Süddeutsche Zeitung

Anschlag in Manchester:Wie kann man Konzerte besser schützen?

Der Anschlag von Manchester zeigt, wie schwierig es ist, Großereignisse sicher zu machen. Veranstalter wollen künftig schon außerhalb des Geländes damit beginnen.

Von Ronen Steinke

Es geht schon länger nicht mehr unbeschwert zu, wenn in Europa große Menschenmengen auf engem Raum zusammenkommen. Die Enge, die Hitze, die Gemeinsamkeit, das sind eigentlich die Gründe, weshalb viele das Haus verlassen, um ein Konzert anzusehen. Andererseits, schon der Anschlag auf das Bataclan in Paris, wo die Eagles of Death Metal aufspielten, die Schießerei in einem Nachtclub in Orlando oder zuletzt zu Jahresbeginn in Istanbul haben Erinnerungen geprägt, die man schwer beiseitewischen kann.

In der Nacht auf Dienstag kam dann noch die Empörung hinzu: "Jeder hätte dort hineinspazieren können mit Dingen, die er in seiner Jacke versteckt", klagte eine Konzertbesucherin, die das Attentat auf die Arena in Manchester erlebt hatte, über Twitter. Draußen heulten noch die Sirenen der Krankenwagen, da stimmten im Netz schon viele in die Kritik mit ein.

Beim Konzert der Teenie-Popgruppe One Direction am selben Veranstaltungsort "haben sie einfach nur meine Tasche ein bisschen hin- und hergerüttelt, um zu fühlen, ob etwas drin ist", twitterte ein anderer. Bei Ariana Grande nun, der 23-jährigen Popsängerin, deren Konzert zum Ziel eines offenbar islamistisch motivierten Selbstmordattentäters wurde, klagte ein Dritter: "Nur eine Taschenkontrolle, keine Metallscanner, kein Körper-Abtasten". So liegt, neben all der Trauer, der Wut und dem stolzen Trotz nach der Bluttat auch die praktische Frage auf der Hand: Was, wenn überhaupt, hätte man tun können, um Derartiges zu verhindern?

Jede größere europäische Stadt hat heute eine Arena wie in Manchester mit 10 000 oder mehr Plätzen. Es finden täglich mindestens dreißig Konzerte dieses Formats in Europa statt. Die großen Musikstars sind fast dauernd auf Tournee, auch weil der Verkauf von CDs oder Stücken im Internet immer weniger einbringt. Hinzu kommen Veranstaltungen wie der Kirchentag in Berlin, der diesen Mittwoch beginnt. Eines der gefühlloseren Worte aus der Militärsprache heißt "weiches Ziel"; inzwischen schleicht es sich häufiger in die Sprache von Polizei-Strategen ein, die solche Großereignisse schützen sollen. Gemeint sind unbewaffnete Menschen, die zivile Dinge tun. Terroristen nehmen sie häufiger ins Visier als Staatsorgane.

Viel ist schon geschehen zur Verstärkung der Sicherheit, man übersieht es nur oft. Im Pariser Bataclan etwa mussten sich die Täter ihren Weg freischießen, um in den Zuschauerraum zu kommen, auch in Orlando und Istanbul stellten sich ihnen Wachleute mit Schusswaffen in den Weg, die Pariser Redaktion der Zeitschrift Charlie Hebdo war schwer gesichert, die jüdische Gemeinde in Kopenhagen, auf die im Februar 2015 ein 22-Jähriger feuerte, ebenso. So sehr wurden die Standards in den vergangenen Jahren bereits verschärft, meist ohne staatliche Vorgaben.

Der Attentäter in Manchester hatte es vermutlich nicht geschafft, ins Innere des Zuschauerraums zu gelangen, wo er womöglich noch viel mehr Konzertbesucher hätte töten oder verletzen können - das ist ein Erfolg der Sicherheitskontrollen, immerhin. Stattdessen war er aber auf den Eingangsbereich ausgewichen, wo gerade die ersten Leute ins Freie strömten.

Nicht nur in Konzerthallen, sondern auch in deren Umkreis wolle man "künftig Personal zur Beobachtung einsetzen", erklärte der Konzertveranstalter Marek Lieberberg, als vergangenen Sommer ein Islamist eine Bombe auf einem Stadtfest im bayerischen Ansbach zündete. Er denke an "Spotter und Profiler", deren Blick, sprich deren Misstrauen, noch weiter professionalisiert und geschärft werden solle, sagte er.

Das verweist auf das Problem, das selbst die beste Einlasskontrolle mit sich bringt. Schlägt der Angreifer nicht drinnen zu, dann vielleicht draußen - wo umso mehr Menschen in der Schlange stehen, weil sie auf ihre gründliche Taschenkontrolle warten.

Es ist praktisch unmöglich alle Orte, an denen sich Menschen versammeln, zu sichern

Unter Konzertveranstaltern gibt es deshalb Überlegungen, wie man Schlangen vermeiden könnte. Marek Lieberberg hat sich inzwischen offiziell zurückgezogen aus dem Geschäft, sein Sohn leitet das Deutschland-, Österreich- und Schweiz-Geschäft des weltgrößten Konzertveranstalters Live Nation. Am Tag nach dem Anschlag in Manchester aber meldet sich Lieberberg senior selbst zu Wort: "Die Fans können mithelfen, indem sie sich bei Konzert- oder Festivalbesuchen auf das Wesentliche beschränken und auf nicht unbedingt erforderliche Gegenstände, Utensilien und Behältnisse aller Art verzichten."

Eine Zeit lang gab es unter Konzertveranstaltern auch die Idee, die Ankunft der Besucher zeitlich zu staffeln. Wie beim Einsteigen in ein Flugzeug mit den Boarding-Gruppen A, B, C: Die Leute mit den billigsten Tickets müssten dann zum Beispiel als erste an den Veranstaltungsort kommen, um kontrolliert zu werden, die Leute mit den teuersten Tickets als letzte, kurz bevor es losgeht. Beim Konzertpublikum käme das wahrscheinlich nicht gut an, bislang wurde es als unpraktisch verworfen. In Israel leben die Menschen seit der Terrorwelle der 1990er-Jahre damit, dass vor jedem Einkaufszentrum ihre Taschen kontrolliert werden, bei der Einfahrt ins Parkhaus wird schon mal ein Blick in den Kofferraum geworfen, nur Schwangere müssen nicht ständig durch den Metalldetektor. Europa ist zwar noch weit entfernt von Verhältnissen, wie sie in Israel flächendeckend und auch in anderen vom Terror geplagten Ländern wie Ägypten oder Kenia stellenweise herrschen. Aber mit jedem weiteren Anschlag auf Konzertsäle, Bahnhöfe oder Fußgängerzonen ändert sich die Debatte ein wenig. Nachdem ein Islamist 2015 versucht hatte, in einem Schnellzug zwischen Frankreich und den Niederlanden ein Massaker anzurichten, wurde in Europa kurz über Zugangskontrollen an Bahnhöfen diskutiert, wie in Israel. Bevor dieser Einschnitt ins öffentliche Leben als unpraktisch verworfen wurde.

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SZ vom 24.05.2017/khil
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