Saisoneröffnung der Mailänder Scala:Königin der Herzen

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Anna Netrebko ist zurück auf der Bühne. Wie die Sopranistin in Giuseppe Verdis Intrigen-Oper "Macbeth" an der Mailänder Scala begeistert.

Von Helmut Mauró

Es ist das Opernereignis des Jahres und strahlt weit über Mailand und Italien hinaus: Die Saisoneröffnung der Mailänder Scala, des berühmtesten Opernhauses der Welt, fand wie immer unter großem Trommelwirbel statt, Staatspräsident inklusive. Die Aufmerksamkeit dürfte dieses Mal sogar noch etwas größer ausfallen als sonst. Schließlich war es coronabedingt die erste Eröffnung seit zwei Jahren und außerdem noch die Premiere für den neuen Intendanten Dominique Meyer, vormals Wiener Staatsoper. Zur Besetzung des gesellschaftlichen Rahmenprogramms gehören auch immer die wütenden Demonstranten, deren Empörung über so viel Glanz und Feierlaune von Hundertschaften aber dieses Jahr an ziemlich gelassen herumstehenden Polizisten aufgefangen wurde. Aber auch im Saal drangen durch den dichten Applausvorhang ein paar schüchterne Buhs hinauf zur Präsidentenloge. Was nicht weiter erstaunte, im Gegenteil. Politiker und Opernregisseure sollten sich dann Sorgen machen, wenn die Buhs ausbleiben.

Buhs für Netrebko: An der Scala müssen sich auch die Größten ihren Applaus erst einmal verdienen

Für Sängerinnen trifft das normalerweise nicht zu, aber auch in dieser Hinsicht ticken die Uhren in Mailand anders. Die weltgrößte Sopranistin Anna Netrebko musste anfangs ebenfalls Zwischenbuhs zum Zwischenapplaus einstecken. Künstlerische Gründe dafür gab es nicht, es schien eher darum zu gehen, dass sich an der Scala auch die Größten ihren Applaus erst einmal verdienen müssen. Das ging schon Maria Callas so, aber wofür sie Jahre brauchte, schaffte Anna Netrebko an einem Abend. Andernorts hätte allein die Ankündigung, Netrebko - vor vier Wochen musste sie noch eine Premiere in Wien absagen wegen einer Schulteroperation - singt die Lady Macbeth in der Intrigen-Oper "Macbeth" von Giuseppe Verdi, Freudenstürme ausgelöst. An der Scala begegnete man ihr dagegen erst einmal reserviert bis unterkühlt, vom Garderobenpersonal tönten während ihrer Arien angeregte Unterhaltungen in den Saal, und es dauerte bis nach der Pause, bis sich Neugier und schließlich Begeisterung breit machte.

Vielleicht half dabei auch das packende Bühnendrama selbst, in dem, nah am Shakespearschen Original, die Familienschlachten um den Königsthron so blutrünstig ausgetragen werden, wie das kaum eine der zahlreichen bluttriefenden Netz-Serien hinbekommt. Regisseur Davide Livermore steckte das Drama in eine ästhetisch versöhnliche Hochglanzinszenierung, die dem Stück mehr als gerecht wurde. Mit räumlich aufgespreizten Videoprojektionen, in bühnenhohen Spiegelwänden gebrochen und multipliziert, brachte er ein miefig-bräunliches Schlossinnere mit metallisch glänzenden Großstadtbildern zusammen, wo die heutigen Intrigen und Königsmorde stattfinden: hinter glanzvollen Fassaden, gebündet in Großstadtansichen und bestens eingeleuchtet im Morgenlicht, oft mittig gespiegelt, sodass die Hälfte der Welt schon mal kopfsteht. Das war plakativ und abwechslungsreich unterhaltend, aber vielleicht doch ein bisschen zu harmlos angesichts der Vater- und Kindsmorde, die quasi im Akkord über die Bühne gingen. Auch wenn es Theater ist, zuckt man kurz zusammen, wenn ein etwa zehnjähriger Knirps das Schwert im Hals des Vaters versenkt.

