Deutscher Buchpreis für Anne Weber:Ein Alleingang in freien Versen

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Anne Weber lebt in Frankreich und verfasst ihre Bücher mal auf Deutsch, mal auf Französisch. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Anne Weber erhält für ihr Werk "Annette, ein Heldinnenepos" den Deutschen Buchpreis - und dankt im Frankfurter Römer vor allem dem Vorbild ihrer literarischen Figur.

Von Marie Schmidt

Den Deutschen Buchpreis des Ausnahmejahres 2020 hat am Montagabend d ie in Frankreich lebende deutsche Schriftstellerin Anne Weber für ihren Versroman "Annette, ein Heldinnenepos" (Matthes & Seitz) bekommen. Die Preisverleihung, normalerweise der vor neugierigen, tratschlustigen Buchmenschen brummende Auftakt einer Messewoche, war in diesem Jahr für die meisten Menschen nur im Videostream zu sehen. Unbehaglich saßen nur die wichtigsten Protagonisten vereinzelt in der Weite des Kaisersaals im Frankfurter Römer.

Ihre Unsicherheit wurde unbarmherzig von allen Seiten gefilmt. Sich schützend um Autorinnen und Autoren drängende Freunde und Verlagsleute waren diesmal eben nicht erlaubt. Die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, der den Preis vergibt, Katrin Schmidt-Friderichs, und die Frankfurter Kulturdezernentin Ina Hartwig versicherten sich heftig der Bedeutung der Literatur und der Literaturkritik in schweren Zeiten. Was sonst hätte man in dieser Lage sagen können? Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass die meisten gesellschaftlichen Ereignisse nicht recht am Leben zu erhalten sind, auch wenn man ihr Gerippe aufrecht erhält, wäre der mit dieser Preisverleihung nach Hygienestandards erbracht.

Die Wahl der Jury war indes glücklicherweise auf einen Roman gefallen, der eigenwillig genug ist, um diesen Bedingungen zu trotzen. Er erzählt die tatsächliche Lebensgeschichte der Anne Beaumanoir, die heute bald hundertjährig in Frankreich lebt. 1923 in der Bretagne geboren, gehörte sie während der deutschen Besatzung der Résistance an und rettete drei jüdischen Kindern das Leben. In einem Alleingang, der gegen die Regeln der Résistance verstieß, wie Anne Weber in ihrer Dankesrede betonte. Sie dankte darin selbstverständlich vor allem dem Vorbild ihrer literarischen Figur. Während des Algerienkrieges schloss sich Beaumanoir, aus einem inzwischen bürgerlichen Leben als Ärztin und Mutter heraus, der Befreiungsfront FLN an, wurde verhaftet, zu zehn Jahren Haft verurteilt, floh und gehörte später der ersten unabhängigen Regierung Algeriens an.

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In ein "Heldinnenepos" hat Anne Weber diese Lebensgeschichte verwandelt, eine Hagiografie solle ihr Buch aber nicht sein, sagte sie. Ein Roman, sei ihr aber auch nicht als die richtige Form für diesen Stoff erschienen. Sie habe sich etwa gescheut, einer solchen Frau Worte in den Mund zu legen, wie es das Genre mit seinen Szenen und Dialogen verlangt. Da sei ihr die traditionsreiche Form für das Besingen wagemutiger Taten eingefallen.

Also hat sie Beaumanoirs Geschichte als Epos in rhythmisch freien Versen erzählt. Ihre Erzählerstimme hält dabei respektvoll Abstand zu ihrer Protagonistin. So erliegt sie auch nicht der Versuchung, mit dem Hochmut einer Nachgeborenen über das historische Geschehen zu urteilen: "Dank unseres Wissens über das, was/ längst vergangen ist, aber für Damalige noch in der Zukunft liegt, glauben wir uns befähigt mitzureden,/ den Kopf zu schütteln, anzuprangern. Für den, der/ mittendrin ist, liegen die Wege allesamt im Nebel."

© SZ vom 13.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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