Süddeutsche Zeitung

Architekt:Renzo Piano, der Betonflüsterer

Renzo Piano hat einige der bekanntesten Gebäude der Welt entworfen. Dabei ist polternde Selbstbehauptung nicht der Stil des Italieners.

Von Joseph Hanimann

Renzo Pianos Bauten haben nichts vom genial gezogenen Strich, von der staken Ikone, vom sicheren Wiedererkennungseffekt. So berühmt und auffällig sie sein mögen, Centre Pompidou in Paris, "Shard"-Hochhaus an der Tower Bridge in London, New-York-Times-Building, Paul-Klee-Zentrum bei Bern, Kansai-Flughafenterminal in Osaka, scheinen sie in ihrer jeweiligen Umgebung doch nur immer zu flüstern. Der Italiener, der in Deutschland erstaunlich wenig gebaut hat, gehört zu den diskretesten Architekten seiner Generation, hat mit seinem Büro hoch über dem Hafen von Genua aber einen festen Platz in der zeitgenössischen Architektur. Die Pariser Cité de l'Architecture et du Patrimoine lässt ihn nun mit einer monografischen Ausstellung klug ausgewählter Einzelprojekte ausführlich zu Wort kommen.

Dabei hat Piano eigentlich gar nichts zu sagen, jedenfalls nichts zu verkünden. Grundlegende Publikationen sind von diesem Mann nicht bekannt. "Eine Methode ohne Diskurs" heißt das Motto dieser Schau - und tatsächlich steht man zunächst vor einem Kuriosum. Wie kam dieser Bauunternehmersohn, dessen frühe Arbeiten in den Sechzigerjahren - vor allem Hallen- und Dachstrukturen aus galvanisiertem Blech, Polyester-Paneelen oder Hochdruckmembranen - in der Ausstellung als "Vorgeschichte" abgetan werden, zum freien Gestalten? Durch ein Wunder.

Zusammen mit seinem britischen Kollegen Richard Rogers gewann der 34-Jährige 1971 den Wettbewerb für das Centre Pompidou in Paris: ein revolutionäres Großprojekt, das ihn plötzlich mit ganz andere Fragen konfrontierte als das Basteln mit neuen Materialien. Auch dieses sehr bekannte Werk wird in der Ausstellung aber augenzwinkernd weggesteckt mit einem übergroßen Legomodell. Die ambitionierten Aufträge und hohen Erwartungen kamen danach in großer Zahl. Über sechs Themenschwerpunkte wird in der Ausstellung aufgefächert, was da so entstanden ist.

Von oben unsichtbar

Bei der Eingliederung in die Landschaft vermeidet dieser Architekt gespreizte Auftritte ebenso wie kleinmütige Anschmiegsamkeit. Die landschaftlichen Eigenheiten des jeweiligen Orts werden von seinen Bauten diskret übernommen und breiten sich wie ein Echo von innen her aus. Im Tjibaou-Kulturzentrum auf Französisch-Neukaledonien (1998) setzt das traditionelle Hüttenflechtwerk der Region sich in zehn zum Meer hin gewölbten Holzschildfassaden fort und in der Kalifornischen Wissenschaftsakademie von San Francisco (2008) schwappt der umliegende Landschaftspark im begrünten Muldendach einfach über das Gebäude hinweg.

Selbst die Nachbarschaft mit berühmten Bauwerken treibt den Architekten weder zum scheuen Wegducken noch zur polternden Selbstbehauptung. Er stellt sich elegant einfach daneben. Die 2011 eingeweihten Zellen des Frauenklosters unter Le Corbusiers skulpturaler Kirche von Ronchamp in den Vogesen hat Piano nicht in den umliegenden Wald versteckt, sondern wie feine Lamellen in den Hügelabhang leicht unter der Kirche geschnitten: von oben unsichtbar und doch im Gelände klar präsent. Ein Baumodell aus Karton in Form eines Flachreliefs bezeugt in der Ausstellung anschaulich die Grundidee dieses Projekts.

Überhaupt sind Baumodelle aus Knetstoff, Holz, Papier, Maschendraht sowie Materialproben von Glas, Textilien, Beton oder Backstein neben den Zeichnungsskizzen für den Architekten ein wichtiges Arbeitsmittel. Das Entwerfen am Computer braucht klare Vorgaben, der Zeichenstift hingegen sucht zögernd seinen Weg durchs offene Terrain der Ungewissheiten, erklärt Piano im Interview. Doch auch daraus macht er nicht gleich eine Theorie.

Besonders anschaulich zeigt sich dieses Vorantasten in zielgerichteter Ungenauigkeit am Beispiel des Zeitgenössischen Kunstmuseums Astrup Fearnley in Oslo (2012). Die ursprünglich wie im Flügelschlag beim Abflug aufs Meer gespreizte Doppelfigur verwandelt sich über mehrere Baumodelletappen hinweg zum schutzbietenden Kunstvogel am Wasser.

Der heute 78-jährige Architekt, der weiterhin große Projekte am Laufen hat wie den neuen Pariser Justizpalast am Nordwestrand der Stadt, die Stavros-Niarchos-Foundation in Athen oder ein Kinderspital in Entebbe (Uganda), ist das geblieben, was er von Anfang an war: ein Formenerfinder im Geist eines Konstrukteurs, von der Faltblech-Logik Jean Prouvés mehr beeinflusst als von den Visionen eines Le Corbusier oder Walter Gropius.

Pianos Hochhäuser führen keinen Zweikampf mit den Wolken

Das Arbeitsspektrum seines Büros ist relativ eng: hauptsächlich Museums-, Lehr- und Forschungsgebäude, wenig Wohnbau, wenige Nutzbauten und kaum Stadtplanung. Von praktisch allen Werken geht aber eine unaufgeregt strahlende innere Ruhe aus. Pianos Hochhäuser führen keinen Zweikampf mit den Wolken, seine Längsbauten auf dem Flughafen von Osaka und im Spital von Entebbe maßregeln nicht die Natur. Und selbst dort, wo wie in der Seydoux-Pathé-Stiftung in Paris (2014) ein bizarr gewölbtes Schalentier mit seinem Glasplattenpanzer sich in einen Haussmann'schen Hinterhof zwängt, zeigt das Ding zur Straße hin Haltung und zieht den Schwanz ein.

Renzo Piano prunkt nicht mit ästhetischer Kühnheit, technischer Höchstleistung, klimatischer Totaleffizienz, und einen "Renzo-Piano-Stil" gibt es eigentlich auch nicht. Seine Bauten sprechen aber jeder für sich und die Pariser Ausstellung bietet an 16 Tischen mit bequemen Klappstühlen ein anregendes Panorama dazu. Man kann sich dort in aller Ruhe in die Skizzen und Modelle vertiefen, in den ausgelegten Publikationen blättern oder, wenn man es diskret tut, die Stahlrohre und Betonbausteine streicheln.

Renzo Piano Building Workshop. La méthode Piano. Cité de l'Architecture et du Patrimoine, Paris. Bis zum 29. Februar 2016. Info: www.citechaillot.fr

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SZ vom 30.12.2015/jobr
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