Anklage gegen Jonathan Meese:Neutralisierung eines Zeichens

Einer solchen Kritik fällt als Erstes auf, dass Meese mogelt, wenn er behauptet, in seiner Performance sei die Geste des Hitlergrußes von Ideologie und Gesinnung abgekoppelt. So mächtig ist die von ihm beschworene "Diktatur der Kunst" denn doch nicht. Sie kann den Mehrwert der Koketterie mit dem Verbotenen nur einstreichen, weil sie - wenn auch gefahrlos - mit einer Geste spielt, die wegen ihres ideologischen Gehaltes unter einer Strafandrohung steht. Die Definition als Entspannungsübung oder reine "Muskelbewegung" durch den Künstler ist keine Löschung dieses Gehalts.

Meese, die alte Rampensau

Es gibt in Deutschland, vielleicht als Relikt der Genieperiode und der Kunstreligion, eine starke Bereitschaft, vor der Selbstdeutung von Künstlern auf die Knie zu gehen. Das ist aber eine sehr unmoderne Haltung. Der Meese-Sammler und Jurist Harald Falckenberg hat in Interviews mit der Welt am Sonntag und dem Bayerischen Rundfunk so gesprochen, wie der das gerne hört - das Rundfunkinterview hat Meese denn auch auf seine Website gestellt: "Meese ist Außenseiter, er braucht und will keine Fangemeinde. Sein zentrales Anliegen ist die Auseinandersetzung mit den Kontroll- und Machtmechanismen. Er setzt sich zur Wehr und will kein nützliches, den Normen und Funktionen unterworfenes Mitglied der Gesellschaft sein."

Wie bitte? Der Exportschlager der deutschen Gegenwartskunst, der demnächst in Bayreuth den "Parsifal" inszeniert und landauf landab in die Theater eingeladen wird, ein Schmerzensmann und Außenseiter, der keine Fangemeinde braucht? Man muss nur ein paar Minuten der Aufzeichnung des Documenta-Interviews anschauen, um zu ahnen: Dieser Mann ist eine Rampensau, der vor Publikum aufblüht und es genießt, ihm einen lässig ausgeführten Hitlergruß als Pointe vorzusetzen.

Wenn man die Privatperson Meese fragt, warum der Performer das macht, hat er eine politisch vollkommen korrekte Antwort: "Der Hitlergruß ist ein Symbol, das neutralisiert werden muss, man entdämonisiert ein Zeichen für die Zukunft." Nun hat die Entdämonisierung der Figur Hitler und des Hitlergrußes nicht erst mit Meese begonnen.

Die Exorzismen der Nachkriegszeit

Wie sehr sich die Geste "ich zitiere den Hitlergruß" in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat, zeigt schon ein flüchtiger Blick auf die Performance, mit der Anselm Kiefer 1969 Skandal machte, als er in seiner Abschlussarbeit an der Kunsthochschule Karlsruhe in verschiedenen Ländern Europas den Hitlergruß ausführte und in Fotos dokumentierte. Kiefer, Jahrgang 1945, integrierte Teile der Uniform seines Vaters, der als Wehrmachtsoffizier in den Ländern gewesen war, in denen der Sohn seine Aktion ausführte.

Die ödipale Spannung, die in Kiefers Aktion einging, machte sie zu einem Vorläufer der "Väterbücher", die wie Bernward Vespers "Reise" oder Christoph Meckels "Suchbild" aus der Nachkriegszeit in den Nationalsozialismus zurückblickten. Das waren dunkle, bohrende Exorzismen. In Meeses Selbstkostümierung als Propagandist der "Diktatur der Kunst" im Nazi-Outfit ist von einer solchen Spannung nichts zu spüren, und wenn er sich die "Entdämonisierung" Hitlers auf die Fahnen schreibt, ist er aktuell mitten im Mainstream.

Da gibt es wunderbare Anknüpfungen an Chaplins Hitler-Satire wie die Abschlussarbeit des Filmstudenten Florian Wittmann von der Bremer Hochschule für Künste, der in mühevoller Kleinarbeit einer Hitler-Rede auf dem Reichsparteitag den Text von Gerhard Polts "Leasingvertrag" lippensynchron unterlegte. Es gibt den Comedy-Hitler von Walter Moers und die schlichte literarische Sitcom in Gestalt des Romans "Er ist wieder da" von Timur Vermes, der seit fast einem Jahr auf den Bestsellerlisten steht.

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