USA:Schauspielerin Anne Heche für hirntot erklärt

USA: Anne Heche beim Breeders Cup Rennen 2021 auf der Del Mar Racetrack.

Anne Heche beim Breeders Cup Rennen 2021 auf der Del Mar Racetrack.

(Foto: Kay Blake/dpa)

Nach einer traumatischen Kindheit schaffte sie es in Hollywood ganz nach oben - und wurde dann wegen ihres Liebeslebens fallen gelassen. Jetzt ist die 53-Jährige an den Folgen eines Autounfalls gestorben.

Von David Steinitz

Kino und Fernsehen galten in Anne Heches Kindheit als Werkzeuge des Teufels. Die Schauspielerin wuchs als Tochter fundamentalistischer Christen auf, und die Eltern hatten radikale Erziehungsmethoden. Zum Beispiel wurden Heche und ihre drei Geschwister mit einem Holzlöffel geschlagen, wenn sie über "unangenehme Dinge" sprachen - und unangenehm war aus Sicht der Eltern so ziemlich alles im Leben. Die Kinder lernten zu sagen: "Es gibt vier Kinder in unserer Familie und eine Schwester, die gestorben und im Himmel bei Jesus ist." Fragen nach dem Tod der Schwester bedeuteten: Schläge mit dem Holzlöffel. Selbst Bücher waren im Haushalt Heche verpönt, lediglich das Rezitieren von Bibelversen wurde als adäquate Freizeitbeschäftigung akzeptiert.

Heche hat diese Kindheit in ihrer Autobiografie "Call Me Crazy", die sie mit Anfang dreißig verfasste, ausführlich und brutal beschrieben. Der Holzlöffel war dabei noch das kleinste Problem. Ihr Vater Donald habe sie die ganze Kindheit hindurch bis zu ihrem zwölften Lebensjahr sexuell missbraucht, sagt Heche. Die Mutter Nancy wollte das nicht wahrhaben, ließ den Frust an der Tochter aus. Sie habe sich wiederholt darüber beschwert, dass Anne als Kleinkind so schwierig zu wickeln gewesen sei, weil ihr Intimbereich ständig wund gewesen sei. Der Vater führte außerdem ein Doppelleben: Er, der strenge Christ, war heimlich schwul - und starb 1983 an den Folgen von Aids. Anne, damals noch ein Teenager, fürchtete lange, sich bei ihm angesteckt zu haben.

Als erwachsene Frau habe sie nach Jahren der Therapie ihre Mutter nochmals mit dem Missbrauch konfrontiert, erzählte Heche später der New York Times. Diese habe daraufhin nur gesagt: "Jesus liebt dich, Anne" - und dann aufgelegt. Die Mutter gründete nach dem Tod des Vaters eine Selbsthilfegruppe, um anderen "Betroffenen" zu helfen, ihre Homosexualität zu "überwinden".

Nachdem sie sich als lesbisch geoutet hatte, kamen plötzlich keine großen Rollenangebote mehr

Eine Fluchtmöglichkeit in diesen Jahren waren das Schultheater in Heches High School in New Jersey und andere kleine Laienauftritte. Sie war bereits als Jugendliche so gut, dass sie dadurch erste Fernsehangebote bekam, die sie aber alle ablehnte, bis sie 1987 ihren Abschluss hatte. Danach spielte sie vier Jahre lang in der Soap "Another World" mit - ihr Einstieg ins Hollywoodgeschäft.

Es folgten nach und nach größere Kinorollen, zum Beispiel mit Johnny Depp in "Donnie Brasco", mit Robert De Niro in "Wag the Dog" und mit Harrison Ford in "Sechs Tage, sieben Nächte". Heche wurde zu einem Star der Neunzigerjahre. Sie war blond und blauäugig wie so viele andere Frauen in Hollywood auch, auf den ersten Blick ein Leinwand-Prototyp ihrer Zeit. Aber sie brachte eine Selbstironie und auch eine gewisse Doppelbödigkeit mit auf die Leinwand, die den meisten anderen Kolleginnen fehlte. Sie war ein Gesicht, das man sich sofort merkte.

USA: Anne Heche wurde zu einem der großen Gesichter des Hollywoodkinos der Neunzigerjahre. Hier mit Harrison Ford in der Komödie "Sechs Tage, sieben Nächte" (1998).

Anne Heche wurde zu einem der großen Gesichter des Hollywoodkinos der Neunzigerjahre. Hier mit Harrison Ford in der Komödie "Sechs Tage, sieben Nächte" (1998).

(Foto: dpa)

Ein besonders gewagtes Projekt ergab sich 1998: Da engagierte der Regisseur Gus Van Sant sie für ein Remake von Alfred Hitchcocks "Psycho". Wobei Remake eigentlich ein zu schwacher Ausdruck ist. Es war mehr eine Hommage, ein Experiment, denn Van Sant drehte den Schwarz-Weiß-Klassiker fast Einstellung für Einstellung originalgetreu nach, nur mit anderen Darstellern und in Farbe. Heche spielte die Hauptrolle der Marion Crane, die unter der Dusche ermordet wird, auf den Spuren ihrer großen Vorgängerin Janet Leigh.

