Anna Netrebko:"Ich singe nicht, wenn ich putze"

Die Opernwelt liegt ihr zu Füßen, doch sie will keine Diva sein. Und so zeigt sich die russische Sopranistin im Interview denn auch ganz pragmatisch. Von Kristin Rübesamen

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Frau Netrebko. Wie Sie vielleicht wissen, hat die Süddeutsche Zeitung, für die wir uns jetzt unterhalten, schon viele Male über Ihre Stimme geschrieben. Weshalb wir uns heute über etwas anderes unterhalten könnten.

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(Foto: Foto: ddp)

Was?

Ihre wunderschöne grüne Handtasche zum Beispiel, die habe ich schon im Heute-Journal gesehen, als Sie gerade in ein Flugzeug einstiegen.

Die ist von Pollini.

Das ist übrigens mein Wasser, aber Sie können es gerne trinken.

Das war Ihres, tut mir fürchterlich leid.

Keine Sorge, ich bin nicht erkältet.

Das wäre mir egal. Ich habe keine Angst.

"Ich singe nicht, wenn ich putze"

Sie erregen neben Ihrer Stimme durch Schönheit und Anmut Aufsehen - Sie wissen schon, "Hier singt Venus". Schicken Ihnen Designer bereits Kleider nach Hause?

Nicht so. Oder warten Sie, stimmt gar nicht. Escada schickt mir Kleider und schöne Schuhe für die Aufführungen.

Und die müssen Sie hinterher zurückschicken?

Ja, bis auf zwei super Handtaschen, die durfte ich behalten.

Was tragen Sie heute außer Ihrer Handtasche?

Nichts. Etwas Warmes. Irgendwas.

Das war's?

Ach, ganz vergessen, ich habe eine Rolex. Ich habe einen Vertrag mit Rolex.

Und die da an Ihrem Handgelenk, was ist das für eine Uhr?

Das ist einfach nur meine normale Uhr.

Trotzdem komisch, dass Ihnen Designer nichts schicken, so wie sie es bei Chloé Sevigny und all den anderen Stars tun. Sie könnten jetzt die Gelegenheit ergreifen und Ihre Lieblingsdesigner bitten.

Nein, danke. Außerdem bin ich kein großer Star.

Doch.

Kein Filmstar.

Chloé Sevigny dreht auch kaum noch Filme. Sie dagegen machen gerade eine unglaubliche Karriere als Sopranistin und werden, auch wenn Sie es nicht mögen, die "neue Callas" genannt.

Unsinn, ich bin Gott sei Dank nicht so berühmt.

Gott sei Dank? Wann sind Sie heute früh aufgewacht?

Um zehn.

So, wie man sich das vorstellt, in einem Meer von Blumensträußen, Liebesbriefen, Champagner und Pralinés?

Das passiert schon manchmal.

Ist das schön!

Natürlich.

Lesen Sie alle Briefe, die Sie bekommen? Und gibt es die berühmten Waschkörbe voller Post wirklich?

Naja. Viele kann ich nicht verstehen, weil sie auf Deutsch sind, und viele sind so komisch, dass sie keiner verstehen könnte.

Vielleicht, weil die Absender oft verwirrte, unglücklich verliebte Männer sind.

Danke. Ich nehme an, sie sind einfach nur nett gemeint.

Ihr Vater war Geologe, Ihre Mutter Ingenieurin. Ihr Gesangsstudium am Konservatorium in St. Petersburg haben Sie sich durch Putzen verdient. Hier also die obligate Frage zum Märchen von der Putzfrau zur Primadonna: Was singen Sie, wenn Sie tatsächlich mal in die Verlegenheit kommen, zu putzen?

Ich singe nicht, wenn ich putze. Das sind zwei unvereinbare Dinge.

Seit wann sind Opernsängerinnen eigentlich nicht mehr dick?

Seit sie, genau wie alle, auf ihr Gewicht achten und wissen, dass es ungesund ist, zu fett zu sein. Andererseits muss man stark sein, um einen guten Sound zu produzieren auf einer großen Bühne. Deswegen sind viele Opernsängerinnen heute kräftig, nicht fett. Massiv, nicht fett.

Sie sind sogar sehr zierlich. Von wo kommt denn bei Ihnen der Sound? Können Sie da für mich einmal hinzeigen?

