Süddeutsche Zeitung

Architektur:Ästhetik des Alltags

Die amerikanische Architektin Denise Scott Brown hat unseren Blick auf die gebaute Welt verändert. Auch in ihren Fotos interessiert sie das Alltägliche.

Von Laura Weissmüller

Zwei Paar Hausschuhe, das eine rosa, das andere grau, dazwischen ein Hund, der seinen Kopf an dem Bein der weiblichen Pantoffelträgerin im karierten Morgenmantel reibt. Oder der zitronengelbe Schmetterling, der vor der Tablettendose so dekorativ seine Flügel ausbreitet, als hätte da jemand eine Blume positioniert. Vor allem: das Selfie im Badezimmerspiegel mit ungeschöntem Alltagsblick, der den Verhau aus Tuben, Cremes und Medikamentenschachteln nicht verbirgt und auf dem das Auge dann doch bei den hübschen Blumen am rechten Bildrand hängen bleibt.

Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Denise Scott Brown, die all diese Fotografien geschossen hat, mit ihrer Liebe zu Alltäglichem, ja Hässlichem die Auseinandersetzung mit der Architektur radikal verändert hat. Denn die amerikanische Architektin, Stadtplanerin und Architekturtheoretikerin, die heute 87 Jahre alt ist, war die erste, die sich überhaupt für so etwas vermeintlich Unansehnliches wie dem Werbeschildersalat moderner Städte interessiert hat, für Unorte wie Parkplätze oder die Nicht-Architektur der endlosen Reihenhaussiedlungen Amerikas. Schon in den Sechzigerjahren studierte sie Las Vegas, wie andere Paris oder Rom. Immer dabei: ihre Fotokamera, für Denise Scott Brown Ausdrucksmittel und Werkzeug in einem.

"Mir kann etwas Hässlicheres gefallen als dir" hieß das Spiel, das Scott Brown mit ihrem Ehemann, dem Architekten Robert Venturi, über Jahrzehnte spielte. Es ging nicht darum, sich lustig zu machen, sondern den Blick zu schärfen für das, was oft aus den offiziellen Darstellungen der Städte getilgt wird und diese doch vermutlich mehr prägt als ihre Prachtbauten. In dem gemeinsamen Buch "Learning from Las Vegas" manifestierte sich dieser Blickwechsel. Bis heute ist die "Großmutter der Architektur", wie Denise Scott Brown sich selbst nennt, ihm treu geblieben. Der Hund, der sich an ihrem Bein reibt, heißt übrigens Aalto.

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Quelle:
SZ vom 01.06.2019
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