Arabische Dichtung:Im Schlafe füllt mein Auge Poesie

Arabische Dichtung: Der Dichter Abu Tajib Ahmad ibn al-Husain, bekannt als Mutanabbi.

Der Dichter Abu Tajib Ahmad ibn al-Husain, bekannt als Mutanabbi.

(Foto: oh)

In aller Welt begeistert gelesen, in Deutschland noch immer zu entdecken: Al-Mutanabbi, der größte Dichter arabischer Sprache, der vor 1100 Jahren geboren wurde.

Von Reinhard J. Brembeck

Mich kennt das Roß, die Nacht, das Schlachtrevier, Der Schlag, der Stoß, die Feder, das Papier." Bescheidenheit war dezidiert keine der Tugenden al-Mutanabbis, des größten Meisters der klassisch arabischen Lyrik, die in den Jahren vor dem Propheten Mohammed kometenhaft aufstieg und nach dem 11.Jahrhundert im Formalismus erstarrte. Mutanabbi, mit vollem Namen Abu Tajib Ahmad ibn al-Husain, wurde vor 1100 Jahren, im Jahr 915, in der Kleinstadt Kufa geboren, einhundertsiebzig Kilometer südlich von Bagdad. Er war ein mehr als stolzer Krieger, maßlos in seinen Ansprüchen sich und anderen gegenüber. Das prägt jeden seiner Verse, deren Grandezza auch in Joseph von Hammers zweihundert Jahre alter Gesamtübertragung ins Deutsche - es gibt keine andere - spürbar ist: "Berge bezeugen mir, dass ich ein Berg, Meere bezeugen mir, dass ich ein Meer."

Mutanabbi liebt blutige Schlachtszenen ebenso wie mit Bitternis getränkte Erotik, er verzaubert durch Bilder von Wüste, Kamel und Regen, Rose, Falke und Schnee. Hemmungslos überschüttet er seine Mäzene wie sich selbst mit Lob, das er mit Pessimismus, Todesfantasien, Menschenverachtung und Fatalismus durchwirkt. Dieser Dichter kennt in seinen rhetorisch ausgetüftelten, von Worttaifunen durchtobten Versen keinerlei Selbstzweifel: "Ich bin's, vor dessen Licht die Blinden seh'n, Und dessen Wort die Tauben selbst versteh'n. Im Schlafe füllt mein Auge Poesie, Mit Mühe sammeln Andre wachend sie."

Mutanabbî verzaubert durch Bilder von Wüste, Kamel und Regen, Rose, Falke und Schnee

Mit diesem Selbstbewusstsein hätte es Mutanabbi auch in der besten aller Welten schwer gehabt. Zumal er zugleich, wie viele seiner Kollegen, ein Faible für ätzenden Spott hat: "Ohrfeigen ihm zu geben war der Hände Regen, Von seinen Füßen blies der Wind Gestank entgegen."

Dieser Dichter konnte nicht anders arbeiten als maßlos, das beweist dieses berühmte Jugendgedicht: "Welch Höh' erreicht' ich nicht? Wo ist Großes das ich scheue? Alles was der Herr erschuf, Alles was nicht ward erschaffen, Scheint geringe meinem Muth, Wie das Haar auf meinem Scheitel."

An die dreihundert Gedichte hat Mutanabbi in seinem Diwan versammelt. Diese Gesamtausgabe ist, für orientalische Literatur untypisch, chronologisch angeordnet und lässt sich als stilisierte Biografie und packendes Zeitbild lesen. Im 10. Jahrhundert ist der Nahe Osten so unruhig wie heute. Das Kalifat in Bagdad schwächelt, es wird überflügelt von Regionaldynastien in Ägypten, Syrien, Persien. Dazu kommen die Kriege mit Byzanz und die Bedrohung durch die Qarmaten. Diese nur lose mit dem Islam verbundene Sekte mordet Pilger und erobert 930 sogar Mekka, dessen Zentralheiligtum Ka'aba sie verschleppen, den heiligen Stein.

