Süddeutsche Zeitung

Antwort auf Alice Schwarzer:Warum wir gegen Buchhalter-Feminismus sind

Lesezeit: 4 min

Alice Schwarzer bekam den Ludwig-Börne-Preis - und warf in ihrer Dankesrede den "Neue deutsche Mädchen"-Autorinnen "Wellness-Feminismus" vor. Auf sueddeutsche.de antworten die Attackierten.

Jana Hensel und Elisabeth Raether

Als am Sonntag die Autorin Alice Schwarzer den Ludwig-Börne-Preis bekam, stichelte sie gegen eine "zweite, medial lancierte Girlie-Welle" auf dem Buchmarkt. Die "Emma"-Gründerin spottete über die "späten Mädchen und Propagandistinnen eines Wellness-Feminismus". Sie meinte damit auch Jana Hensel und Elisabeth Raether, die gerade ihr Buch "Neue deutsche Mädchen" veröffentlicht haben. Auf sueddeutsche.de antworten die beiden angegriffenen Autorinnen.

Harald Schmidt hat uns einen Satz geschenkt. Wir hätten es nie so schön sagen können wie er, und deshalb wiederholen wir diesen Satz hier noch einmal. In seiner Laudatio auf die Börne-Preisträgerin Alice Schwarzer vergleicht Harald Schmidt sie mit Franz Beckenbauer.

Wir haben ja nicht viel Ahnung von Fußball, aber Schmidt meint, mit Schwarzer sei es so ähnlich wie mit Kaiser Franz: "Wir werden nie vergessen, dass sie den Feminismus nach Deutschland geholt hat, aber aus dem Tagesgeschäft soll sie sich bitte raushalten."

Alice Schwarzer wiederum schenkt uns nichts. In ihrer Dankesrede greift sie uns an. Sie nennt uns "Girlies", die "zur Verluderung des Feminismus beitragen". Wir sind "Propagandistinnen eines Wellness-Feminismus", und kümmern uns ausschließlich um "Karriere und Männer".

Will sagen: Hensel, Raether, Thema verfehlt, setzen, sechs!

Offenbar interessiert es Alice Schwarzer so wenig wie den Rest der Welt, was junge Frauen zu sagen haben. Junge Frauen kommen heute öffentlich meistens als Körper vor oder als Gesichter, die einem aus dem Fernsehen, von der Kinoleinwand und von Plakaten stumm entgegenlächeln. Dieses Image werden Frauen auch nicht los, wenn sie doch mal etwas sagen wollen.

Alice Schwarzer erkennt nicht, dass sie dieses Klischee bedient, wenn sie uns Autorinnen mit den sogenannten Girlies der 90er Jahre vergleicht, jenen lächelnden Fernsehgesichtern Heike Makatsch und Enie van de Mejklokles, deren Job damals darin bestand, Musikvideos anzusagen. Wie selbstgerecht und autoritär tut Alice Schwarzer als "nichtssagend" ab, was Frauen zu sagen haben, die nicht leben wie sie.

Kompliziert, komplizierter

Unser Buch "Neue deutsche Mädchen" beschreibt in autobiographischen Essays das Lebensgefühl einer Generation junger Frauen. Einer Generation von Frauen, die so gut ausgebildet und selbstbewusst ist wie keine vor ihr - und die deshalb keine hauptberuflichen Feministinnen mehr braucht, die ihnen diktiert, wo es lang geht.

Die Wirklichkeit ist komplizierter, wir sind komplizierter, unser Buch ist komplizierter.

Als Alice Schwarzer so alt war wie wir heute, war die Gleichheit zwischen Mann und Frau noch ein fernes Ziel. Für uns ist sie längst selbstverständlicher Anspruch. Unser Buch handelt von Liebesaffären, weil für uns offene Formen des Zusammenlebens und unverbindliche Beziehungen normal sind.

Auf der nächsten Seite: Der Spagat zwischen Naivität und talkshowtauglicher Polterrhetorik.

