Diese vergoldeten Spinnweben an den Decken des Kellerrestaurants, diese Pflanzenranken im Apollo-Saal ... Merz erzählt, dass die einfach aus vergoldeten Elektrokabeln geformt waren. Der Architekt der Generalsanierung hat diese rührende Blümchenkaffee-Opulenz trotzdem ernst genommen und aus dem überall sichtbaren Motiv des Rankgitters, mit dem Paulick wohl einen Hauch von Sanssouci erzeugen wollte, das Gitterwerk entwickelt, mit dem die Decke im Saal um fünf Meter angehoben wurde, was den längeren Nachhall des Klangs ermöglicht. Diese Hightech-Keramik-Struktur ist ein moderat futuristischer Zusatz, der immerhin auf der DNA des Rests aufbaut. So versöhnt man auch den Denkmalschutz.
Die Pilaster links und rechts der Bühne wurden wie mit einem Fahrstuhl entsprechend mit nach oben gefahren und haben nun einen fünf Meter hohen Sockel. Auf der Suche nach den 400 verbauten Millionen landet man aber schnell in der Tiefe: Das ganze Haus ist jetzt mit Stahlwanne gegen das gestiegene Grundwasser geschützt, es gibt einen gewaltigen unterirdischen Magazinbau, der die Oper mit der Intendanz verbindet, die außen ebenfalls ganz Paulick ist und innen jetzt ganz HG Merz. Und angesichts dessen, was in einer Oper nun mal aufgeführt wird, ist dieses bauhistorische Kostümfest am Ende vielleicht das Beste, was man für das Geld bekommen konnte.