Der niederländische Fotograf Chas Gerretsen arbeitete lange Zeit als Fotojournalist und Kriegsreporter. Drei Jahre dokumentierte er den Vietnamkrieg, war später beim Militärputsch in Chile dabei. Irgendwann hatte er zu viele Bilder von Tod und Leid aufgenommen mit seiner Kamera, hatte zu oft brenzlige Situationen gerade so überlebt; er sehnte sich nach einem Job, bei dem keiner auf ihn schießen würde. Also ging er Mitte der Siebzigerjahre nach Hollywood und bot sich als Setfotograf an. Eines Tages bekam er das Angebot, auf die Philippinen zu fliegen, um die Dreharbeiten eines Vietnamkriegsfilms zu fotografieren. Der Regisseur: Francis Ford Coppola. Der Filmtitel: "Apocalypse Now".
Seine Aufnahmen von damals hat Chas Gerretsen, heute 78 Jahre alt, nun mit vier Jahrzehnten Verspätung in dem Bildband "Apocalypse Now: The Lost Photo Archive" bei Prestel veröffentlicht. Ergänzt werden die Bilder von kurzen Texten des Fotografen. Die Anekdoten und Legenden über die Dreharbeiten von "Apocalypse Now" sind vielfach erzählt worden, unter anderem von Coppolas Ehefrau Eleanor in der ausgezeichneten Dokumentation "Hearts of Darkness". Der Fotograf Gerretsen erzählt einige dieser bereits bekannten Geschichten neu und ergänzt sie noch um ein paar unbekannte. Wie das Filmteam im Drogensumpf versank, das Budget und den Zeitplan gnadenlos überzog und so dafür sorgte, dass die Entstehungsgeschichte des Films fast spannender ist als der Film selbst. Geschossen wurde zwar nicht mehr auf den Fotografen bei diesem Job - aber ziemlich irre muss es trotzdem gewesen sein.
Chas Gerretsen erinnert sich, dass den Filmemachern nicht genug Leichenteile am Set herumlagen, um den Krieg authentisch nachzustellen. Weshalb irgendjemand auf die Idee kam, im örtlichen Leichenschauhaus shoppen zu gehen. Was wiederum dazu führte, dass die Crew erst unter dem Gestank der verwesenden Körperteile litt, dann unter den Ratten, die durch sie angezogen wurden.
Leichenteile verwesten am Set, aber Marlon Brando sehnte sich nach einem Pyjama aus ägyptischer Baumwolle
Er erinnert sich an Dennis Hopper, der einen Kriegsfotografen spielte, ein bisschen auch nach seinem, Gerretsens Vorbild. Hopper sei immer betrunken und zu spät ans Set gekommen, weshalb die Crew so sauer wurde, dass ihm ein "Bodyguard" zugeteilt wurde. Der sollte dafür sorgen, dass er nüchtern und pünktlich ans Set kam. Im Endergebnis kamen aber von da an sowohl Hopper als auch der Bodyguard betrunken und zu spät ans Set.
Francis Ford Coppola, das Hollywoodwunderkind, das schon mit Anfang 30 durch "Der Pate" zum Superstar geworden war, sei auch nicht ganz unkompliziert gewesen. Coppola sei am Ende eines Drehtages zu ihm gekommen und habe gesagt: "Ich mag Sie nicht besonders, aber Sie sind ein guter Fotograf. Sie können bleiben." Dann sei er wieder weggegangen, ohne eine Antwort abzuwarten.
Und der große Marlon Brando, der sich mit der Rolle des Colonel Kurtz ein weiteres Filmdenkmal für die Ewigkeit erspielte? Hätte so lange Theater gemacht, bis ein Mitarbeiter extra nach Hongkong fliegen musste, um ihm dort die Pyjamas aus ägyptischer Baumwolle zu kaufen, die er so dringend brauchte, um gut schlafen zu können.
Mit vier Nikon Fs, zwei Leica M4s und vielen verschiedenen Linsen war Gerretsen auf die Philippinen gekommen. Seine Bilder sind Aufnahmen aus einer vergangenen Zeit, als die Buchhalter von der Wall Street noch nicht ganz die Macht in Hollywood übernommen hatten. Sie würden so einen Dreh-Irrsinn heute nach einem Tag beenden, um die Nerven ihrer Filmstudioaktionäre zu schonen.
Die Bilder sind auch Zeugnisse einer merkwürdigen Form des Kolonialismus, denn um den Einfall der Amerikaner in Vietnam möglichst echt nachzustellen, fiel Coppola mit seinem Team auch relativ skrupellos über die Philippinen her, wenn natürlich auch nicht mit Waffengewalt. Ein mal komischer, mal ernster, auch melancholischer Bildband über Hybris und Wahn, die keine ganz ungefährlichen Weggefährten sind, aber eben durchaus auch mal große Kunst hervorbringen können.