Wir schreiben davon, dass wir uns im Beruf und im Privaten öfter als gewünscht männliche Rollenmuster angeeignet haben, dass wir die männliche Idee von Stärke und Erfolg unhinterfragt übernommen haben. Wir schreiben über die Unsicherheit von Frauen, und darüber, wie diese Unsicherheit häufig dazu führt, dass wir die Unsicherheit der Männer nicht zu erkennen imstande sind. Wir schreiben über unsere Mütter und davon, dass wir Scheidungskinder sind, eines aus Ost und eines aus West. Wir sind mit dem Scheitern der Familie in ihrer herkömmlichen Bauart groß geworden. Wir suchen nach neuen, tauglichen Formen, und deshalb kann Frauenpolitik für uns nur Familienpolitik sein.

Männer sind dabei unsere Partner, wir leben mit ihnen zusammen, wir lieben sie. Im Privaten begegnen wir ihnen längst auf Augenhöhe, im Büro jedoch stoßen wir an enge Grenzen. Hier sind Männer noch allzu oft unsere Gegner. Sie machen die Wirklichkeit - beinahe überall - noch unter sich aus. Statt von unseren""Vorzeigekarrieren" zu prahlen, sprechen wir darüber, wie wir an diese Grenzen gestoßen sind.

Und was soll daran jetzt Wellness sein?

Wahrscheinlich weiß Alice Schwarzer das selbst nicht so genau. Fest steht nur, dass es ein Anglizismus sein muss, der dieses in ihren Augen unseriöse Unterfangen benennt: Frauen, die ihre Stimme nicht brauchen, sprechen über sich.

Vorstoß in die Grauzonen

Doch unser weibliches Selbstbewusstsein ist so selbstverständlich, dass wir uns in Bereiche vorwagen, die der deutsche Buchhalter-Feminismus, der die Welt in Einnahmen und Ausgaben aufteilt, bisher ignoriert hat: die Grauzonen, die Überlagerungen, die Widersprüche, die eigentliche Herausforderung an Herz, Intelligenz und Moral. Wir trauen uns, nuanciert zu sprechen, da für uns gelebte Realität ist, was Alice Schwarzer noch als Errungenschaft ihrer Generation feiert: Frauen dürfen studieren! Frauen dürfen Karriere machen! Frauen dürfen sich scheiden lassen! Frauen dürfen abtreiben!

Während Alice Schwarzer in der Emma noch monatlich ihre Männerwitzchen reißt, in der Liebe zwischen Mann und Frau nichts als "Zwangsheterosexualität" sieht und in der Liebe zum eigenen Kind einen "Mütterwahn", versuchen wir eine zeitgemäße Sprache zu finden, um über Männer und Frauen, Kinder, Liebe und Sex zu reden.

Brav, naiv und anti-feministisch

Deshalb können wir auch davon schreiben, was der Feminismus immer verschwiegen hat. Der Feminismus, dessen Parole einmal lautete, das Private ist politisch, hat das, was uns privat beschäftigt, immer als banal abgetan. Er hat das Thema Liebe und Sex den Frauenzeitschriften und der Ratgeberliteratur überlassen. Wir schreiben darüber, dass einem die Sehnsüchte, die man im Leben so hat, zum Beispiel die, geliebt zu werden, oft im Weg stehen, eine aufrechte Feministin zu sein. Dass der Preis hoch war, den viele Frauen in der Generation Alice Schwarzers für ihre ökonomische Unabhängigkeit gezahlt haben - den Preis des Alleinseins, den Preis der Kinderlosigkeit. Dass wir diese Widersprüche erkennen und aushalten müssen.

Diese Einsichten werden als "brav", als "naiv", als "anti-feministisch" gelten, solange Feminismus noch gleichbedeutend ist mit Polterrhetorik, talkshowtauglichen Beschimpfungen und Ermahnungen.

Aber dass die Frauenbewegung sich für Uneindeutigkeiten und Zwischentöne nicht interessiert, ist natürlich auch keine neue Erkenntnis. Ingeborg Bachmann, Susan Sontag, Hannah Arendt, Joan Didion, allesamt Autorinnen und Schriftstellerinnen, die der Frauenbewegung ihrer jeweiligen Zeit kritisch gegenüberstanden, haben das bereits gewusst. Wir schreiben in dieser Tradition. Diese Tradition erlaubt es uns, heute nicht bei null anzufangen, sondern weiterzudenken und weiterzuschauen, weit über uns hinaus.

Jana Hensel und Elisabeth Raether haben vor kurzem ihr Buch "Neue deutsche Mädchen" veröffentlicht. Rowohlt Verlag Reinbek, 206 Seiten, 16,90 Euro.

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