Anonyme Postings:Sind Blogger gefährlich?

Nach dem Selbstmord eines Werbers ist die Debatte darüber entbrannt, ob ihn womöglich die anonyme Hetze einiger Blogs in den Tod getrieben hat. Derweil trennt sich der Gründer der Wikipedia von seiner Freundin - so öffentlich, dass der Kölner Rosenmontagszug dagegen ein Geheimbündlertreffen ist.

Bernd Graff

Ein Rosenkrieg im Internet. Nein, eher ein Rosengezänk. Doch weil es sich bei den Kombattanten um Stars des Netzes handelt und weil hier im Wortsinn schmutzigste Wäsche im öffentlichsten Medium der Welt gewaschen wird, darum zieht diese in schlechtem Stil ausgetragene Affäre sehr weite Kreise.

Jimmy Wales, genannt "Jimbo", ist Gründer der freien Web-Enzyklopädie Wikipedia. Rachel Marsden ist eine kanadische Journalistin, die 1997 während der "Simon Fraser University Harassment"-Kontroverse zu einiger Berühmtheit gelangte, als sie und ihr Schwimmlehrer sich wechselseitig sexuelle Belästigungen vorwarfen. Wales hat nun am Wochenende in einer Art Hausmitteilung die Trennung von Marsden bekanntgegeben: Die Weltpremiere eines Farewells via Wikipedia. Wales verwahrt sich darin gegen die Behauptung, bereits längere Zeit mit Marsden liiert gewesen zu sein. Vor allem aber wehrt er sich gegen den Vorwurf, ungebührlich Einfluss auf die Marsden-Biographie in deren Wikipedia-Eintrag genommen zu haben. "Mein Engagement in Fällen wie diesem", bilanziert er mit giftigem, doppeldeutigem Seitenhieb, "ist ausschließlich von Routine geprägt. Und ich bin stolz darauf."

Rache

Marsden sann noch am Wochenende auf Rache. Sie verfiel auf die Idee, Kleidungsstücke, die Wales bei ihr zurückgelassen hatte, über Ebay Canada (hier und hier) zu versteigern. Dazu verfasste sie einen Beschreibungstext, in dem sie sich selber als "Nun-Ex-Freundin" des Wikipedia-Gründers vorstellt, der seine Enzyklopädie dazu missbraucht habe, mit ihr Schluss zu machen. Darauf wolle sie nun "genauso klassisch" antworten. Außerdem habe sie Jimbos Kleidung zweimal gewaschen, damit sie sich nicht weiterhin als "Terror für mein Riechorgan" erweise.

Auch diese Gegenattacke bliebe noch im Rahmen des anscheinend heute Üblichen, wenn Rachel Marsden in ihrer Ebay-Offerte nicht ausdrücklich auf die Webseite des Gerüchtequarkbreittreters Valleywag verwiesen hätte. Dort wird unter der Rubrik "Die Summe allen menschlichen Wissens" inzwischen jeder Winkelzug der Wales-Marsden-Affäre genüsslich protokolliert. Valleywag ist ein Blog, das sich selbst "Silicon Valley's Tech Gossip Rag" nennt, also den Lumpensammler für das Gewäsch aus dem Silicon Valley. Ein weiterer Denunziantenstadl.

In der "Full Coverage" zur Causa Wales finden sich mittlerweile: Eine wutschnaubende "Goode-Bye"-E-Mail von Marsden an Jimbo, eingeleitet mit dem Valleywag-Satz: "Die Hölle kennt nicht solche Wut wie die einer verschmähten Frau". Dazu: Auskoppelungen aus privaten Chats rund um die Trennung. Außerdem: Gerüchte um Abrechnungs-Unstimmigkeiten und Beleg-Schlampereien, die Wales vor Gericht bringen würden, sollten sie sich je als wahr erweisen: Wikipedia bezieht einen Teil seines Glanzes daraus, ein Non-Profit-Unternehmen zu sein. Ferner: Vorwürfe, Wales habe Pornoseiten im Web betrieben. Als Bonustrack: Andere Frauen (abgebildet!), mit denen Wales angeblich Sex im vergangen Jahr hatte. Immer noch nicht genug? Dann lesen Sie die Ohrenbeichte eines angeblichen Tippgebers, der vernommen haben will, wie Wales und Marsden am Telefon stritten. Und schließlich ein Marsden-Zitat: "Jimmys Hand klebt am Drama-Knopf. Es ist, als ob man sich an einer Achterbahn festhalten müsste."

Das alles mag klebrig und unsympathisch sein. Doch es ist - die Unterschlagungsvorwürfe einmal ausgenommen - vor allem eines: Es ist privat, sollte nie veröffentlicht werden, wurde dennoch in aller Abfälligkeit ohne Autorenkennung veröffentlicht - ohne dass es irgendjemanden etwas anginge. Wirklich ekelhaft an all diesen Berichten ist also die Berichterstattung selbst.