Der stets unzufriedene Mutannabi sympathisiert mit den Qarmaten, stilisiert sich als Prophet, wagt den Aufstand und wird inhaftiert. Diese Episode bringt ihm das später wie einen Ehrentitel getragene al-Mutannabi ein, "Der Möchtegernprophet". Von seiner Menschenverachtung hat sie ihn nicht kuriert: "Ich sehe zwar um mich wohl menschliche Gestalten, Es irret aber wer sie will für Menschen halten."

Nun sucht er jahrelang nach einem Gönner und findet ihn in Sayf ad-Dawla ("Reichsschwert"), dem Emir von Aleppo: "Ganz umsonst ist die Müh', der Sonne das Licht zu beneiden, Ganz umsonst ist die Müh', Dich zu vergleichen mit ihr." Sayf ist ständig in Kämpfe mit Byzanz verwickelt, zieht aber Philosophen und Dichter an seinen Hof. Mutanabbi bleibt acht glückliche Jahre, hier entstehen seine besten Gedichte. Doch es kommt, warum auch immer, zum Zerwürfnis. Mutannabbi wird bis an sein Lebensende wehmütig an Sayf denken: "Ich trennte mich von euch; was von der Trennung Schmerz, Erschien nach selber mir als Labung für das Herz. Erinnerung an das, was zwischen uns gewaltet, Gibt Kraft dem Herzen, das der Schmerz der Trennung spaltet."

Der Dichter geht nach Kairo zu Kafur. Der Mann ist eine schillernde Figur, er hat sich, obwohl Schwarzer, Kastrat und Ex-Sklave, zum Herrscher über Ägypten hochgearbeitet. Anfangs produziert Mutanabbi die gewohnten Lobgesänge, doch bald kühlt das Verhältnis ab. Zuletzt hat er für Kafur nur noch beißenden Spott übrig: "Eh' den Verschnittnen ich geseh'n, ich glaubte, Es sey der Sitz der Denkkraft in dem Haupte; Seit ich geseh'n ihn ohne Grund und Boden, Weiß ich, dass der Verstand nur in den Hoden." Der Dichter flieht. Die letzten Jahre verbringt er auf der Suche nach neuen Gönnern, die lyrische Ausbeute ist nur noch mager.

Dieser in der arabischen Welt bis heute begeistert gelesene Dichter hat westliche Intellektuelle lange verstört, erst langsam zeichnet sich eine Neubewertung ab. Einer seiner größten Anhänger war der Orientalist Joseph von Hammer (1774-1856), dessen gewiss nicht immer korrekte, aber rhythmisch fulminante Mutanabbi-Übersetzung 1824 erschien. Hammer, seiner literarischen Verdienste wegen zum Freiherrn von Purgstall geadelt, ist berühmt für seine Übertragung des persischen Mystikers Hafez, die Goethe zum "Westöstlichen Diwan" inspiriert hat. Sein "Motenebbi, der größte arabische Dichter" dagegen wurde kaum beachtet. Hätte nicht die Bayerische Staatsbibliothek ihr Exemplar online gestellt (es ist auch als Book on Demand erhältlich), Mutanabbi wäre für deutsche Leser nach wie vor verloren.

Der Dichter hat keine Skrupel, einen einst bejubelten Potentaten mit Hasstiraden zu überziehen

