Alben der Woche:"Wer dauernd kifft, wird zwangsläufig Neurechter"

Die "Antilopen Gang" liefert politische Positionierung mit Humor, die "Pet Shop Boys" Hedonismus mit Hirn und Bufiman ein käsiges Synthie-Revival mit tiefen Emotionen. Was es im Pop nicht alles gibt.

7 Bilder

Popkolumne 22.1.20

Quelle: Repro: SZ

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Die Pop-Debütantin der Woche heißt Tara Nome Doyle und kommt aus Berlin-Kreuzberg. Auf ihrem ersten Album "Alchemy" (Martin Hossbach) kostet die 22-jährige Songwriterin ihre Stimme auf eine Weise aus, wie man schon lange keine Sängerin mehr ihre Stimme hat auskosten hören. Der Produzent David Specht, sonst Bassist der Band Isolation Berlin, hat die Gitarren, Klaviere, Besen-Percussionen und Hall-Effekte ins absolut richtige Verhältnis gemischt. Und doch hört man auf diesem Album eben zuvorderst diese suchende Stimme, die oft erst aus dem Moment heraus zu entscheiden scheint, mit welchem Ton es weitergeht. Improvisation ist nicht der richtige Ausdruck. Eingebung? Eher. Nicht alle Melodien prägen sich ein. Aber "Neon Woods" und "Heathens" sind Ohrwürmer. In letzterem Stück thematisiert Tara Nome Doyle "die Leere und Verwirrung, die verlorener Glaube nach sich bringen kann". Spiritualismus aus der Generation der digital Aufgewachsenen - wer hätte das gedacht?

Jan Kedves

Pet Shop Boys - 'Hotspot'

Quelle: dpa

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Pet Shop Boys - "Hotspot" (x2 Recordings)

Das beste Pet-Shop-Boys-Album seit mindestens zehn Jahren, vielleicht sogar seit "Release" (2002), ist eine große Hymne an Berlin. Neil Tennant und Chris Lowe haben im Westen der Stadt seit einigen Jahren eine Wohnung - und auch wenn ihre Songs natürlich nie hundertprozentig autobiografisch zu hören sind, stellt man sich nun vor, wie sie auf "Hotspot" (x2 Recordings) unerkannt in der U1 sitzen, die nachts zum "party train" wird. Unterwegs vom Halleschen Tor zur Warschauer Straße macht Neil Tennant zwischen den Besoffenen den Schriftsteller Christopher Isherwood und einen von dessen Ex-Lovern aus - fertig ist der Eröffnungs-Hit "Will-O-The-Wisp". Mit quietschigem Party-Geböller und historischer Belesenheit bringt er zwei Pet-Shop-Boys-Qualitäten zusammen: Hedonismus und Schlauheit. Ähnlich ist es am Ende, bei der Hochzeitsparty im Berghain, für die das Duo Mendelssohn Bartholdys Hochzeitsmarsch durch den Stampbeatschredder jagt ("Wedding in Berlin"). Dazwischen: ein funky Disco-Bonbon ("Monkey Business"), ein Hit für die nach Berlin Geflüchteten ("Dreamland") und vor allem: herzige Balladen. "Only The Dark" und "Hoping For A Miracle" erinnern mit ihrem synthetisch-strahlenden Mittachtziger-Schnunkel-Sound an die Pop-Merkwürdigkeit Stéphanie von Monaco. Deren wunderbarer (und einziger) Hit hieß "Irresistible". Unwiderstehlich ist auch dieses Album.

Jan Kedves

Bufiman - Albumsi

Quelle: Dekmantel

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Bufiman - "Albumsi" (Dekmantel)

Gäbe es eine von einem deutschen Spät-Hippie gedrehte Dokumentation über die vermeintliche Wildnis ferner Kontinente circa 1992, ihr Soundtrack würde in etwa so klingen, wie die Musik auf dem "Albumsi" (Dekmantel) von Bufiman. Hinter dem Pseudonym versteckt sich der Düsseldorfer Jan Schulte, der mit seiner Musik schon lange auf entspannt unernste Art an die krautigen Weltmusikexperimente des 20. Jahrhunderts anknüpft, bei denen sich deutsche Studiokeller-Produzenten in Länder und Kulturen träumten, die sie größtenteils weder verstanden noch besucht hatten. "Welcome to the Galaxy" heißt es gleich im Opener, Galaxy wie "Galaxie" ausgesprochen. Laut dem weiteren Text besteht diese Galaxie aus "snare drum samples full of emotions". Heißt konkret: Schultes Sounds baut sich deutlich um die im heutigen Ohr gerade noch käsigen, aber durchaus revival-tauglichen japanischen Digital-Synthesizer der frühen Neunziger, inklusive künstlicher Panflöten und Orgel-Pads mit tonnenweise Chorus-Effekt. Und gerade wenn das Ganze vor lauter feiner Ironie soundtechnisch von der packenden Doku Richtung Messerset-Werbung abzudriften droht, kommen auch noch ein paar echte Club-Bretter um die Ecke - wie etwa das 13-minütige "Pantasy", dessen blubbernde Basspur im Festivalsommer 2019 bereits einige Bühnen zum Wackeln gebracht hat.