Sind Blogger gefährlich?

Die möglichen Folgen einer solchen Ausleuchtung noch der intimsten Winkel der Privatsphäre debattiert nun der Journalist Michael Arrington in seinem Blog "TechCrunch": "Wann werden wir den ersten Valleywag-Selbstmord zu verzeichnen haben", fragt er nach der Wales-Marsden-Exhibition. Und gibt sich selbst die Antwort: "Es ist keine Frage mehr, ob es geschieht - nur noch, wann es eintritt." Auch Arringtons Beitrag wurde längst in die dampfende Gerüchte-Nährlösung des Valleywag eingerührt. Und sofort höhnisch kommentiert. Arrington wird als "fragile Seele" verunglimpft, die eben nicht verstanden habe, dass Valleywag nicht Wales' "großen Tod" suche, sondern seinen "kleinen" - hier verstanden als "La petite mort", eine Umschreibung für den Orgasmus.

Ungeachtet der inzwischen ebenfalls in Blogs geäußerten Vermutung, dass die Schlammschlacht in digitalem Cinemascope auch nur ein weiteres PR-Manöver von selbstverliebten Bewohnern des Silicon Valley sei, weil "sie es eben so mögen", ungeachtet also dieser Vermutung hat Arringtons Frage nach dem Selbstmord, in den die ungefilterte Hetze der anonymen Blog-Postings einen Verzweifelten treiben könne, zu Wochenbeginn an Verve gewonnen.

Ich liebe es

Die New York Times rollt in einem Bericht von Bob Tedeschi den Selbstmord Paul Tilleys noch einmal auf. Tilley, Führungsmitglied der Werbe-Agentur DDB in Chicago, die unter anderem für die McDonalds-Kampagne "Ich liebe es" verantwortlich zeichnet, hatte sich im Februar aus einem Hotelfenster gestürzt. Das sei nicht von ungefähr geschehen, mutmaßt die Times und überlegt, ob ihn die offenen Beleidigungen aus anonymen, offensiv gegen Tilley gerichteten Blogs in den Tod getrieben haben könnten. So seien in zwei Fach-Blogs, die Tilley heftig angefeindet hätten, kurz nach dessen Selbstmord Einträge erschienen, die offen Schuldzuweisung betrieben: "Ihr solltet euch alle schämen! Ihr habt zu seinem Tod beigetragen." "Ja nun", räumt der Betreiber eines der beiden in den Fokus geratenen Blogs, AdScam, ein: "die Atmosphäre hier ist schon ein bisschen säurehaltiger", doch, so fügt er kaltschnäuzig hinzu, so seien nunmal die Bedingungen in diesem Geschäft.

Ganz anders sieht das die New Yorker Werbe-Kollegin Nina DiSea in ihrem Video-Beitrag: "Sind Blogger gefährlich", der gerade von der anderen, nun inkriminierten Blogseite AgencySpy gezeigt wird. "Ich denke, Blogs können jemandem wirklich Schaden zufügen," äußert sie darin, "wenn sie gemein, brutal und vor allem anonym über Andere berichten." AgencySpy galt als eine der schärfsten Tilley-Kritikerseiten, die ihre anonymen Insider-Postings bis heute damit rechtfertigt, dass eben nur in der Anonymität wahrhaft und auf Augenhöhe über die so "säurehaltige" Werbe-Branche und ihre Verfehlungen berichtet werden könne. Dieses Blog versuche doch nur "den Vorhang vor den inneren Vorgängen einer Branche zu lüften, die sehr lange in einem Schrank versteckt waren."

Gleichwohl räumt der Betreiber von AgencySpy gegenüber der Times nun ein, dass persönlich beleidigende und vernichtende Beiträge eigentlich nicht länger anonym erfolgen dürften. Die Times zitiert dazu auch einen Psychologen der Universität von Pennsylvania, der festhält, dass die Online-Beschimpfungen, anders als alle anderen Formen der öffentlichen Beleidigungen, womöglich niemals verschwinden und in allerschönster Ewigkeit die digitale Runde zu machen. Das Netz vergisst eben nichts.

"Viele Menschen da draußen wollen zwar ihre Namen nicht unter die furchtbaren Dinge setzen, die sie über andere Menschen in Umlauf bringen", hat Nina DiSesa in ihrem Videobeitrag formuliert. "Doch wenn jemand nicht dem Mumm hat, seinen Namen unter einen Kommentar zu setzen, dann sollte er auch nicht die öffentliche Plattform erhalten, sich so destruktiv über andere zu äußern."

Eine Selbstverständlichkeit und ein wirksames Mittel gegen schlechten Stil, sollte man meinen. Doch auf AgencySpy ist der (anonyme) Kommentar zu diesem Statement immer noch mit einem ignoranten "Nina DiSesa hasst dich, mich und alle, die Blogs mögen" überschrieben.

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