Während auf Englisch, Französisch und Spanisch längst zweisprachige Prosaübersetzungen in knapp kommentierten Paperbacks vorliegen, gibt es auf Deutsch nichts Vergleichbares. Trotz reger Übersetzertätigkeit im 19. Jahrhundert ist den Deutschen die herbe Welt klassisch arabischer Dichtung fremd geblieben. Eine Ausnahme macht Raoul Schrott mit seinem Buch "Die Erfindung der Poesie" (1997). Da findet sich mit den in den "Mu'allaqat" gesammelten Kassiden die Gründungsurkunde der arabischen Dichtung, angeführt von dem ersten arabischen Dichtergroßmeister Imru'l-Qays, der etliche der bei Mutanabbi anzutreffenden Motive geformt hat. Schrott stürzt sich auch auf den zweiten Großdichter, auf Abu Nuwas. Den kennt man als den Begleiter des Kalifen Harun ar-Raschid aus "Tausendundeiner Nacht". Verehrt aber wird Abu Nuwas wegen seiner funkelnd mystischen Weingedichte, seine nicht weniger grandiosen Erotika bedrängen Jünglinge, selten nur Mädchen. Leider aber lässt Schrott mit Mutanabbi den dritten großen Dichter außen vor.

Also muss sich der Leser durch die Frakturschrift des alten Hammer-Drucks arbeiten, der ihn entweder schnell abschrecken oder begeistern wird. Laue Reaktionen hat Mutanabbi noch nie provoziert. "Wenn ich in finsterer Nacht durchschneide die Erde, die weite, Bin das Geheimniß ich, welches bedecket die Nacht." Zentrum dieser Dichtung sind die Kassiden, in denen sich bis zu fünfzig Doppelverse aneinanderreihen, die stets auf den gleichen Reim enden und denselben Rhythmus aufweisen. Ansonsten aber sind Kassiden alles andere als einheitlich, oft zerfallen sie in unverbundene Passagen: ein missglücktes Liebesabenteuer, der Wüstenritt auf dem geliebten Kamel, das Mäzenatenlob. Die Zerfallstendenzen werden noch dadurch verstärkt, dass viele Verse in sich geschlossene Aphorismen sind: "Besser kenn' ich die Welt, als der Menschenkenner der kluge, Er verkostet sie nur, während gegessen ich sie."

Die Liebe und der Wein sind für diesen Kriegerpoeten nie sonderlich wichtig, während er im Herrscherlob zur Höchstform aufläuft. Diese überzogenen Lobreden, auf seine Gönner wie auf sich, sind das Zentrum arabischer Dichtung. Oft werden sie mit einer sinnlich ausgekosteten Brutalität grundiert: "Wer zur Ehre gelangt, von Dir erschlagen zu werden, Ist Dir verbunden mit Dank, wie für erwiesene Huld. Sieh! es rühmt sich das Blut, von Dir vergossen zu werden, Und es lobt Dich das Herz, das Du mit Schrecken erfüllt." Solche Verse lassen sich als unerträgliche Prahlereien abtun. Aber sie erfassen Mutanabbis Ideal des stolzen Kriegers und Todesverächters. Der dabei formulierte Anspruch ist übermenschlich. Weh dem, der ihn nicht erfüllen kann. Der Dichter hat, wenn enttäuscht, keinerlei Skrupel, einen einst bejubelten Potentaten mit den übelsten Hasstiraden zu verunglimpfen.

Am leichtesten zugänglich ist Mutanabbi in seinen Totenklagen. In ihnen verleiht er einem tiefen Schmerz Ausdruck, der in einem noch tieferen Pessimismus wurzelt. Die Welt ist ein Nichts, die Zeit so feindselig wie die Menschen, der Tod unvermeidlich: "Leider ist Tod ein Dieb, ein schlimmer, dem nicht zu entgeh'n ist, Ohne Hand und Fuß greift er und schleicht er herein." Am Ende wird Mutanabbi zum Opfer seiner Dichtung. Als er 965 von Shiraz nach Bagdad reist, wird sein Tross kurz vor dem Ziel überfallen. Der Dichter will schon der Übermacht weichen, als ihn sein Diener mit seinem berühmtesten Vers aufhält: "Mich kennt das Roß, die Nacht, das Schlachtrevier . . ." Mutanabbi stürzt sich wieder ins Gemenge und wird wie viele seiner arabischen Dichterkollegen ermordet.

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