Man muss schon genau hinsehen, denn mit dem ersten Blick ist man sofort in Italien, irgendwo südlich von Rom: die Halle mit den Marmorsäulen und dem großen Oberlicht, die einzelnen Schalter und natürlich das lange Stehpult, um komplizierte Formulare auszufüllen - mehr Italianità geht eigentlich nicht. Doch die Postfiliale aus dem Jahr 1916 steht in Asmara, der Hauptstadt Eritreas, und beim zweiten Blick fallen denn auch die Menschen auf der Fotografie auf, wie sie das Gebäude benutzen, es zu ihrem Alltag gehört.
Genau um diesen zweiten Blick geht es in der Ausstellung "The Sleeping Beauty" im Tiroler Architekturzentrum in Innsbruck. Die Kuratoren Peter Volgger und Stefan Graf wollen das nostalgische Bild von "Bella Asmara" dekonstruieren. "Lange erzählte man nur einen Teil der Geschichte", so Volgger - und behielt dabei die koloniale Perspektive bei: Galt die Hauptstadt der ehemaligen italienischen Kolonie nach ihrer "Wiederentdeckung" in den Neunzigern doch vor allem als grandiose Zeitkapsel, in der sich eine von Italienern gebaute Stadtutopie aus den Dreißigern erleben lässt. Erneut blendete man die aus, die die Gebäude, die futuristisch gekurvten Tankstellen und Fabriken, die mondänen Bars und Kinos bis heute benutzen.
Anders die Ausstellung. Anhand von Fotografien, Plänen, aber auch Filmen zeigt sie, wie sich die Menschen von Asmara ihre Stadt angeeignet haben, nachdem die Italiener verjagt wurden. Tatsächlich ist der postkoloniale Blick sehr viel spannender als jede Nostalgie. Denn durch den Krieg mit Äthiopien haben die Eritreer ihr koloniales Erbe für sich umgedeutet und zur eigenen Identitätsbildung genutzt, die Stadt wurde zum nationalen Symbol hochstilisiert.
Diese starke Aneignung war auch der Grund, warum sich die Unesco im vergangenen Jahr dazu entschied, Asmara zum Weltkulturerbe zu erklären - obwohl eines der größten Architekturensembles der Moderne eben von Kolonialherren stammt. Wenn sich jetzt Eritrea durch den Friedensvertrag mit Äthiopien, den beide Länder diesen Sommer schlossen, wirklich öffnet, wird der Tourismus nicht lange auf sich warten lassen. Umso wichtiger ist es, den zweiten, postkolonialen Blick auf Asmara zu wählen.