Quentin Lichtblau

Popkolumne 22.1.20

Quelle: Repro: SZ

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Phase Fatale - "Scanning Backwards" (Ostgut Ton)

Und wie läuft es mit der elektronischen Soundforschung für die Clubs? Da wird gebolzt. "Scanning Backwards" (Ostgut Ton) heißt das klanggewaltige Album, auf dem der in Berlin lebende, aus New York stammende Produzent Hayden Payne alias Phase Fatale jene Frequenzen feiert, die "den Körper so richtig penetrieren", wie er schreibt. Da wären: "Sägezahn- und Schlagbohrhammer"-Sounds. Oben, im Ohr, zermalmen sie die Trommelfelle, unten, an den Füßen, zersplittern sie beim Tanz die Fersenbeine. So heißt einer der Tracks: "Splintered Heels". Reifere Semester mögen sich an die "Electronic Body Music" belgischer Machart aus den Achtzigerjahren erinnern, wobei man genauso sagen könnte: Mit ihrem bedächtigen Tempo, das die Brutalität des Dräuens, Zischens und Schepperns erst so richtig zur Geltung bringt, klingen die Tracks, als könnten sie den Werbespot für einen hochentwickelten neuen E-Sportwagen untermalen (so richtig mit nächtlichem Zeitlupen-Rasen durch neonbeleuchtete Hochhausschluchten...). Kurz gesagt: Auf der Suche nach dem speziellen Körperkick geht diese Musik schon ziemlich weit.

Jan Kedves

Popkolumne 22.1.20

Quelle: Repro: SZ

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Auf Vinyl erscheint diese Woche das neue, bereits beklatschte Album "The Archer" (30th Century Records) von Alexandra Saviour. Die 24-jährige Sängerin aus Portland, Oregon wurde schon als Teenagerin hoch gehandelt, als sie nämlich 2012 ihre Coverversion des Angus-Stone-Songs "Big Jet Plane" auf Youtube lud und Courtney Love befand: "Die wird mal groß rauskommen!" Tut sie nun auch, mit Musik, die ein "feministisches Angst-Horrorfilm-Gefühl" vermitteln soll. Beispiel: In der Klavierballade "Soft Currents" singt Saviour davon, dass sie das Glück immer nur an den falschen Orten finde. Danach geht es mit staubigem Sixties-Wüstenrock weiter und einer Strophe, in der die Sängerin auf eine Löwin wartet, die sich dann gleich ein Festmahl an ihr reißen wird ("Saving Grace"). In "Can't Help Myself" kippt Saviour für die Länge dieses Songs in eine komische Lana-Del-Rey-Mimikry, sowohl stimmlich als auch mit der Textzeile "Sweet lips like pink lemonade". Da schreckt man kurz auf: Huch, bin ich im Stream verrutscht? Nö, alles gut. "The Archer" ist Konsensmusik, die aber gar nicht zu sehr nach Konsens klingt, und das macht sie angenehm. Um Google zu zitieren: "Dieses Album gefiel 100% der Nutzer".

Jan Kedves

Popkolumne 22.1.20

Quelle: Repro: SZ

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Antilopen Gang - "Abbruch, Abbruch" (JKP)

Seit ihrem Hit "Beate Zschäpe hört U2" gehört die Antilopen Gang zu den Großen im deutschen Pop. Aber so ein Hit kann auch ein Fluch sein. Noch dazu, wenn er so zielsicher und humorvoll ein politisches Gefühl zu Fassen bekam, nämlich das Angeekeltsein vom Rechtsruck in Deutschland parallel zu den Verhandlungstagen im NSU-Prozess. Kriegt man so etwas noch einmal hin? Das dritte Album heißt nun also "Abbruch, Abbruch" (JKP). Allgemein scheint es Koljah, Panik Panzer und Danger Dan um Ablehnung und Verneinung zu gehen. Der Song "Wünsch dir nix" ist ein verneintes Die-Toten-Hosen-Zitat: "Es kommt nie die Zeit, in der das Wünschen wieder hilft". Campino wird darüber nicht böse sein, die Antilopen Gang veröffentlicht ihre Musik ja auf dem Label der Toten Hosen. Ein neues "Beate Zschäpe hört U2" hört man nicht heraus. Aber lustig ist die Kiffer-Beschimpfung "Lied gegen Kiffer". Kiffen gehört im Rap ja eigentlich dazu, aber Antilopen Gang mögen es nun nicht mehr, weil es "müde und verfressen macht, und depressiv auch". Und: "Wer dauernd kifft, wird zwangsläufig Neurechter." Da ist sie wieder, die politische Positionierung mit Humor.

Jan Kedves

Antilopen Gang

Quelle: dpa

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"Es kommt nie die Zeit, in der das Wünschen wieder hilft", sagt die Antilopen Gang. Wer sich allerdings weitere Folgen der Alben der Woche wünscht, wird hier fündig.

© sz.de/biaz
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