Architektur auf dem Land:Wie das Dorf hip wird

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In dem 1000-Einwohner-Dorf Krumbach macht schon die Bushaltestelle der Architekten Hermann Kaufmann, Bernardo Bader und Bechter Zaffignani klar, wo man ist: im architektonischen Traumland. (Foto: Adolf Bereuter)

Adieu, Stadt: Heute widmen sich Star-Architekten wie Rem Koolhaas der Provinz. Die Ausstellung des Deutschen Architekturmuseums DAM zeigt, wie's geht.

Von Laura Weißmüller

Bushaltestellen auf dem Land haben etwas Trauriges. Gerne windschief, oft verlassen und der Abfahrtsplan meist so vom Wetter bearbeitet, dass er sich kaum entziffern lässt. Diese hier nicht. Ihr Flachdach kragt derart mondän weit aus, dass es nicht nur Schutz vor Sonne und Regen bietet, sondern aus dem Gebäude eine Skulptur macht. Die breiten Sitzbänke sind so positioniert, dass, wer hier wartet, auch den Blick in die unverschämt schöne Hügellandschaft ringsum hat. Und verloren fühlt sich hier auch keiner, denn die Bushaltestelle aus hellem Holz steht mitten in Krumbach. Das Dorf im Bregenzerwald hat gerade mal 1000 Einwohner, und eine derart großartige zeitgenössische Architektur, dass man da hin muss.

Eine kompakte Wohnanlage aus Holz steht gleich hinter der Bushaltestelle, ein liebevoll saniertes und klug weitergebautes ehemaliges Bauernhaus weiter links, ein Generationenhaus mit öffentlichen Nutzungen im Erdgeschoss und Wohnungen darüber weiter rechts. Das Gewerbegebiet am Dorfrand ist mit seinen Holzgebäuden in schlanker Kubatur zum Niederknien schön, und welches Gewerbegebiet kann das schon von sich behaupten? Sieben Bushäuschen hier stammen von international renommierten Architekten, einer sogar mit dem Pritzker-Preis gekrönt. Wir befinden uns im ästhetischen Traumland.

Lange galt: Wer sich für Architektur interessiert, muss in die Stadt. Dort bauen die Stars der Szene, dort werden die Debatten geführt, dort führt der schnelle Pulsschlag der Metropolen zu den neuesten Trends. Doch vielleicht ändert sich das gerade. Die Pandemie hat Arbeitsmodelle möglich werden lassen, die sich noch vor drei Jahren kaum jemand vorstellen konnte. Nicht im Land der Pendlerpauschale und Präsenzpflicht und antiseptischen Bürokisten. Und selbst in kleinen Ortschaften eröffnen Co-Working-Spaces.

Die Pandemie war der Beschleuniger für eine schon existierende Entwicklung. Orte wie Krumbach im Bregenzerwald haben schon Jahre vorher gezeigt, wie zeitgenössische Architektur in ländlichen Regionen funktionieren und die Orte beleben kann. Rem Koolhaas machte mit seiner Recherche-Ausstellung " Countryside" im New Yorker Guggenheim-Museum Anfang 2020 klar, was alles in der Provinz steckt, bevor Covid die Stadt lahmlegte. Und die vorbildlichen Bauten, die das Deutsche Architekturmuseum ( DAM) in seiner aktuellen Ausstellung "Schön hier. Architektur auf dem Land" zeigt, sind so gut wie alle vor der Pandemie entstanden.

Sind Pop-up-Biergärten und Sitzungssäle, die sich komplett öffnen lassen, die Zukunft?

Die Fixierung der Architekturszene auf die Städte war damit schon immer mindestens seltsam, wenn nicht auch etwas beschränkt. Denn 90 Prozent der Fläche in Deutschland sind ländlich, mit Kleinstädten von maximal 20 000 Einwohnern. 47 Millionen Menschen, mehr als die Hälfte, leben gar nicht in Städten. Jetzt also kann man sich zum Beispiel feste Schuhe anziehen und eine Extrajacke, die aktuelle DAM-Ausstellung lädt zur einer Landpartie ein. 70 ausgewählte Projekte sind nicht in Frankfurt zu sehen, sondern in einer Scheune aus dem 19. Jahrhundert im Hessenpark. Ein Freilichtmuseum mitten im Taunus mit etwa 100 historischen Fachwerkhäusern und einem ländlichem Flair. Die Schau ist die erste, die die alte zugige Scheune als Ausstellungsfläche nutzt und zeigt, was auf dem Land zu holen ist.

