Antarktis-Doku auf Arte:51 Tage ungewaschen

Frieren schweißt zusammen, aber der TV-Star ist die Landschaft. "Menschen im Eis" sind dagegen bibbernde Statisten. Arte bibbert mit.

Richard Fleming

Am internationalen Flughafen von Los Angeles trifft sich eine Gruppe von Antarktis-Veteranen zu ihrer diesjährigen Reise in den Süden. Während sie darauf warten, ihren Flieger nach Christchurch, Neuseeland, besteigen zu dürfen, umarmen die stämmigen, bärtigen Männer einander.

Film Menschen im Eis

51 Tage verbrachte das Filmteam von "Menschen im Eis" in der Antarktis - der letzten großen Wildnis.

(Foto: Foto: Richard Fleming)

Nur wenige Frauen sind dabei. Die meisten arbeiten für den großen Rüstungskonzern Raytheon. Sie sind Hausmeister, Schneepflugfahrer und Laborassistenten, Hilfskräfte, die für das USAP, das United States Antarctic Program, die McMurdo-Station betreiben.

Etwas beiseite stehen Anne Aghion und ihr Filmteam. Sie drehen "Ice People", einen Film, der einen Blick auf das Leben und Arbeiten in Antarktika werfen will. Vier Monate werden sie dort verbringen. All die bärtigen Männer rufen Erinnerungen wach an die glorreichen Zeiten der Polarexpeditionen. Aber McMurdo ist heute ein anderer Ort als jene raue Küste, die einst Roald Amundsen, Robert Scott und Ernest Shackelton vorfanden.

Scotts Hütte steht immer noch, genau gegenüber der McMurdo-Station, auf der anderen Seite einer kleinen Bucht. Vor der Tür findet man einen zurückgelassenen Stapel von hundert Jahre altem gefrorenen Seelöwenspeck.

McMurdo selbst ist zusammengewürfelt aus Wellblechhütten, Schlafsälen und aufeinandergestapelten Baumaterialien, mit der für das Militär charakteristischen Vernachlässigung jeder architektonischen Sensibilität. Die US-Navy baute Großteile der McMurdo-Station in den fünfziger und sechziger Jahren, das Ergebnis, so sagt es der Stationsleiter, "sieht aus wie ein Bergbaustädtchen in Alaska".

Die letzte große Wildnis

Dennoch ist es ein durch und durch magischer Moment, wenn man die Treppe des C-17-Transportflugzeugs herabsteigt und das Eis des Rossmeers betritt. Die Neuankömmlinge schauen aus ihren Snorkel-Parkas, kneifen sich in die Nase und starren auf die endlose Landschaft aus Schnee und eisbedeckten Bergen, dann werden sie von einem Geländebus eingesammelt, der sie in die warme Cafeteria bringt, zur ersten Besprechung.

Trotz einer Sauna, einer Bowlingbahn und des umgestalteten Offizierscasinos, das jetzt als Cappuccino-Wein-Bar für abendliches Beisammensitzen dient, trotz zahlloser Sicherheitsanweisungen und Power-Point-Präsentationen und Vorschriften: Es ist schier unmöglich zu vergessen, dass man sich an der Grenze zur letzten großen Wildnis dieses Planeten befindet: ein ungeheurer, erfrorener Kontinent, auf dem niemand lebt.

Die Einwohner, manche von ihnen haben Verträge für 14 Monate, die längste Zeit, die jemand "auf dem Eis" bleiben darf, laden Aghion und ihr Team ein in die Welt von McMurdo. McMurdo bildet eine enge Gemeinschaft, wie in jedem kleinen, entlegenen Dorf. Es ist ein Ort voller Gerüchte und inniger Freundschaften, an dem alle die einmalige Erfahrung teilen, auf diesem Kontinent zu sein.

In Interviews erwähnt die Stammbelegschaft das wieder und wieder. Fragt man Aghion, die bekannt wurde mit einem Film über das vom Völkermord erschütterte Ruanda (In Rwanda We Say...), ob sie einen roten Faden ausmachen könne, eine Gemeinsamkeit zwischen der Antarktis und einem Bergdorf in Afrika, sagt sie: Interessant sei für sie, wie Menschen mit extremen Situationen zurechtkommen.