Ich bin kein bisschen zierlich. Ich habe ein starkes Kreuz, einen ordentlichen Brustkasten. Der Sound kommt von hier oben, von den beiden Stimmbändern. Die hat jeder. Auch Sie. Sonst könnten Sie nicht sprechen. Dann brauchen Sie auch noch ein Zwerchfell, das ist hier.

Außerdem brauchen Sie einen guten Atem, eine gute Resonanz. Wenn ich singe, fühle ich es am stärksten im Rücken.

Wovor haben Sie mehr Angst: Ihre Stimme oder Ihr Aussehen zu verlieren?

Ich will überhaupt nichts verlieren.

Wie hoch ist denn jeweils die Versicherungssumme?

Dafür verschwende ich keinen Cent. Als Frau will ich natürlich möglichst lange jung und attraktiv aussehen. Geht wohl jeder so. Das Aussehen hilft schon, aber es ist nicht so wichtig wie die Stimme, denn in den großen Opernhäusern sieht man eh nicht ganz bis zur Bühne.

Sie brauchen auch eine schauspielerische Begabung. Kein Opernsänger möchte mehr ein singender Brokatvorhang sein.

Absolut.

Als Opernsängerin sterben Sie viel. Entspannt Sie das, weil Sie sich denken können: Der Tod - den kenn' ich schon?

Es ist nie einfach, über den Tod nachzudenken, vor allem nicht bei Nahestehenden. Was meinen eigenen Tod betrifft, möchte ich nicht gerne mit einem Flugzeug explodieren. Ich würde gerne ohne Qualen sterben.

Wenn Sie Ihre Stimme absichtlich ruinieren wollten, was müssten Sie da tun?

Zu viel singen, nicht ausruhen, andauernd ausgehen, trinken, rauchen.

Von Ihnen heißt es aber nun, Sie führten ein recht wildes Leben. Fangen wir mit dem Rauchen an.

Ich rauche nicht, aber ich habe nichts dagegen. Wenn es mir schmecken würde, würde ich rauchen.

Wenn man Sie in Ihrem Lieblingsclub in New York zu einer vernünftigen Zeit daran erinnert, nach Hause zu gehen...

Dann sage ich: "Fuck you." Aber ich gehe kaum noch aus, leider.

Zur Freude der "New York Times" haben Sie eine Vorstellung von der "Braut des Zaren" ziemlich angeschickert bestritten, weil es Ihr Geburtstag war und man Ihnen hinter der Bühne Wodka angeboten hatte. War das lustig?

Und wie. Das ist aber schon lange her. Vorher trinken geht eigentlich überhaupt nicht.

Man stellt sich als Amateur vor, dass so ein kleiner Schluck den Stimmbändern vielleicht gerade gut tut?

Wenn Sie einmal damit anfangen, hören Sie nie mehr auf. Sie werden immer mehr und mehr und mehr brauchen.

Sie singen in der Regel Arien von Wahnsinnigen, Opfern, Außenseitern. Lucia di Lammermoor liebt den Erzfeind ihres Bruders, Violetta aus "La Traviata" erliegt der Schwindsucht. Sie dagegen haben fast etwas Pragmatisches an sich.

Ja.

Würde es das Publikum merken, wenn Sie echten Liebeskummer hätten?

Bei meiner Erfahrung wahrscheinlich nicht, nein.

Wäre Don Giovanni ein gutes Date?

Für eine Weile schon.

Was ist eigentlich damals nach "Wetten, dass..." mit Robbie Williams hinter der Bühne passiert?

Alles, was zwischen uns passiert ist, bleibt zwischen uns.

Das haben Sie schon ein paar Mal gesagt, oder? Es ist also nichts passiert.

Hhm.

Wieder schließen sich die Wimpern wie der Vorhang nach dem rasenden Applaus ihrer letzten Vorstellung nebenan in der Staatsoper. Dabei würde sie, das merkt man, gerne über Robbie Williams und andere Männer reden. Vor einem Jahr hätte sie es sicher noch gemacht.

Hatten Sie überhaupt schon mal Liebeskummer?

Den hat doch jeder mal, oder?

Haben Sie schon mal einen Mann getroffen, der sich nicht in Sie verliebt hat?

