Nachruf:Stimme der gestohlenen Generationen

Nachruf: Archie Roach hat selbst erlitten, worüber er in "Took the children away" sang. Das Foto zeigt ihn auf einem Konzert in Adelaide 2021.

Archie Roach hat selbst erlitten, worüber er in "Took the children away" sang. Das Foto zeigt ihn auf einem Konzert in Adelaide 2021.

(Foto: Kelly Barnes/Getty Images)

Mit seinen Liedern erinnerte Archie Roach die Australier an eines der finstersten Kapitel ihrer Geschichte. Nun ist der große Sänger und Erzähler gestorben.

Von Jan Bielicki

Es war das Lied, das Australien brauchte. Und Archie Roach war der Mann, der es schreiben und singen konnte. Als der damals völlig unbekannte Sänger 1989 - vom berühmten Paul Kelly auf die Bühne geholt - "Took the children away" präsentiert hatte, herrschte minutenlange Stille in der Melbourne Concert Hall. Dann hob der Beifall umso lauter an. Roach hatte den Nerv Australiens getroffen.

"The story's right, the story's true / I would not tell lies to you", so beginnt sein Lied und erzählt eine Geschichte, die richtig und wahr ist, keine Lüge und darum so aufrüttelnd. Erst durch Roachs Song wurde vielen Australiern bewusst, was ihr Staat bis Anfang der 1970er-Jahre den Familien ihrer indigenen Mitmenschen, die bis 1967 noch nicht einmal Mitbürger waren, angetan hatte: Systematisch hatten Behörden Zehntausenden Eltern die Kinder entrissen, um sie in Waisenhäusern und bei Pateneltern zu "guten", und im rassistischen Geist der Zeit hieß das: weißen Australiern zu erziehen. Erst der Labor-Premier Kevin Rudd entschuldigte sich 2008 offiziell für dieses Verbrechen an diesen nun sogenannten "gestohlenen Generationen". Roach sang bei dieser Zeremonie.

Er war eines dieser Kinder. Das Logo, unter dem er später als Sänger auftrat, umschreibt seine Herkunft: Gunggayay, die rotbäuchige Schwarzotter, umringt darauf Kneeangar, den Keilschwanzadler. Die Schlange ist Totem der Bundjalung, des Volks seines Vaters, der Adler ist für die Gunditjmara, zu denen seine Mutter gehörte, der Schöpfer ihres Landes. Schon im Alter von zwei Jahren wurde der im Jahr 1956 geborene Archie seinen Eltern weggenommen, in Waisenhäuser gesteckt und schließlich von einem Einwandererpaar aus Schottland adoptiert.

Der Zwiespalt "weiß zu handeln, schwarz zu fühlen" zerriss ihn fast

Vater und Mutter sah er nie wieder. Seine Pateneltern liebte der junge Archie, doch der Zwiespalt "weiß zu handeln, schwarz zu fühlen", wie es in seinem Lied heißt, zerriss den Teenager. Als er mit 14 vom Tod seiner Mutter erfuhr, ging er weg von dem, was eben nicht "daheim" war, und auf eine Suche, die er fast nicht überlebte. Jahrelang lebte er auf der Straße, verfiel dem Alkohol, beging einen Suizidversuch, wie er in seiner Autobiografie erzählt - ein beschädigtes Leben, wie es viele schwer traumatisierte schwarze Australier erleiden müssen.

In einem Obdachlosenheim lernte er Ruby Hunter kennen, auch sie ein gestohlenes Kind. Sie teilten ihre Leidenschaft, in Liedern zu erzählen, was sie erlebten und erlitten. Sie sangen bei den Protesten gegen die Feiern zum 200. Jahrestag der Ankunft der Engländer, die für die Ureinwohner zur Katastrophe wurde. Dabei wurde zunächst Roach entdeckt, später sollten sie beide erfolgreiche Sänger und Songschreiber werden - und im ganzen Land gehörte Stimmen für die Rechte der indigenen Australier.

Nach Ruby Hunters frühem Tod 2010 hat Archie Roach ohne sie weitergemacht. Jedes Mal, wenn er "Took the children away" anstimme, heile ein Teil seines Schmerzes, hat er einmal gesagt. "The children came back, yes, I came back", singt er darin. Am Samstag ist er mit 66 Jahren im Küstenstädtchen Warrnambool gestorben, in einem Landstrich, der traditionell den Gunditjmara gehört und den der Kneeangar geschaffen hat.

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