Lesen Sie auf Seite 2 über das Morgenritual im ewigen Eis.

51 Tage ungewaschen

Die Erinnerungen an den Komfort von McMurdo schwinden schnell, sobald man vier Geologen im Hubschrauber auf dem Weg in ihr Feldlager begleitet. Irgendwann sind es nur noch zartblasse Bilder, die zurückbleiben. Die Geologen stammen aus Fargo in North Dakota, vom Rand der windgepeitschten Great Plains im Norden der Vereinigten Staaten, wo die Winter so hart werden können wie ein mittelschlechter Tag in McMurdo. Es kann sein, dass es nicht die Geologen, sondern Aghion und ihr Team sein werden, die hier lernen müssen, mit Extremen zurechtzukommen.

Die Arbeiten am Film kommen nur langsam voran. Morgens dauert es Stunden, bis man soweit ist. Die kegelförmigen Scott-Zelte, gelbe Zellstoff-Tipis, haben keinen Boden; so etwas wie Matsch gibt es bei diesen Temperaturen nicht.

Morgens ist es unvorstellbar, sich angesichts von Minus 40 Grad aus den Schlafsäcken zu schälen, ohne vorher tastend den Gasherd neben dem Feldbett angezündet zu haben, um wenigstens einen Hauch von Wärme in der Luft zu spüren. Die Expeditionsstiefel müssen über das Feuer gehalten werden, damit das Eis in ihnen schmilzt, das sich aus dem Schweiß vom vergangen Tag gebildet hat.

Die Crew versammelt sich im Kochzelt, um den Tag zu planen, sich ein warmes Frühstück zu machen und um Schnee zu Trinkwasser zu schmelzen. Keiner hat es eilig, raus zu gehen. Alle werden sich 51 Tage lang nicht waschen, denn alles "graue Wasser" und jeder menschliche Abfall muss mit dem Hubschrauber zurück nach McMurdo geflogen werden; die Geologen betreiben ein "trockenes Lager". Sieben Wochen lang nur Wischtücher mit Alkohol.

Die Landschaft ist der Star

Die Filmcrew überlebt trotzdem, das Leben auf dem eisigen Plateau wird fast zur Routine. Obwohl ein Hubschrauber hinter der McMurdo-Station bereitsteht, durchlebt das Team nicht wenige Situationen, in denen Not und Härte an die Tage der großen Entdecker denken lassen, die ihre Finger und Zehen hier zurückgelassen haben.

Jeder trinkt seine Suppe, stampft mit den Füßen und fragt sich, was die Geologen wohl heute tun werden. Wissenschaft, stellt sich heraus, kann eine Plackerei sein.

Wie viele Stunden Graben und Sieben kann man wohl filmen? Die langen, kalten Tage mit dem beständigen Polarlicht halten besondere Momente bereit, einmal finden die Forscher 15 Millionen Jahre altes, gefrorenes Moos, hin und wieder zeugen Fossilien davon, dass dieser Kontinent einmal wärmer gewesen sein muss.

Letztlich ist aber die Landschaft selbst der Star. Das mächtige Panorama aus Gletschern und Bergen unterstreicht, wie fragil und unwichtig die Stellung des Mensch in der Geschichte unseres Planeten ist.

Am Ende sind die Filmemacher und die Wissenschaftler zu einer Einheit verschmolzen. Bittersüß sind der Aufbruch und die Rückkehr nach McMurdo. "Wir haben gewettet, wie lange ihr es aushalten werdet", erzählt Professor Allan Ashworth der Regisseurin Anne Aghion. "Zwei Wochen, so lange haben wir euch gegeben, bis ihr den Hubschrauber anfunkt."

Richard Fleming war beim Dreh der Toningenieur. Im Oktober veröffentlichte er sein Buch "Walking to Guantanamo".

"Menschen im Eis", ARTE, 23 Uhr

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