Wie bitte?

Außer Ihrem Vater.

Ja, natürlich. Ganz oft mag ich einen Mann, der mich überhaupt nicht mag.

Das gibt's nicht.

"Ich singe nicht, wenn ich putze"

Warum denn nicht? Warum, glauben Sie, sollte das nicht so sein?

Singen Sie besser, wenn Sie Liebeskummer haben?

Warten Sie; ja. Es kann neue Farben in der Simme hervorbringen.

Wie hübsch altmodisch: Leiden für die Kunst. Andererseits wird Ihre Stimme immer wieder mit einem Instrument verglichen, so dass Gefühle wie in Schopenhauers Musikästhetik nicht aus der Dramatik einer bestimmten Person kommen, sondern rein aus der Musik.

Man darf auch nicht andauernd leiden.

Singt jemand, der ein großes Herz hat, automatisch besser? Oder gibt es kleinherzige Menschen mit großen Stimmen?

Ganz ehrlich? Die meisten sind eher kleinherzig. Sie öffnen sich nur auf der Bühne, nicht im Leben.

Mit dem Vorhang schließt sich das Herz wieder.

Genau so läuft es normalerweise.

Das ist doch schrecklich.

Gar nicht. Sie können nicht die ganze Zeit Ihr Herz öffnen. Es würde irgendwann verschwinden, ziemlich schnell.

Schützen die Kostüme das Herz? Haben Sie überhaupt Kontrolle über Ihre Kostüme?

Nein, die habe ich nicht.

Das muss schwierig sein, Sie sind berühmt für Ihren eigenen Geschmack.

Man wird angehalten, nicht darüber zu diskutieren. Ich kann höchstens mal anmerken, wenn mir etwas gar nicht steht, jeder will doch, dass ich auf der Bühne gut aussehe. Das größte Problem mit den Kostümen ist, dass viele unglaublich schwer sind. Ich kriege oft blaue Striemen davon. Andere kratzen, jucken oder riechen komisch, weil zu viele Leute sie getragen haben. Naja. Teil des Spiels.

Auf einem Werbeplakat tragen Sie ein Phantasiekostüm, eine Windmaschine weht Ihnen die Haare aus der Stirn. Sie sehen ein bisschen aus wie Christina Aguilera, außer, dass die fast nichts trägt auf der Bühne. Wäre das was für Sie?

Easy. Ich kann auf die Bühne gehen mit fast nichts an. Die Frage ist nur, wofür?

Welche Oper hat denn die besten Shoppingmeilen in der Nähe?

Ganz klar, New York. Das ist die beste Adresse zum Einkaufen auf der ganzen Welt.

Wo gehen Sie da gerne hin?

In das Kaufhaus Bergdorf Goodman.

Welcher Stock?

Der fünfte.

Die High Fashion. Ihre Lieblingsecke?

Dolce & Gabbana, Marc Jacobs natürlich. Und Catherine Malandrino.

Angeblich können Sie kein Victoria Secret Geschäft betreten, ohne mindestens 200 Dollar auszugeben. Warum werden Sie da nicht Model, dann bekommen Sie die gesamte Unterwäsche umsonst?

Ich bin 33. Ich fürchte, die würden mich nicht nehmen.

Meine russische Freundin Ludmilla hat auf meine Frage, was deutsche Frauen von Russinnen lernen können, gesagt: Wie man ein warmes Zuhause schafft, und wie man auf hohen Schuhen geht.

Erstmal nehme ich an, die deutschen Frauen sind gute Hausfrauen. Zum Zweiten: In München sind die Frauen sehr gut angezogen! Russinnen tragen schon morgens dick ihren roten Lippenstift auf. Sie übertreiben nun mal gern. Verzeihung übrigens, dass ich so komisch aussehe. Ich komme von einem Shooting, deshalb das ganze Zeug in meinem Gesicht.

Aber das Wodka-Trinken könnten doch die deutschen Frauen von den Russinnen lernen?

Ich finde die deutschen Frauen wundervoll. Wirklich, ich wüsste nicht, was sie besser machen könnten. Vielleicht, wenn sie sich ein bisschen femininer anziehen würden, weniger unisex ...

Manche rasieren sich nicht die Beine.

Ich weiß. Vielleicht mögen das die deutschen Männer?

