Alaa Al-Aswanis Roman "Die Republik der Träumer":Aufbruch, Staunen, Sterben

RNPS IMAGES OF THE YEAR 2011

Der Tahrir-Platz in Kairo nach dem Rücktritt Hosni Mubaraks am 11. Februar 2011.

(Foto: Amr Abdallah Dalsh/Reuters)

Alaa Al-Aswani, einer der führenden Intellektuellen Ägyptens, hat mit "Die Republik der Träumer" einen Roman über den Arabischen Frühling in Kairo geschrieben: eine seltsam unpolitische Revolutionsgeschichte.

Von Sonja Zekri

Alaa Al-Aswani ist der erfolgreichste arabische Schriftsteller, ein Vordenker der ägyptischen Demokratie, der mit seinem Buch "Der Jakubijan-Bau" die Lähmung und die Wut im Staate Mubaraks so klar beschrieb wie kein anderer. Der Arabische Frühling war ein Jahrhundertereignis, das die Region für immer veränderte, auch wenn es zehn Jahre danach so scheint, als sei es vor allem zum Schlechteren. Wenn also der Weltbestsellerautor Alaa Al-Aswani ein Buch über den Aufstand auf dem Tahrir-Platz schreibt, dann ist selbst sein Scheitern von Bedeutung.

Denn bedauerlicherweise scheitert der Roman, wie auch sein Autor im politischen Getümmel Ägyptens auf exemplarische Weise scheiterte. Aswani ist der Modellfall eines öffentlichen Intellektuellen, der nur das Beste will, aber unter Umständen lebt, in denen das Beste schwer zu erkennen ist. In der Spätphase der Mubarak-Herrschaft war Aswani, Schriftsteller und Zahnarzt, einer der Mitgründer der Demokratiebewegung "Kefaja" (Genug). Er empfing Journalisten in seiner eisig kalten Praxis im Kairoer Stadtteil Garden City und redete sich bereitwillig um Kopf und Kragen. Als im Januar 2011 der Aufstand ausbrach, hatte er es nicht weit zum Tahrir-Platz.

Jahrelang hatte er den politischen Islam der Muslimbrüder und die Militärherrschaft kritisiert, dennoch gehörte er 2012 zu jenen Intellektuellen, die bei einem berühmten Treffen im Kairoer Fairmont-Hotel dem demokratisch gewählten Muslimbruder-Präsidenten Mohammed Mursi ihre Unterstützung versprachen. Ein Jahr später wandte er sich bitter enttäuscht von Mursi ab und dem putschenden Militär unter Abdel-Fattah al-Sisi zu, dem Geheimdienstchef und jetzigen Präsidenten, um sich kurz darauf wiederum von Sisi loszusagen, weil dieser eine neue, noch schlimmere Gewaltherrschaft installierte. Bald schon durfte Aswani im ägyptischen Fernsehen nicht mehr auftreten. Nach einer Kolumne für die Deutsche Welle drohte ihm ein Prozess vor einem Militärtribunal wegen Beleidigung der Armee, des Präsidenten und der Justiz. Inzwischen lebt er in den USA.

Aswanis Bücher sind in die ganze Welt übersetzt worden, nun, fast in die ganze Welt. Eine Übersetzung ins Hebräische lehnt er ab. Dass manche seiner Werke - nicht der "Jakubijan-Bau" - doch in Israel erscheinen konnte, sei gegen seine Zustimmung geschehen, sagt er.

Eine Abrechnung mit den Aufständischen, die eine "Revolution gemacht haben, die niemand brauchte und niemand wollte."

Am Nil wird jede Erinnerung an den Aufstand inzwischen brutal wegmoderiert, die Revolution gilt als historische Verirrung, als Verführung des edlen ägyptischen Volkes durch Amerikaner, Israel, Islamisten oder alle gemeinsam. Aswanis Roman "Die Republik der Träumer" kam vor zwei Jahren unter dem arabischen Titel "Republik Als-ob" in Beirut heraus. In Kairo darf er nicht erscheinen.

"Die Republik der Träumer" beschränkt sich auf das Jahr 2011, den Aufbruch, das Staunen, das Sterben. Das Buch endet vor Mursi und Sisi, vor Aswanis Irrtümern. Eine Ahnung seiner Verstörung bekommt man am Ende des Romans, wenn er Asma, eine junge Lehrerin, düster Bilanz ziehen lässt. Asma wurde vom Militär geschlagen, geschunden floh sie nach London. Dort rechnet sie mit den Ägyptern ab, die zusahen, "wie wir" - die Aufständischen - "verhaftet, erschossen oder vergewaltigt wurden", aber auch mit den Aufständischen, die eine "Revolution gemacht haben, die niemand brauchte und niemand wollte". Ägypten, schreibt sie, sei "eine große Lüge".

