Anthony Hopkins wird 80:Einer, der es mag, in Köpfe reinzugehen

Film Still from Red Dragon Anthony Hopkins © 2002 Universal Photo Credit Glen Wilson PUBLICATIONxIN

Gruseliger Menschenfreund: Anthony Hopkins in "Das Schweigen der Lämmer".

(Foto: Glen Wilson/Universal/imago)

Er war hochkultivierter Kannibale, gottgleicher Strippenzieher und einmal wurde er einfach nur weggesprengt: Heute wird der große Anthony Hopkins 80 Jahre alt.

Von Philipp Bovermann

Falls es eine Hölle speziell für Filmemacher geben sollte, ist man dort unten schon für wesentlich geringere Vergehen zu ewiger Pein verdammt worden als für das Verbrechen, Anthony Hopkins in einem Film über Auto-Roboter einfach wegzusprengen. "Das ist der härteste Teil meines Jobs", sagt die befreundete Kampfkarosse, die dem am Boden Liegenden zu Hilfe eilt, als sich der Rauch verzogen hat. Sie spricht ihn mit "My Lord" an. Na immerhin.

Hopkins selbst sieht das alles wesentlich weniger dramatisch. In einem Interview sagte er, über seine Rolle in Michael Bays Action-Gaudi "Transformers 5" habe er eigentlich nur gewusst, dass er einen exzentrischen englischen Lord spiele. Er habe eine famose Zeit beim Dreh gehabt, die Landschaften seien schön gewesen. Er habe seinen Text aufgesagt und sich aus Schwierigkeiten rausgehalten.

Mitten in einer Aufführung von "Macbeth" flüchtete er von der Bühne und verschwand

Bei Schauspielern von einem gewissen Kaliber an gehören solche nonchalanten Kirche-im-Dorf-Bekundungen natürlich zum guten Ton. Hopkins allerdings kam überhaupt erst zum Film, weil er mit Abgehobenheiten auf Kriegsfuß stand. Der Bäckerssohn spielte in London Theater, trank viel, war impulsiv. Ein Monster auf der Bühne, das sich nicht vor Shakespeare verneigen und sich am Kulturweihrauch berauschen wollte, sondern Jaguar fahren, so wie Richard Burton, der, wie er, aus Wales stammte. Er war ein schwer zu kontrollierender Einzelgänger. Im Jahr 1973 verließ Hopkins mitten in einer Aufführung von "Macbeth" am National Theatre in London die Bühne und verschwand nach Hollywood.

Viel später, genau genommen erst diesen Sommer, sprach er davon, dass bei ihm das Asperger-Syndrom diagnostiziert worden sei. Er gehe nicht zu Partys, sagte er der Daily Mail, er habe nicht viele Freunde. "Aber ich mag Menschen. Ich mag es, in ihre Köpfe reinzugehen."

Gruselig, oder? Man denkt dabei natürlich sofort an seine oscarprämierte Rolle als Hannibal Lecter in "Das Schweigen der Lämmer" (1991), mit der er die Duftmarke setzte, die seine Filmkarriere definierte: als hochintelligenter, kultivierter Kannibale hinter Gefängnis-Panzerglas, der am liebsten allein speist, auch wenn er "einen alten Freund zum Essen da" hat.

Jodie Foster als junge FBI-Anwärterin sollte ihm damals sein Wissen über einen frei herumlaufenden Serienkiller entlocken, aber ihr Gegenüber drehte den Spieß um und drang in ihre Psyche ein. Hopkins stand nosferatuhaft in seiner Zelle und blinzelte nicht, während er seine Fragen stellte. Die scharrende, sonore Sprechweise hatte er sich vom Killer-Computer HAL aus "2001: Odyssee im Weltraum" abgelauscht.

Jodie Foster sah, stellvertretend für den Zuschauer, den Film über so glaubhaft erschreckt aus, dass es Gerüchte gab, sie hätte sich am Set nicht getraut, mit Hopkins zu sprechen. Aber wer hätte das schon bei einem Menschen, der von sich selbst sagt, er möge es, in die Köpfe von Leuten "reinzugehen", sie zu "dekonstruieren, ihren Charakter auseinanderzunehmen"?

In der HBO-Serie "Westworld" spielt er einen allwissenden Strippenzieher mit Gott-Komplex

Vielleicht ist das Verhältnis von Schauspieler und Rolle bisweilen komplizierter, als wenn man entweder das eine mit dem anderen überblendet oder beide strikt voneinander trennt. Hopkins spielte zwei Jahre nach "Das Schweigen der Lämmer" eine weitere für ihn typische Rolle, nämlich die eines Butlers im Drama "Was vom Tage übrig blieb". Dieser verliebt sich in die Haushälterin, mit der er zusammenarbeitet, und sie sich in ihn, aber weil einem treuen Diener solche Sperenzchen nicht zustehen, unterdrückt er tapfer sämtliche Gefühle. Von denen zeigt Hopkins dann aber doch so viele, hinter der antrainierten Steifheit eine Lebendigkeit, auch einen bisweilen durchblitzenden Witz, dass in der Verhinderung ein wunderbar zärtlicher Liebesfilm entstand. Dabei ist die Rolle eines Butlers eigentlich undankbar, weil sie ja per se schon künstlich und scheinbar sattsam bekannt ist.

Genau dann, wie schon bei dem kultivierten Kannibalen und den später daran angelehnten Rollen, ist Hopkins auf seinem Gebiet: Wenn er jemanden spielt, der sich zusammenreißt - mit anderen Worten: wenn er schauspielerisch den Sublimierungsprozess anschaulich macht, aus dem alle Kunst entsteht, und auch alles Schauspiel. Unabhängig davon, was es da zu sublimieren gibt, die Liebe oder die Mordlust.

In seiner aktuellen Rolle in der HBO-Serie "Westworld", kratzt seine Figur hart am Klischee des allwissenden Strippenziehers mit Gott-Komplex. Das nicht zu versemmeln hätten wohl nicht viele Schauspieler vermocht. Hopkins aber versucht erst gar nicht, natürlich zu wirken. Er kriecht nicht wie Leonardo DiCaprio für "The Revenant" ganz real durch den Schlamm, er lässt sich nicht wie Bela Lugosi mit seinem Dracula-Kostüm beerdigen. Er spielt einen, der sich verstellt. Am Sonntag wird der große Verstellungskünstler Anthony Hopkins 80 Jahre alt.

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