Süddeutsche Zeitung

Archäologie: Sphinx von Hattusa:Heimkehr zweier Damen

Freundschaftsgeste oder Erpressung? Deutschland gibt die 700 Jahre alte Sphinx von Hattusa an die Türkei zurück.

Johan Schloemann

Das sind wirklich lange Wege für die zwei Damen. Zeitlich wie örtlich. Die eine, zweieinhalbtausend Jahre alt, muss sich von der luftigen Küste Kaliforniens wieder ins heiße Landesinnere von Sizilien bequemen; die andere hat fast viertausend Jahre auf dem Buckel, ist ebenso sichtbar gebrechlich und macht sich nun auf die Reise von der Spreeinsel in Berlin-Mitte in ihre türkische Heimat. Die eine ist eine Altgriechin aus Süditalien, die andere Hethiterin aus Anatolien.

Dame Nummer eins: Die sogenannte Venus von Morgantina, eine überlebensgroße Marmorgöttin, wurde vom J.Paul Getty Museum in Malibu bei Los Angeles an den italienischen Staat zurückgegeben. Die Statue, zuvor der Kunstgeschichte unbekannt, war von der reichen amerikanischen Kunststiftung im Jahr 1988 aus dem illegalen Kunsthandel für etwa 18Millionen US-Dollar angekauft worden. Obwohl man sie erst 2006 bei der Neugestaltung der Getty Villa in Malibu, eines Nachbaus der "Villa dei Papiri" in der Vesuvstadt Herculaneum, scheinbar für alle Ewigkeit erdbebensicher im Museumsboden verankert hatte - mit der unpräzisen Provenienzbezeichnung "Southern Italy" -, ist die umkämpfte klassische Skulptur nun an ihren Fundort in der sizilianischen Kleinstadt Aidone zurückgekehrt.

Dort, unweit der berühmten Mosaikenfunde von Piazza Armerina, liegt die Ausgrabungsstätte des antiken Ortes Morgantina, dort hatten sie die Raubgräber entwendet; ein Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hat die heimgekommene Göttin im unausgepackten Zustand bereits im kleinen Museum von Aidone in Augenschein nehmen können.

Dame Nummer zwei: Die sogenannte Sphinx von Hattusa, eine kalksteinerne Stadttor-Skulptur aus der einstigen Metropole des hethitischen Großreiches (14./13.Jahrhundert vor Christus), wird an den türkischen Staat zurückgegeben. Das gab Kulturstaatsminister Bernd Neumann als das Ergebnis der Verhandlungen mit der Türkei bekannt. Die fragmentarisch erhaltene Figur wurde 1907 bei deutschen Grabungen in Hattusa (heute Bogazkale) gefunden, wurde dann 1915 zusammen mit einer Zwillings-Sphinx zur Restaurierung ans Vorderasiatische Museum in Berlin gebracht und dort mit viel ergänztem Gips als Zeugnis der alten Hochkultur aufgestellt, während die besser erhaltene Sphinx 1924 an die Türken zurückging. Dann wurden Zweifel laut, ob die zweite Figur rechtmäßig in Berlin verblieben ist, Papiere dazu fehlen.

Gezielt illegal erworben

Auf den ersten Blick sind die beiden Heimkehrerinnen nun auf dieselbe Weise zu begrüßen. Etwa so: Dem Prinzip der Autochthonie wurde Genüge getan, die idealistische bis kolonialistische Plünderung des antiken Erbes durch die westlichen Länder wurde rückgängig gemacht.

In Wahrheit aber sind beide Fälle ganz unterschiedlich gelagert. Sie stehen für zwei Fragen in den gegenwärtigen Rückgabe-Debatten, die gerne vermischt werden, aber nicht vermischt gehören. Die Venus von Morgantina gelangte nämlich aus einer derjenigen Raubgrabungen in die USA, die gegen geltende Antikengesetze verstoßen. Schon lange gibt es solche Antikengesetze: Nachdem die Herkunftsländer der alten Kulturen und Artefakte ihr nationales Bewusstsein gestärkt und Nationalstaaten gegründet hatten - besonders nach dem Ende der italienischen Kleinstaaterei und des Osmanischen Reiches -, wurde auch die Ausfuhr von Kunstfunden mit der Zeit immer strenger geregelt.

Das sizilianische Schmuckstück wurde also gezielt illegal erworben; schuld war die aggressive Einkaufspolitik des Getty-Museums, denn das Stiftungsvermögen des 1976 verstorbenen Ölmagnaten J. Paul Getty - es beträgt heute über fünf Milliarden US-Dollar - sollte und musste für hochwertige neue Sammlungsstücke ausgegeben werden. Das war und ist keine Seltenheit bei privaten Stiftungen, nicht zuletzt in den USA: Je jünger eine Antikensammlung, desto mehr stammt aus illegalem Handel, so die Faustregel. Obwohl der designierte Präsident der Getty-Stiftung, James Cuno vom Art Institute of Chicago, den illegalen Kunsthandel pikanterweise persönlich für legitim hält - von ihm stammt das Buch "Who Owns Antiquity?" -, haben sich die Kalifornier inzwischen auf strengere Ankaufsregeln verpflichtet.

Ganz anders ist es mit Funden, die seit hundert Jahren oder länger in staatlichen Museen zu sehen sind, oft aufgrund eigener Grabungen. Hier, wie bei der Sphinx von Hattusa, ist die Rückgabe ans Herkunftsland nicht zwingend geboten - es sei denn, es geht um kultisch verehrte Hinterlassenschaften indigener Völker. Der Kulturstaatsminister spricht von einer "freiwilligen Geste der deutsch-türkischen Freundschaft". Unfreundlicher gesagt, hat sich Berlin vom türkischen Kulturminister erpressen lassen: Dem Deutschen Archäologischen Institut drohte er die Grabungslizenz in Hattusa zu entziehen, falls die zerbröckelte Sphinx nicht in die Türkei komme. Es ist sehr bedenklich, dass diesem Archäologie-Nationalismus stattgegeben wird, welcher übrigens seit Atatürk die frühen anatolischen Völker fälschlich zu Vorfahren der Türken erklärt. Das hethitische Reich hingegen war ein Vielvölkerstaat.

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SZ vom 17.05.2011/jab
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