Beim Rathaus in Maitenbeth von Meck Architekten lässt sich der Sitzungssaal der Gemeinde komplett zum neu geschaffenen Dorfplatz hin öffnen. (Foto: Michael Heinrich)

Zum Beispiel durch neu gestaltete Dorfzentren, die der Vereinsamung und dem Bevölkerungsrückgang etwas entgegensetzen. Das Rathaus von Meck Architekten in Maitenbeth schafft das mit seinem Sitzungssaal, der sich zum Dorfplatz hin komplett öffnen lässt. In der Schweiz hat das Büro LVPH Architectes dagegen ehemals leer stehende Häuser in der Mitte der Ortschaft Cressier so umgebaut, dass sie im Erdgeschoss nun Gemeinschaftsräume bieten und darüber unterschiedlich große Wohnungen. Und in Dänemark schuf das Büro Adept mit großzügigen Geste eine ringförmige Sitzskulptur, die zum Treffpunkt der Bewohner von Aabenraa avancierte. Krapfen statt Donut ist die Devise, wenn es gilt, dem Flächenfraß am Dorfrand Einhalt zu gebieten und die dümpelnden Dorfkerne zu reaktivieren.

Die Kegelbahn von KO/OK Architektur war in gewisser Weise ein Beifang, sie entstand, als ein neues Sportgebäude für den Fußballverein gebaut wurde. (Foto: Simon Menges)

In Wülknitz, einem kleinen Ort in Sachsen, gibt es eine Kegelbahn, die das junge Leipziger Büro KO/OK Architektur mitentwarf, als es galt, ein neues Gebäude für den Fußballverein zu gestalten. Die neue Gemeindebücherei in Gundelsheim, die ein altes Haus einfach weiterbaut, hat auch sonntags offen, und der Biergarten in Erbach zeigt, dass auch Hessen verstanden hat, wie Pop-up-Architektur funktionieren kann.

Für junge Büros bietet das Land oft mehr Möglichkeiten als die Stadt

Der Entwurf von Liquid Architekten ist jedoch der einzige aus Hessen, während 50 Prozent der deutschen Projekte aus Bayern kommen und kein einziges aus der Pfalz. Warum? "Es ist nicht allein das Geld, es muss auch eine Haltung dahinterstecken", sagt Peter Cachola Schmal, Direktor des DAM.

In der Ortschaft Valendas engagierte sich eine Initiative gegen die Verarmung des dörflichen Lebens. Der Schweizer Architekt Gion A. Caminada half ihnen dabei und erweckte den Dorfplatz zum Leben, indem er ein Gasthaus revitalisierte und einen neuen Gemeindesaal schuf. (Foto: Ralph Feiner)

In Krumbach war das der ehemalige Bürgermeister Arnold Hirschbühl, der nicht nur ein Flächenentwicklungsverbot außerhalb des Dorfes ausgesprochen hat, sondern gleich selber in ein Mehrfamilienhaus gezogen ist, um klarzumachen, dass es auch auf dem Land etwas anderes gibt als ein Einfamilienhaus. Eine Alternative dazu zeigt auch die kompakte Wohnsiedlung aus Holz in Bludenz, die für eine Genossenschaft entstand. Oder die Münchner Genossenschaft Wogeno, die in Wörthsee ein "urbanes Dorf" baut. Gut möglich, dass darin die Zukunft liegt.

Oft sind es die Architekten selbst, die aus der Gegend kommen und sich für ihre Heimat einsetzen. Wie Hermann Kaufmann und Bernardo Bader aus dem Bregenzerwald oder der Schweizer Gion A. Caminada, der erst seinen Geburtsort Vrin behutsam sanierte und dann das Gleiche mit der nahe liegenden Ortschaft Valendas machte.

"Praktische Denkmalpflege, zeitgenössische Architektur und gebaute Kunst", so beschreibt das Thüringer Studio Gründer Kirfel seine Arbeit als Architekten. (Foto: Tomasz Lewandowski)

Für junge Büros bietet das Land dabei oft deutlich mehr Möglichkeiten, etwas auszuprobieren, als die durchreglemtentierte und vor allem durchkommerzialisierte Stadt. Das zeigt das "Studio Gründer Kirfel", die in Thüringen einen alten Gutshof wiederbelebten, mit Wohnungen, Kulturangeboten und einem Gartencafé. "Praktische Denkmalpflege, zeitgenössische Architektur und gebaute Kunst" nennen sie das, was die zwölf Architektinnen und Architekten mittlerweile in ganz Deutschland machen.

So unterschiedlich die Entwürfe sind, eint sie eine Haltung. Die Architekten haben berücksichtigt, was die kleinen Ortschaften bisher ausgezeichnet hat, und knüpfen daran an. Viele der gezeigten Projekte sind Umnutzungen, Umbauten und Erweiterungen. Was ökologisch wichtig ist, ergibt auch architekturästhetisch Sinn, schließlich nehmen die Architekten damit den Faden der Vergangenheit auf, zeigen aber auch, dass auch auf dem Land die Zukunft beginnt.

Schön hier. Architektur auf dem Land , eine Ausstellung des Deutschen Architekturmuseums ( DAM ) zu Gast im Freilichtmuseum Hessenpark, Neu-Anspach. Bis 27. November 2022.

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