Aswani ist kein Epiker. Seine Stärke sind Szenen und Dialoge, in denen sich ein ganzes Land wiedererkennt. Eine Zementfabrik gehört italienischen Besitzern, aber auch dem ägyptischen Staat, und macht absichtlich Verluste, weil die Italiener dem Regime keine Gewinne gönnen: Von solcher Klüngelei können Ägyptens Arbeiter ein Lied singen. Ein Funktionär der Muslimbrüder kommt immer zehn Minuten zu früh: Die bürokratische Kleinkariertheit der Islamisten war legendär.

Erfolgsautor al-Aswani: Politisches Erdbeben geht weiter

Der ägyptische Schriftsteller Alaa al-Aswani während einer Buchpräsentation im Jahr 2007.

(Foto: epa efe Manuilo/picture alliance/dpa)

Auch diesmal schafft Aswani Figuren mit archetypischem Potenzial: Den christlichen Bonvivant Aschraf, der auf dem Tahrir sein politisches Erwachen erlebt, den Geheimdienstchef Alwani, der seine Familie liebt und Pornos mag, den Fabrikchef Issam, einen Ex-Kommunisten, der einst unter der Folter zerbrach und nun selbst Menschen schikaniert.

Das Risiko von Aswanis Methode liegt auf der Hand. Vom Archetypischen zum Stereotypen ist es nicht weit. Weibliche Figuren gelingen Aswani ohnehin nicht so recht, und sein Frauenbild bedarf, vorsichtig ausgedrückt, der Überholung. Ikram etwa, die Hausangestellte und Geliebte des christlichen Revolutionärs Aschraf, kann kaum lesen und schreiben, aber sie besitzt eine solche innere Noblesse, eine so unverstellte Reinheit, dass sie auf den 450 Romanseiten weniger als Mensch aus Fleisch und Blut erscheint denn als Vertreterin des mystisch verklärten "einfachen Volkes", ja, als Verkörperung Ägyptens schlechthin.

Es geschieht allerhand in der "Republik der Träumer", die Wege der Figuren kreuzen sich mal auf glückliche, mal auf verhängnisvolle Weise. Nur Suspense stellt sich nicht ein

In seinen besten Momenten entkommt Aswani der Gefahr des Klischees, indem er den Ton ins Satirische treibt. Die schöne Nurhan beispielsweise nutzt nicht nur ihre brillante Beischlaftechnik, um einen Mann nach dem anderen zu ehelichen, sondern verfügt außerdem über ein unerschöpfliches Repertoire religiöser Killerphrasen. Der Gatte, ein Fabrikbesitzer, scheut zurück vor krummen Geschäften? "Ich erkenne nur das Gesetz Unseres Herren an", schnurrt sie. Ein anderer hatte ihr die Ehe versprochen, aber nur ohne Kinder, und jetzt ist sie trotzdem schwanger? "Unser Herr, gepriesen sei Er, der Hocherhabene, wenn er eine Sache will, dann sagt Er, sei, und sie ist."

Es geschieht allerhand in der "Republik der Träumer", die Wege der Figuren kreuzen sich mal auf glückliche, mal auf verhängnisvolle Weise. Nur der Suspense jener Zeit stellt sich nicht ein. Fast nebenbei wickelt Aswani die 18 Tage des Aufstandes ab, die Mubarak-Reden, den Angriff peitschenschwingender Kamelreiter, Bürgerwehren von Teenagern mit Küchenmessern. Bis heute ist es ein Rätsel, warum die ägyptischen Sicherheitskräfte überhaupt zuließen, dass die Aufständischen den Tahrir-Platz besetzten, nachdem die Proteste in Tunesien bereits zum Sturz der Regierung von Ben Ali geführt hatten. Aswani lagert diesen Herzschlagmoment in eine Mail-Korrespondenz zwischen der Lehrerin Asma und dem Gewerkschaftsführer Mazen aus, wo er zwischen Liebesschwüren abgehandelt wird.

So wird "Die Republik der Träumer" zu einer seltsam unpolitischen Revolutionsgeschichte. Umso auffälliger sind deshalb jene Passagen, in denen Aswani dann doch eine Deutung vorlegt, und zwar eine sehr deutliche. Am Tag der Abdankung Mubaraks lässt er den familiensinnigen Geheimdienstchef und den kleinkrämerischen Generalsekretär der Muslimbrüder zusammentreffen, um das gemeinsame Vorgehen gegen den Aufstand zu verabreden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es ein solches Treffen wirklich gab, aber es ist eben auch nicht belegt. Mit diesem literarischen Kniff nun behauptet Aswani, dass die jungen Idealisten wie Asma und Mazen gerade nicht von ihren Landsleuten im Stich gelassen wurden, sondern einem Komplott der alten Rivalen - der Religiösen und des Geheimdienstes - zum Opfer gefallen sind. Damit hätte er, der öffentliche Intellektuelle, ebenso wie die Revolution, nie eine Chance gehabt.

Alaa al-Aswani: "Die Republik der Träumer". Roman. Aus dem Arabischen von Markus Lemke. Carl Hanser Verlag, München 2021, 464 Seiten, 25 Euro.

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