"Arbeit und Struktur" von Wolfgang Herrndorf:Abschließen wollte er, nicht aufhören

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Wolfgang Herrndorf

Wolfgang Herrndorf verstarb am 26. August 2013.

(Foto: Mathias Mainholz)

"Gib mir ein Jahr, Herrgott, an den ich nicht glaube, und ich werde fertig mit allem": Im August 2013 hat sich der an einem unheilbaren Gehirntumor erkrankte Schriftsteller Wolfgang Herrndorf das Leben genommen. Jetzt ist sein Blog "Arbeit und Struktur" in Buchform erschienen.

Von Jens Bisky

Seit dem September 2010 konnte jeder nachlesen, wie es Wolfgang Herrndorf ging, der im Februar des Jahres erfahren hatte, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Diagnose: Glioblastom, Hirntumor, bösartig, nicht zu heilen. Wikipedia gab "17,1 Monate ab Diagnose". Für seine Freunde schrieb Herrndorf von März an ein digitales Tagebuch, sechs Monate später wurde daraus ein Text für alle und rasch einer, über den man sprach, den man oft zitierte. Für viele gehörte es bald zur Wochenroutine, einmal bei "Arbeit und Struktur" vorbeizuschauen. Das Blog endet mit dem Satz: "Wolfgang Herrndorf hat sich am Montag, den 26. August 2013 gegen 23.15 Uhr am Ufer des Hohenzollernkanals erschossen."

In dieser Woche ist "Arbeit und Struktur" als Buch erschienen. Kathrin Passig, die im Blog eine große Rolle spielt, und der Lektor Marcus Gärtner haben den Text durchgesehen, um weniges ergänzt und knapp kommentiert. Herrndorfs Geschichte, das Ineinander von Krankheit und literarischem Erfolg, ist ebenso bekannt wie der Wortlaut der meisten seiner Einträge. Und doch legt man das Buch nicht leicht aus der Hand, liest neu, noch einmal anders als in den drei Jahren zuvor, in denen auf Fortsetzung zu hoffen war.

Herrndorf hatte sich kurz nach der Diagnose entschieden zu arbeiten, also zu schreiben. Dabei erging es ihm am besten. Er überwand Skrupel, Hemmungen, Zweifel, die ihn jahrelang gehindert hatten, seine Romane zu vollenden. Nach wenigen Monaten erschien "Tschick" und wurde, obwohl es anfangs nicht so aussah, ein großer Erfolg. Im Jahr darauf kam der Wüstenroman "Sand" heraus, virtuos komponiert, 500 Seiten schlackenloser, effektbewusster Prosa. Das Blog entstand in den Arbeitspausen und veränderte im Lauf der Monate - zwischen Operationen, Chemos, Anrufen des Verlags, dass eine neue Auflage nötig sei, zwischen der Furcht, die Kontrolle zu verlieren, und Stunden mit den Freunden - seinen Charakter.

"Gestern haben sie mich eingeliefert", begann Herrndorf am 8. März 2010. Er spielt mit dem nie ganz deutlichen Gegensatz von Irrsinn und Normalität: "Gespräche mit den Ärzten laufen darauf hinaus, dass sie versuchen, mir Erinnerungslücken nachzuweisen, weil ich mich an sie und ihre Namen nicht erinnere. Mich nennen sie grundsätzlich Hernsdorf." Der Wechsel von Pointen, Scherzen und Todesangst erschüttert die Panzerung des Lesers, er wird fähig, mit dem Autor zu empfinden.

Drei Motive kehren wieder bis zum Schluss: zunächst die Freunde, die zur Stelle waren, halfen, ohne zudringlich zu werden. Ebenso wichtig war, dass Herrndorf auch, ja gerade am Ende Souverän seines Lebens sein wollte, so wie er in seinen Romanen nichts dem Zufall oder dunklem Drang überlassen mochte. Es ging darum, "die Fäden in der Hand zu halten". Die Pistole, die er sich besorgt, beruhigt. Und dann ist da, und dieses Motiv wird stärker, je mehr die Krankheit voranschreitet, die Liebe zum Leben, das Leuchten der Wirklichkeit: "die Freundlichkeit der Welt, die Schönheit der Natur, kleine Kinder".

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