Die Familiengeschichte begleite sie in diesen Jahren natürlich weiterhin, und sie entwickelte sich weiter tragisch. Ihr Bruder Nathan starb nur ein paar Monate nach dem Vater unter ungeklärten Umständen bei einem Autounfall. Ihre ältere Schwester Susan schrieb Mitte der Neunzigerjahre selbst ein Buch über den Vater und sein Doppelleben, sie starb 2006 an einem Hirntumor.

Zu den privaten Problemen kamen berufliche. 1997 hatte Anne Heche sich auf einer Oscarparty der Zeitschrift Vanity Fair in die Komikerin und Moderatorin Ellen DeGeneres verliebt. Zuvor war sie mit Männern liiert gewesen, unter anderem mit ihrem Schauspielkollegen Steve Martin. Nun wurden sie und DeGeneres das berühmteste lesbische Paar Amerikas - mit Folgen für Heches Karriere. Sie bekam kaum noch große Angebote für Kinorollen. Anscheinend wollten die Hollywoodbosse keine homosexuelle Frau in ihren damals noch strikt heterosexuellen Blockbustern sehen. Heche spielte daraufhin wieder viel Fernsehen, unter anderem in den Serien "Ally McBeal" und "Nip/Tuck".

USA: Sie wurden zum berühmtesten lesbischen Paar Amerikas: Ellen DeGeneres und Anne Heche bei einer Filmpremiere 1998.

Sie wurden zum berühmtesten lesbischen Paar Amerikas: Ellen DeGeneres und Anne Heche bei einer Filmpremiere 1998.

(Foto: Hector Mata/AFP)

Nach ungefähr drei Jahren kam es zur Trennung von DeGeneres, und Heche erlitt einen psychischen Zusammenbruch. Sie tauchte in der Nähe von Fresno in Kalifornien auf, nur in BH und Shorts bekleidet, klopfte an der nächstbesten Tür und fragte, ob sie kurz duschen dürfe, bevor sie mit einem Raumschiff die Erde verlasse.

So, wie sie aus den Traumata ihrer Kindheit nie ein Geheimnis gemacht hat, ging sie auch mit dieser Psychose offen um. Sie berichtete im Nachhinein, dass sie über Jahre hinweg eine zweite Persönlichkeit namens Celestia entwickelt habe. Laut ihrer Selbstdiagnose sei Celestia aufgetaucht, nachdem ihre Mutter den Missbrauch durch den Vater selbst nach wiederholter Konfrontation nicht zugeben wollte: "In diesem Moment habe ich mich von mir selbst abgespalten."

Nur ein paar Tage nach der Geburt ihres Sohnes stand sie schon wieder vor der Kamera

Heche erholte sich auch von diesem Vorfall, zumindest wirkte es so nach außen hin. Sie bekam zwei Söhne, einen mit dem Kameramann Coley Laffoon, geboren 2002, und einen mit dem Schauspieler James Tupper, geboren 2009. Nur die Kinoangebote blieben weiterhin aus, zumindest die großen. Ab und an spielte sie in kleineren Indie-Filmen wie der sehr schönen Tragikomödie "Willkommen in Cedar Rapids" mit; ansonsten weiterhin im Fernsehen, zum Beispiel in der Sci-Fi-Serie "Aftermath". Auch am Broadway trat sie gelegentlich auf. Die Arbeit war eine Ablenkung, die sie fast schon süchtig gemacht haben muss: Für die HBO-Comedy-Serie "Hung" stand sie 2009 nur eine knappe Woche nach der Geburt ihres zweiten Sohnes wieder am Set. Zuletzt drehte sie unter anderem den Fernsehfilm "Girl in Room 13", der laut dem Sender Lifetime ein Herzensprojekt von ihr gewesen und im September ausgestrahlt werden soll.

Am 5. August hatte Heche einen schweren Autounfall in Los Angeles. Zunächst soll sie eine Garagenwand gerammt und dann mit ihrem Wagen in ein Haus gefahren sein, was ein Feuer verursachte. Laut mehreren Medienberichten ermittelt die Polizei wegen des Verdachts auf Fahren unter Drogeneinfluss. In Ihrem Blut sollen Spuren von Kokain und Schmerzmitteln gefunden worden sein. Kurz nach dem Unfall fiel sie ins Koma. Laut einem Sprecher erlitt sie schwere Verletzungen am Kopf und an der Lunge sowie Verbrennungen.

Am 12. August ist Anne Heche nach Angaben ihrer Familie im Alter von 53 Jahren im West-Hills-Krankenhaus in Los Angeles gestorben. Demnach ist bei ihr der Hirntod eingetreten, nach den Gesetzen in Kalifornien gilt ein Mensch damit als tot. Heche sei aber weiter an Apparate angeschlossen, um eine Organspende vornehmen zu können.

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