KinderbuchGefahrenzone Familie

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Blau ist eine entscheidende Farbe in den Illustrationen von Theresa Strozyk und im Leben der Heldin Jagoda.
Blau ist eine entscheidende Farbe in den Illustrationen von Theresa Strozyk und im Leben der Heldin Jagoda. (Foto: Klett Kinderbuch)

Jagoda lebt mit ihrer Mutter im Frauenhaus – ihren Geburtstag will sie trotzdem feiern. Ein kluger Kinderroman über einen Ort, der nicht nur in der Kinderliteratur viel zu wenig vorkommt.

Von Christine Knödler

Der schönste Tag in einem Kinderleben ist der Geburtstag. Auch für Jagoda könnte das so sein. In ein paar Tagen wird sie zehn, sie ist wild entschlossen, dieses Mal wirklich zu feiern, mit leckerem Essen, Trinken, Musik, an einem coolen Ort, am liebsten mit einer besten Freundin. Eine Liste hat sie schon erstellt, damit kennt sie sich aus – sie schreibt, um Ordnung in ihr Leben zu bringen. Das muss sie oft, mit ihrer Mutter lebt sie in einem Frauenhaus. Nicht einmal ihre geliebte Oma darf wissen, wo sie sind, damit der Vater die beiden bloß nicht findet. Feiern will Jagoda trotzdem, denn: „Keine Party ist auch keine Lösung“.

Frauenhäuser sind Orte, die in der Kinderliteratur und in der Öffentlichkeit kaum vorkommen. Die Notwendigkeit der Geheimhaltung liegt in der Natur der Sache. Dass sie übersehen werden, hat einen weiteren Grund: Rund 400 Frauen- und Kinderschutzhäuser gibt es in Deutschland, es bräuchte sehr viel mehr. Das sagt viel über die Gesellschaft aus.

Was den Frauen und Kindern widerfahren ist, steht zwischen den Zeilen

Einen solchen Tabu-Ort erzählend in den Blick zu nehmen, ist also verdienstvoll. Bedeutsam ist, wie kindgerecht und kompromisslos literarisch Anna Maria Praßler über die Gefahrenzone Familie schreibt. Betroffenen Kindern gibt die Autorin eine Stimme – und was für eine! Ihre patente Protagonistin hat sie mit einer gehörigen Portion Resilienz und Kreativität ausgestattet.

Prügelnde Väter? Zerbrochene Familien? Jagoda hält mit Listen von Zungenbrechern dagegen. „Blaukraut bleibt Blaukraut und Brautkleid bleibt Brautkleid“, mag sie besonders, obwohl sie Blau blöd findet. Sie sammelt „Schlechte Sachen, die mit Blau anfangen“, zum Beispiel „Blausäure“ (weil tödlich), „blauäugig“ (weil gefährlich), „blau sein“. Sie notiert „Schöne Sachen, die mit Blau anfangen“. Und es ist nur folgerichtig, dass die virtuos-witzigen Bilder von Theresa Strozyk ausgerechnet in Blau-Schwarz gehalten sind. So wird sichtbar, was auch die Worte beweisen und behandeln: Obwohl es das Schlechte gibt, gibt es auch das Schöne.

Schlecht sind für Jagoda Lärm und Geschrei, dann zittert sie am ganzen Leib und kann nicht mehr damit aufhören. Schlecht ist, dass Mitschülerinnen auf ihr herumhacken, weil sie Klamotten aus der Kleiderkammer trägt. Schön ist, dass Mia aus ihrer Klasse ihr beispringt. Vielleicht werden sie beste Freundinnen? Schön ist, wenn Putzi Jagoda wieder zum Lachen bringt. Auch Putzi lebt mit ihrer Mutter im Frauenhaus. Jagoda kümmert sich wie eine Schwester um sie.

Anna Maria Praßler: Keine Party ist auch keine Lösung. Mit Bildern von Theresa Strozyk. Klett Kinderbuch, Leipzig 2025. 168 Seiten, 16 Euro. Ab 9 Jahren.
Anna Maria Praßler: Keine Party ist auch keine Lösung. Mit Bildern von Theresa Strozyk. Klett Kinderbuch, Leipzig 2025. 168 Seiten, 16 Euro. Ab 9 Jahren. (Foto: Klett)

Was den Frauen und Kindern widerfahren ist, steht zwischen den Zeilen. Mütter, die aus Zimmern nicht rauskommen, Kinder, die früh erwachsen werden müssen, Schicksale, die sich in dicken Akten auf dem Schreibtisch von Frau Yildirim, der Sozialarbeiterin, stapeln, sprechen Bände. Das eigentliche Abenteuer aber sind die Vorbereitungen für die beste Party aller Zeiten. Denn Kinder lieben Geburtstage.

Vier Tage bleiben Jagoda, der Countdown läuft. Er beschert ihr die Begegnung mit einem umwerfenden Hund, unerwartete Hilfe, neue Freunde, neue Orte, geballte Solidarität und jede Menge Obwohl-Wunscherfüllung. Er endet, so viel sei verraten, beim jubelnden „Jetzt!“.

Die SZ empfiehlt gemeinsam mit 3Sat-„Kulturzeit“ Kinder- und Jugendbücher. Eine Videorezension zum hier vorgestellten Buch können Sie hier ansehen.

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