Zwischendrin und völlig unbeeindruckt von der Dezimierung des Familienstandes: Anna Netrebko als kühl kalkulierende Lady Macbeth, die ihren Ehemann (brillant: Luca Salsi) trösten muss, als diesen die Geister der Vergangenheit einholen. Überhaupt bestimmen Geister und Hexen, Wahrsagerinnen und Dämonen die Szene. Verdi hat dazu teils munteres rossinihaftes Geplänkel, teils martialische Ballettmusik geschrieben, und manchmal klingt auch Richard Wagner herüber. Daniel Ezralow hat die Tanztruppe des Hauses dabei zu ausgreifenden Choreografien inspiriert. Nur waren die Chor-Choreografien wie immer ein bisschen peinlich. Choristinnen im mütterlichen Alter sind halt keine Schlangenmenschen, so sehr sie auch Arme werfen und Rümpfe beugen.

Macbeth, der vom General des schottischen Heeres am Ende zum König aufsteigt, kann anfangs sein Glück kaum fassen - die Hexen hatten es ihm prophezeit - und am Ende dieses doch nicht verkraften. Man ist beinahe erleichtert, als Macbeth am Ende vom Gegenspieler Macduff vor großartiger zeitlupenhaft gezähmter Explosionskulisse erschlagen wird. Heer und Volk huldigen dem neuen König, das geht ja immer sehr schnell, und so sind eigentlich alle glücklich. Nur eine nicht: Lady Macbeth, die so viel dafür getan hat, dass ihr Mann König wird, oder besser dafür, dass sie Königin wird.

Netrebko ist die ideale Besetzung, und am Ende werden aus den Buhrufen "Bravas"

Gleich nach der Prophezeiung der Hexen über den sagenhaften Aufstieg ihres Mannes hat sie nichts anderes mehr im Sinn, als diese Prophezeiung Realität werden zu lassen. Sie vertraut nicht so ganz den himmlischen und höllischen Mächten, sie nimmt die Vorhersage eher als eine ganz gute Idee, die es nun umzusetzen gilt. Wenn ihr Mann König werden soll, muss der derzeit regierende verschwinden, sprich umgebracht werden. Dies ist selbstverständlich die Aufgabe des Gatten. Wofür ist er Soldat? In der Kavatine, einem elegischen Andantino, zeigte Anna Netrebko vor allem eines: Dass hinter dem Kalkül der Lady Macbeth ein tief emotional verwurzelter Machthunger steckt, den sie selber gar nicht kontrollieren kann, so kühl sie auch wirkt. Es ist mehr als nur Ehrgeiz, es ist die Machtsucht, die sich nach außen als ungehemmte Grausamkeit und Größenwahn zeigt.

Netrebko ist dafür eine ideale Besetzung. Sie trifft den passenden Ausdruck genauer als andere, lebt musikalisch und auch schauspielerisch in der Partie, beherrscht blitzartige Farbwechsel, die immer aus der Rolle heraus begründet sind und oft mit einem Perspektivwechsel im Denken der Figur einhergehen. Selbst in den extremsten Lagen wirkte das unglaublich mühelos, natürlich, vielfarbig abgestimmt, stimmschön - meisterlicher Belcanto. Das zeichnet Netrebko aus, und das goutierte am Ende auch das Mailänder Publikum. Aus Buh wurde "Brava", und der anfänglich reserviert plätschernde Zwischenapplaus wuchs zu Wogen der Begeisterung.

Auch die übrigen Sänger wurden gefeiert, und allemal zu Recht. Luca Salsi als Macbeth brillierte von Anfang an als stimmgewaltiger, gleichwohl intelligent flexibler Bariton, Francesco Meli hatte als Macduff nach der Pause noch einen großartigen Heldentenor-Auftritt, auch wenn er die Zieltöne gerne ein bisschen anschleift. Ildar Abdrazakov als Banco überzeugte ebenfalls, obwohl sein Bass nicht ganz nach unten reicht. Aber das wäre alles nichts, oder noch immer zu wenig, hielte nicht Chefdirigent Riccardo Chailly alles zusammen. Und wie elegant und perfekt diesmal das Orchestra del Teatro alla Scala klang, und auch der Chor, der bei Verdi immer bedeutende Partien hat, keineswegs nur Unisono-Stadiongesänge wie im Gefangenenchor aus "Nabucco". In "Macbeth" ist es eine Art kleiner Gefangenenchor der unterdrückten Schotten. Regisseur Livermore hat dafür auch ein großes Gitter heruntergelassen. Auf diesen Regisseur ist Verlass. Und die Netrebko? Auf der Bühne geschlagen, in den Herzen der Opernfreunde unbesiegt.

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