Ludmilla sagt auch, die Russinnen sind netter zu ihren Männern.

Da ist sehr richtig. Viel zu nett, gemessen an der Qualität der Männer.

Lauscht eigentlich auch die russische Mafia, wenn Sie singen?

Keine Ahnung. Schon möglich.

Im Ernst: Haben Sie manchmal Angst, die könnten sich für Sie interessieren?

Die russische Mafia ist ziemlich stark. Aber was sollen die von mir wollen? Ich habe nichts. Ich gebe mein ganzes Geld für Schuhe aus. Die könnten nicht mal mein Haus ausrauben, weil da nichts ist.

Welche Schuhe mögen Sie? Christian Louboutin?

Die sind wunderschön, aber super unbequem. Manolo Blahnik hasse ich.

Jimmy Choo?

Zu teuer. Ich mag Sergio Rossi. Aber die schönsten Schuhe kommen aus Venedig, Rene Caovilla stellt sie her. Sie sind mit Juwelen verziert.

Maria Callas starb mit 53 in Paris an einem Herzinfarkt. Zuviel Drama für Sie?

Keiner weiß, woran die Callas wirklich gestorben ist.

Das klingt, als wüssten Sie mehr.

Nein, ich stelle es nur fest.

Was gefällt Ihnen denn nicht an dem Wort "Diva"? Es klingt doch toll.

Ach, ja? Dann werden Sie doch eine!

Maria Callas jedenfalls nützte dieser Begriff sehr; er half ihr dabei, sich neu zu erfinden. Vorher war sie ein dickes Mädchen mit einer dicken Brille, das in Athen bei der Post arbeitete, um das Konservatorium bezahlen zu können.

Die Wahrheit ist: Maria Callas sah Audrey Hepburn und kopierte sie einfach.

Und wer ist Ihre Audrey Hepburn?

Mal überlegen. Ich schau mir schöne Frauen tatsächlich sehr genau an. Sienna Miller ist schon sehr, sehr cool.

Lieben die Frauen Sie auch so wie die Männer?

Das hoffe ich sehr.

Gibt es etwas wie eine russische Seele?

Keine Ahnung. Interessiert mich nicht.

Müssen Sie denn lachen, wenn Sie über sich lesen: "Der Star, der aus der Kälte kam"?

Nein. St. Petersburg ist kalt, nicht nur die Temperatur, auch die Architektur. Oft friert es mich dort sehr.

Worum beneiden Sie Ihre Freunde dort am meisten?

Weiß ich nicht. Ich habe sie nie gefragt. Ich versuche, mich wie immer zu benehmen. Ich binde ihnen nicht unbedingt auf die Nase, was mir hier alles hinterhergeschmissen wird.

Was bringen Sie Ihren Freundinnen mit?

Schöne Kleider. Sie tragen alle Kleider, die ich ihnen mitgebracht habe.

Wenn Sie mit einem MTV-Star Ihrer Wahl singen könnten, wer wäre das?

Ich habe wundervolle Partner. Ich brauche niemanden von MTV.

Ich darf Ihnen nur noch eine Frage stellen, sagt der Mann von der Plattenfirma: Stimmt es, dass Ihre Plattenfirma Sie so antreibt, dass Sie bald in Frührente gehen müssen?

Achtung. Der Mann ist nicht von meiner Plattenfirma.

(SZ vom 22.1.2005)

© ----------------------------------------<p>Anna Netrebko, 33, gilt als schönste Operndiva der Welt. Sie wuchs im südrussischen Krasnodar auf, das eher für sein Erdöl als für die Förderung der Künste berühmt ist. Obwohl sie Schauspielerin werden wollte, landete sie am Konservatorium in St. Petersburg und wurde dann vom Kirov-Ensemble engagiert, dessen Mitglied sie bis heute ist. Ihren Durchbruch verdankt sie ihrer Rolle als Donna Anna in Mozarts Don Giovanni 2002 bei den Salzburger Festspielen. Verdis Violetta, mit der sie 2003 an der Bayerischen Staatsoper in München und der Wiener Staatsoper begeisterte, wurde zu ihrer zweiten Paraderolle. Am 17.Juli wird sie auf dem Münchner Königsplatz ein Open-Air Konzert geben.</p> - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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