Süddeutsche Zeitung

Apple:Adieu, iPod!

Apple schafft seinen legendären Musikplayer ab. Eine Hommage.

Von Gerhard Matzig

Apple beerdigt seine eigene grandiose Schöpfung. Zu Grabe getragen wird der iPod, der zu den Gründungsmythen der neueren Designgeschichte zählt. Okay, wir fahren ja auch nicht mehr im Käfer herum. Dennoch wäre Apple ohne iPod nur das, was VW ohne Käfer wäre. Jonathan Ive, ein gedanklich am Bauhaus geschulter Gestalter, ist (nach "Scheiß aufs Metaverse"-Tony Fadell) sein Skulpteur. Nach 20 Jahren wird die aktuelle Version nur noch verkauft, "solange der Vorrat reicht". Man liest das, eilt panisch in den Keller zur Kiste mit der Aufschrift "Elektroschrott" und sucht nach dem iPod shuffle aus der vierten Generation in Spacegrau.

Leblos liegt er unter einem knallroten My-first-Sony-Kassettenrecorder. Sofort beginnt man mit den Reanimierungsmaßnahmen. Vergebens. Der Space füllt sich mit Tränen. Doch im Nachdenken darüber, wer zur Hölle sich den Wahnsinn der Evolution ausgedacht hat, begreift man plötzlich das Vermächtnis des Karl Lagerfeld. Vorige Woche wurden passgenau 310 iPods (aber auch feinste Bettlaken aus dem frühen 20. Jahrhundert und Lammfellhandschuhe, Größe 8) aus dem Nachlass des vor zwei Jahren gestorbenen Modeschöpfers versteigert. Bei Sotheby's. Und wer sich jetzt fragt, was um Himmels willen einer mit 310 iPods anstellt, dem sei gesagt: Weitere 290 iPods ruhen in der Schatztruhe eines Mannes, der sich "König der iPods" nannte.

Die in zahlreichen Varianten gesammelten Untertannen des Königs sind Bild zufolge allesamt versehen mit bunten Stickern, auf denen handschriftlich vermerkt ist, was der jeweilige iPod musikalisch bietet. Etwa "Piano" oder "Italia". Jedes Gerät dient nur einem Genre. Das wären 600 Genres. Hm. Zu vermuten ist jedenfalls, dass die belgische Indie-Band Girls in Hawaii, die Lagerfeld gern hörte, ein eigenes Genre darstellt.

Kann es sein, dass der Modemensch das Prinzip MP3-Player nicht verstanden hat? Man braucht nur ein Gerät, um unendlich viel Musik hören zu können. Ein Ding, alle Möglichkeiten. Das ist letztlich das, was die Gegenwart ausmacht. Leider immer mehr. Tatsächlich öffnet uns Lagerfeld mit seiner irren iPod-Sammlung die Augen. Im Gegensatz zu seinen 600 iPods besaß der Faxfreund kein Smartphone: "Telefone sind was fürs Personal." Und das ist sie - die späte Rache am Smartphone, dem sich der Untergang des iPods verdankt. Der iPod wurde kannibalisiert.

Mit dem Satz "Die Musik lebt weiter" verweist der Konzern darauf, dass das "Musikerlebnis" ja ohnehin in allen Apple-Produkten integriert sei. Typisch für das Smartphone ist, dass es alles kann (auch Musik), was man braucht, und noch sehr vieles, von dem man noch nie etwas gehört hat und auch nichts hören will. Der frühe iPod weiß dagegen nichts vom App Store, in den sich das Universum hinter Dagobah stürzt. Deshalb ist er ja so toll. Er ist wesentlich: eine Sache für eine Sache in aller Mannigfaltigkeit. Zugleich birgt er alles, was Apple ausmacht. Er ist clean, hosentaschenfreundlich und simpel. Schön sowieso. Weniger ist mehr. Das Clickwheel aus der Zeit vor dem Touchscreen hatte etwas magisch Mechanisches. Als hätte man alles im Griff. Irrtum.

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